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Er machte einen etwas merkwürdigen Eindruck. Betrunken vielleicht oder stoned. Er blinzelte ein paarmal, bevor er mich erkannte. »Dr. Dupree«, sagte er.

»Tut mir Leid, dass ich Sie schon wieder aufscheuche. Ich finde keine Ruhe und fahre lieber weiter. Trotzdem vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft.«

»Erklärungen sind nicht nötig. Ich wünsche Ihnen was. Wollen hoffen, dass Sie vor Sonnenaufgang noch irgendwo hinkommen.«

»Das hoffe ich auch.«

»Also, ich seh’s mir einfach im Fernsehen an.«

»Im Fernsehen?« Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, wovon eigentlich die Rede war.

»Hab den Ton runtergedreht, will Jody nicht aufwecken. Hatte ich Jody erwähnt? Meine Tochter. Sie ist zehn. Ihre Mutter lebt in La Jolla mit einem Möbelhandwerker zusammen. Die Sommer verbringt Jody bei mir. Hier draußen in der Wüste. Was für ein Schicksal, wie?«

»Nun ja…«

»Aber ich will sie nicht wecken.« Fulton wirkte plötzlich ernüchtert. »Ist das falsch von mir? Sie einfach schlafen zu lassen währenddessen? Vielleicht sollte ich sie doch aufwecken. Wenn ich’s mir recht überlege: Sie hat sie ja nie gesehen. Sie ist erst zehn. Kennt sie überhaupt nicht. Schätze, das ist ihre letzte Chance.«

»Äh, tut mir Leid, aber ich weiß nicht, wovon…«

»Sie sind jetzt allerdings anders. Nicht so, wie ich sie in Erinnerung habe. Nicht, dass ich mich je besonders gut ausgekannt hätte — aber früher, wenn man abends oft draußen war, hat man sie doch zwangsläufig ein bisschen kennen gelernt.«

»Was kennen gelernt?«

Er blinzelte. »Die Sterne.«

Wir gingen hinaus, stellten uns neben den Swimmingpool und blickten auf den Himmel.

Der Pool hatte schon lange kein Wasser mehr gesehen. Staub und Sand bildeten Dünen auf dem Grund, an den Wänden hatte sich jemand mit lila Graffiti verewigt. Wind ließ ein Metallschild — KEINE BADEAUFSICHT — gegen die Zaunverstrebungen klappern. Der Wind war warm und kam aus Osten.

Die Sterne.

»Sehen Sie?«, sagte Fulton. »Ganz anders. Ich kann keines von den alten Sternbildern erkennen. Alles sieht irgendwie so… verstreut aus.«

Mehrere Milliarden Jahre können so etwas bewirken. Alles altert, sogar der Himmel, alles strebt einem Höchstmaß an Entropie, Unordnung, Zufälligkeit entgegen. Unsere Galaxis war in den vergangenen drei Milliarden Jahren von unsichtbaren Kräften mächtig durcheinander gewirbelt worden, ja hatte sich mit einer kleineren Satellitengalaxis — M41 in den alten Katalogen — vermischt, sodass die Sterne nun in ganz und gar nichtssagender Anordnung am Himmel verteilt waren.

»Alles klar mit Ihnen, Dr. Dupree? Vielleicht wollen Sie sich lieber hinsetzen.«

Zu betäubt, um zu stehen, ja. Ich setzte mich auf den gummierten Beton, ließ die Füße in den leeren Pool baumeln, und blickte immerfort nach oben. Nie zuvor hatte ich etwas so Schönes oder so Furchterregendes gesehen.

»Nur noch wenige Stunden bis Sonnenaufgang«, murmelte Fulton.

Ja, hier. Weiter östlich, irgendwo über dem Atlantik, musste die Sonne bereits über den Rand des Horizonts gestiegen sein. Ich wollte ihn danach fragen, aber da ertönte eine piepsige Stimme aus dem Schatten nahe beim Eingang.

»Dad? Ich hab dich reden hören.« Jody, die Tochter. Sie kam zögernd näher. Sie trug einen weißen Pyjama und war in ein Paar Schuhe geschlüpft, ohne sie zuzubinden. Sie hatte ein breites Gesicht — schlicht, aber hübsch — und schläfrige Augen.

»Komm her, mein Schatz«, sagte Fulton. »Setz dich auf meine Schultern und sieh dir den Himmel an.«

Sie kletterte, immer noch verwirrt, an ihm hoch, und Fulton hob sie, die Hände um ihre Fußknöchel gelegt, der glitzernden Dunkelheit entgegen.

