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Ich sah, wie meine Schwester plötzlich wie zum Zeichen der Aufgabe die Hände hochriß: »Warum eigentlich nicht?« rief sie in respektlosem Ton. »Was sollte es mir jetzt auch noch einbringen, wenn ich schweige? Sie wollen wissen, warum ich dabei war, Luxor zu verlassen? Also gut, ich werde es Ihnen sagen.«

Ihre Augen blieben schließlich an mir hängen und hielten meinem Blick stand, während sie seelenruhig erklärte: »Ich wollte vor der Polizei davonlaufen.«

»Aber warum denn? Dr. Jelks’ Verbrechen ist doch nicht so groß! Adele.«

Ihre Lippen verzogen sich zu einem hämischen Lächeln. »Doch nicht wegen Jelks! O Lyddie, so blöd bin ich auch nicht. Soll das heißen, du weißt es wirklich nicht? Du hast es also immer noch nicht erraten?« Ich schüttelte langsam den Kopf.

Schließlich kehrte Adele mir den Rücken und wandte sich dem Mann zu, den zu heiraten sie beabsichtigte. »Ich habe ein falsches Spiel mit dir getrieben, Paul«, erklärte sie ihm, ohne mit der Wimper zu zucken.

Jelks starrte meine Schwester an wie in Trance. Alle anderen standen regungslos und schweigend da. Niemand rührte sich.

Adele sprach weiter: »Ich habe wegen des Geldes mitgemacht, Paul, und wegen nichts anderem. In Rom traf ich mich mit Arnold Rossiter, und er machte mir ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte. Für eine Weile jedenfalls waren er und ich Partner.«

Noch im Zweifel, ob ich den unerhörten Worten, die meine Schwester da von sich gab, Glauben schenken sollte, murmelte ich: »Warum hast du mich dann eigentlich gerufen?«

»Weil meine >Partnerschaft< eine schlechte Wendung nahm. Rossiter wurde grob mit mir, und ich bekam Angst. Ich konnte nicht zu Paul zurückrennen, nicht nachdem ich geplant hatte, ihn um sein Grab zu betrügen. Ich brauchte jemanden an meiner Seite. Jemanden, dem ich vertrauen konnte. Und du warst die letzte Zuflucht, Lyddie! Ich konnte dir das am Telefon nicht sagen, aber ich dachte, wenn ich dir den Schakal schickte, würde dich das vielleicht veranlassen, nach Rom zu kommen, und irgendwie würde es uns gemeinsam gelingen, mich aus meiner Patsche zu befreien. Ich denke, ich habe mich wohl verrechnet.«

»Aber in Kairo.«

»Ja, ich wußte, daß du in Kairo warst. Aber, um Gottes willen, Lyddie, als ich dich und John Treadwell im Shepheard’s Hotel zusammen im Speisesaal sah, konnte ich es kaum glauben. Daß ihr beide zusammen wart, konnte nur bedeuten, daß Rossiter auch dich irgendwie gekauft hatte. Und meine Chancen, aus diesem Schlamassel herauszukommen, schwanden dahin. Und außerdem war ich schockiert darüber, John Treadwell in Kairo anzutreffen. Ich dachte nicht, daß er den Nerv hätte, sich in Ägypten blicken zu lassen, nicht mit seinem Ruf bei der Polizei. Doch da war er, Rossiters rechte Hand, und mit keiner Geringeren als meiner Schwester. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. So ergriff ich die Gelegenheit, an John heranzutreten, als er allein war. Verstehst du, ich hatte

Angst, daß er Paul alles erzählen würde, was meine Chancen, aus dem Grab Kapital zu schlagen, für immer zunichte gemacht hätte.«

»Du bist an John herangetreten?«

»Mehr als nur an ihn herangetreten, Lyddie. John bedrohte mich. Er wurde unverschämt gegen mich. Da habe ich ihn getötet.«

»Du.«

»Ich kam kurze Zeit später ins Shepheard’s zurück, um dich zu treffen, aber du warst fort. Du warst verschwunden, und niemand wußte, wohin. Jetzt war ich völlig allein und völlig verängstigt. Meine einzige Chance lag bei Paul. So begab ich mich sofort zurück ins Camp und erzählte ihm die Geschichte, daß Rossiter mich bedroht hätte.« Adele bedachte Paul mit einem süßen Lächeln. »Tut mir leid, Liebling. Ich habe dich die ganze Zeit nur benutzt. Geld war alles, was ich wollte.«

Jetzt endlich begann Paul Jelks zu sprechen, und seine Stimme klang seltsam kühl und distanziert: »Wenn du mich geheiratet hättest, hättest du Geld gehabt und alles bekommen, was du dir wünschst.«

»O ja!« rief sie mit plötzlicher Bitterkeit. »Und ich hätte für den Rest meines Lebens in irgendeiner gottverlassenen Wüste leben müssen. Glaubst du wirklich, ich habe dich geliebt? Du warst nur etwas Neues, etwas, das mich anfangs amüsierte. Ich war schon drauf und dran, weiterzuziehen, als du mir von dem Grab erzähltest.«

»Adele.«, flüsterte ich.