»Sieh nur, Jodie«, sagte er und lächelte ungeachtet der Tränen, die ihm über das Gesicht liefen. »Wie weit man heute Nacht sehen kann. Heute kann man praktisch bis ans Ende der Welt sehen.«

Ich ging wieder rein, um zu sehen, was es im Fernsehen an Nachrichten gab. Das Flackern hatte vor etwa einer Stunde aufgehört. Es war einfach verschwunden, zusammen mit der Spinmembran. Der Spin war so still zu Ende gegangen, wie er begonnen hatte, ohne Fanfare, überhaupt ohne Geräusch, abgesehen von einem atmosphärischen Rauschen von der Sonnenseite des Planeten her.

Die Sonne.

Drei Milliarden und ein paar zerquetschte Jahre älter geworden. Ich versuchte mich daran zu erinnern, was Jason mir über ihren Zustand erzählt hatte. Tödlich, keine Frage. Das Bild von überkochenden Meeren war in den Medien lang und breit ausgemalt worden — aber hatten wir diesen Punkt schon erreicht? War bis Mittag alles vorbei, oder blieb noch Zeit bis zum Ende der Woche?

Spielte das überhaupt eine Rolle?

Ich schaltete den kleinen Videoschirm in meinem Zimmer an und stieß auf eine Liveübertragung aus New York. Es hatte keine größere Panik gegeben — zu viele Leute schliefen noch oder hatten auf die morgendliche Fahrt zur Arbeit verzichtet, nachdem sie aufgewacht waren, die Sterne erblickt und die naheliegenden Schlüsse daraus gezogen hatten. Das Nachrichtenteam hatte, wie in einem Fiebertraum heroischen Journalismus, auf dem Dach eines Gebäudes auf Staten Island eine Kamera aufgebaut. Das Licht war trübe, der östliche Himmel hellte sich auf, doch es war noch nichts zu sehen.

Seit dem Ende des Flackerns, wurde mitgeteilt, sei keine Verbindung nach Europa zustandegekommen, was auf elektrostatische Interferenzen zurückzuführen sein könnte — vielleicht hatte das ungefilterte Sonnenlicht alle von den Aerostaten übermittelten Signale geschluckt. Es war noch zu früh, um allzu unheilvolle Schlüsse zu ziehen. »Da wir noch keine offiziellen Reaktionen haben«, sagte der Moderator, »ist der beste Rat, den wir Ihnen geben können, wie immer der, zu Hause vor den Geräten zu bleiben und abzuwarten, bis sich die Lage geklärt hat.«

»Gerade heute«, ergänzte seine Komoderatorin, »werden alle Leute möglichst bei ihren Familien bleiben wollen.«

Ich saß auf der Bettkante meines Motelzimmers und sah weiter zu.

Bis die Sonne aufging.

Die Kamera fing sie zunächst als eine karmesinrote Wolkenschicht ein, die über den öligen Horizont des Atlantiks strich. Dann kam ein glühender Rand, und Filter schoben sich vors Objektiv, um das grelle Licht abzudämpfen.

Ihr Umfang war schwer abzuschätzen, aber sie stieg auf — nicht ganz rot, eher ein rötliches Orange, sofern dies nicht Resultat von Kameramanipulationen war —, bis sie über dem Meer, über Queens und Manhattan schwebte, zu groß eigentlich, um als Himmelskörper durchzugehen, eher wie ein gewaltiger, mit bernsteinfarbenem Licht gefüllter Ballon.

Ich wartete auf weitere Kommentare, doch das Bild blieb stumm, bis zu einem Studio im mittleren Westen, dem Ausweichhauptquartier des Senders, umgeschaltet wurde und jemand ins Bild kam, der zu schlecht zurechtgemacht war, als dass es sich um einen regulären Moderator handeln konnte, und der völlig sinnlose Warnungen von sich gab. Ich schaltete den Apparat aus.

Und trug mein Gepäck zum Auto.

Fulton und Jody kamen aus dem Büro, um mich zu verabschieden. Plötzlich waren sie alte Freunde, denen es Leid tat, dass ich gehen musste. Jody sah ziemlich ängstlich aus. »Sie hat mit ihrer Mama gesprochen«, sagte Fulton. »Die hatte noch nichts von den Sternen gehört.«

Ich versuchte mir das frühmorgendliche Gespräch auszumalen: Wie Jody aus der Wüste anruft und ihrer Mutter etwas mitteilt, das diese als unmittelbares Bevorstehen des Weltuntergangs begreifen muss. Wie Jodys Mutter Abschiedsworte an ihre Tochter richtet und zugleich versucht, sie nicht zu Tode zu erschrecken, sie vor der schrecklichen Wahrheit zu schützen.

Nun lehnte Jody sich gegen ihren Vater, und dieser legte zärtlich den Arm um sie. »Müssen Sie wirklich wegfahren?«, fragte sie.