»Ja, Paul, du erwähntest unzählige Reichtümer und großen Ruhm, den dir dieses Grab einbringen würden. So machte ich dir vor, dich zu lieben, damit ich daraus Nutzen ziehen konnte. Dann sagtest du mir, es werde Jahre dauern, um es vollständig freizulegen, und daß das Geld erst viel später käme. Nun, ich wollte es aber nicht erst >später<, und ich wollte auch nicht >Jahre< darauf warten. Als du mir daher sagtest, ich solle den Schakal nehmen und versuchen, einen Käufer zu finden, da legte ich mir einen eigenen kleinen Plan zurecht. Der Zufall wollte es, daß ich in Rom mit Rossiter zusammentraf, der mir die Hälfte des Erlöses bot, wenn die gesamten Grabbeigaben verkauft wären. Ein paar Tage lang lief alles prima, aber dann wurde Arnold ungeduldig.« Adele ging an mir vorbei, als ob ich Luft wäre, trat dann zu Arnold Rossiter hin und spuckte ihn an. »Du Idiot!« schrie sie. »Als ich dir den Ort des Grabes nicht verraten wollte, hieltest du es für angebracht, Gewalt anzuwenden. Und da bekam ich es mit der Angst und rief meine Schwester an. Wenn du weiterhin nett und höflich zu mir gewesen wärst, wie du es anfangs warst, hätte ich dich schon zur rechten Zeit hierher geführt! Dann hätte ich Lyddie niemals angerufen, und du und ich hätten Jelks loswerden und das Grab für uns allein haben können!«

Zu meiner großen Überraschung stürzte sich Adele mit einem Mal auf Rossiter. »Du hast alles vermasselt, du Blödmann.« Die Polizisten waren sofort über ihr, zogen sie von Rossiter weg und legten ihr Handschellen an.

Achmed, der dicht bei ihr stand, meinte ruhig: »Sie werden sie nach Kairo bringen.«

Aber ich schüttelte den Kopf. Ich beobachtete, wie sie meine Schwester zum Landrover führten. Ich stand schweigend da, als sie begann hineinzuklettern. Dann hielt sie inne, schaute zu mir zurück, winkte mir kurz zu und stieg dann vollends in den Wagen. Der Motor verursachte beim Anspringen einen heftigen Lärm und durchbrach damit die Stille der Wüste. Ich stand noch immer völlig reglos da, als andere Fahrzeuge jetzt ebenfalls ihre Motoren starteten: Polizisten, die Arnold Rossiter wegbrachten; Paul Jelks, Karl Schweitzer und der Rest von Jelks’ Mannschaft, die das Lager ebenfalls in Polizeibegleitung verließen. Nachdem alle Landrover in

Staubwolken davongefahren waren, blieben nur Achmed und ich in dem verlassenen Lager zurück, das nun im abendlichen Dämmerlicht immer kälter und dunkler wurde. Wieder sagte er: »Sie werden sie nach Kairo bringen. Sie wird vor Gericht gestellt werden. Aber ich kann nicht sagen.«

»Ich weiß«, unterbrach ich ihn mit ausdrucksloser Stimme. »Sie hat schwere Schuld auf sich geladen. Sie hat einen Menschen getötet, andere betrogen und hätte skrupellos dazu beigetragen, ein Kunstdenkmal zu schänden und auszuplündern. Was soll ich dazu sagen? Sie ist meine Schwester. Sie rief mich, damit ich kommen und ihr helfen sollte. Schuldig oder nicht, sie verdient es, mich in ihrer Nähe zu haben.«

Ich fühlte, daß Achmed seinen Arm um meine Schultern legte. Ich spürte seine beruhigende Wärme und Nähe, und ich wußte, es gab noch andere, wichtigere Gründe, in Ägypten zu bleiben. Dann hörte ich ihn sanft flüstern: »Wenn es denn Allahs Wille ist.«