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Ich schlief fest und lange, jede Menge Kilometer blieben unter den Rädern des Autos zurück. Als ich aufwachte, war es erneut ein regnerischer Morgen. Wir parkten auf einem Rastplatz — westlich von Manassas, wie ich später erfuhr —, und eine Frau mit einem eingerissenen schwarzen Regenschirm klopfte ans Fenster.

Blinzelnd öffnete ich die Tür, worauf sie, mit achtsamen Blicken auf Diane, einen Schritt zurückwich. »Soll Ihnen von dem Mann sagen, Sie solln nich warten.«

»Wie bitte?«

»Soll Sie von ihm grüßen und Sie solln nich auf ihn warten.«

Simon saß nicht auf dem Vordersitz. Auch zwischen den Mülltonnen, den nassen Picknicktischen und den Plastiktoiletten war er nicht zu sehen. Einige andere Wagen standen herum, die meisten im Leerlauf vor sich hintuckernd, während ihre Fahrer auf dem Klo waren. Ich registrierte Bäume, Parklandschaft, einen hügeligen Ausblick auf eine regennasse kleine Industriestadt unter einem feuerroten Himmel. »Dünner blonder Typ? Schmutziges T-Shirt?«

»Genau der. Meinte, Sie solln nicht zu lange schlafen. Dann isser losgezogen.«

»Zu Fuß?«

»Ja. Runter Richtung Fluss, nicht anner Straße lang.« Die Frau schielte wieder zu Diane hinüber. »Geht’s Ihnen beiden gut?«

»Nein. Aber wir haben’s nicht mehr weit. Nett, dass Sie fragen. Hat er sonst noch etwas gesagt?«

»Ja. Soll ausrichten, Gott segne Sie und er findet von hier aus selber weiter.«

Ich versorgte Diane. Warf einen letzten Blick über den nassen Parkplatz. Dann fuhr ich weiter.

Ich musste mehrmals anhalten, um Dianes Tropf zu richten oder ihr Sauerstoff zu verabreichen. Sie öffnete die Augen überhaupt nicht mehr, und sie schlief nicht einfach nur — sie war ohne Bewusstsein. Ich mochte nicht darüber nachdenken, was das bedeutete.

Die Straßen erlaubten kein schnelles Fahren, der Regen prasselte nur so herunter und überall gab es Hinweise auf das Chaos der letzten Tage. Ich kam an dutzenden von ausgebrannten, an den Straßenrand geschobenen Autowracks vorbei, aus einigen stieg noch Rauch auf. Etliche Straßen waren für den zivilen Verkehr gesperrt, durften nur von Militär oder Notdienstfahrzeugen befahren werden. Mehrmals stand ich vor Straßensperren und musste kehrtmachen. Die Hitze des Tages machte die feuchte Luft fast unerträglich, am Nachmittag kam zwar ein starker Wind auf, doch auch der brachte nur wenig Erleichterung.

Zumindest war Simon erst kurz vor unserem Ziel desertiert. Ich schaffte es zum Großen Haus, solange noch Licht am Himmel war.

Der Wind war noch heftiger geworden, hatte fast Sturmstärke erreicht, und die Auffahrt der Lawtons war von Zweigen und Ästen übersät. Das Haus selbst war dunkel, jedenfalls sah es in der gelbbraunen Dämmerung so aus.

Ich ließ Diane im Auto, klopfte an die Tür. Und wartete. Klopfte noch einmal, nachdrücklich. Endlich öffnete sie sich einen Spaltbreit, und Carol Lawton spähte hinaus.

Ich konnte ihr Gesicht in der schmalen Öffnung kaum erkennen: ein blassblaues Auge, eine runzelige Wange.

»Tyler Dupree«, sagte sie. »Bist du allein?« Die Tür ging weiter auf.

»Nein. Diane ist bei mir. Und ich brauche Hilfe, um sie nach drinnen zu schaffen.«

Carol trat auf die Veranda und linste hinunter zum Auto. Als sie Diane sah, versteifte sich ihr kleiner Körper, sie zog die Schultern hoch und rang nach Luft. »Großer Gott«, flüsterte sie. »Sind denn beide meine Kinder zum Sterben nach Hause gekommen?«

Der abgrund in Flammen

Die ganze Nacht hindurch rüttelte der Wind am Großen Haus, ein heißer, salziger Wind, aufgerührt von dem unnatürlichen Sonnenlicht der letzten drei Tage. Ich nahm ihn sogar im Schlaf wahr: Er war da in den Momenten des Beinaheerwachens, er bildete den Soundtrack zu einem Dutzend unbehaglicher Träume. Und auch nach Sonnenaufgang klopfte er noch an die Fenster, als ich mich anzog und nach Carol Lawton Ausschau hielt.

Das Haus war seit Tagen ohne Strom. Der Flur im ersten Stock war vom regengefilterten Licht, das durch das Fenster am Ende des Korridors fiel, nur schwach erleuchtet. Die Eichenholztreppe führte hinunter in die Diele, wo zwei tropfnasse Erkerfenster Licht von der Farbe blasser Rosen ins Haus ließen. Ich fand Carol im Salon, sie machte sich gerade an einer antiquarischen Kaminsimsuhr zu schaffen.

»Wie geht es ihr?«, fragte ich.

Carol warf mir einen Blick zu. »Unverändert.« Sie widmete sich wieder der Uhr, die sie mit einem Messingschlüssel aufzog. »Ich war gerade bei ihr. Ich vernachlässige sie nicht, Tyler.«

»Das habe ich auch nicht angenommen. Was ist mit Jason?«

»Ich habe ihm beim Anziehen geholfen. Tagsüber geht es ihm besser. Ich weiß nicht, wie das kommt. Die Nächte machen ihm zu schaffen. Die letzte Nacht war… schwer.«

»Ich werde sie mir beide ansehen.« Ich verzichtete darauf, sie zu fragen, ob es Neuigkeiten gab, ob die FEMA oder das Weiße Haus irgendwelche neuen Direktiven ausgegeben hatten. Das wäre völlig sinnlos gewesen — Carols Universum endete an der Grenze ihres Grundstücks. »Sie sollten ein bisschen schlafen, Carol.«

»Ich bin achtundsechzig, ich schlafe nicht mehr so viel wie früher. Aber du hast Recht, ich bin müde — ich sollte mich wirklich hinlegen. Sobald ich hier fertig bin. Diese Uhr verliert Zeit, wenn man sich nicht um sie kümmert. Deine Mutter hat sie früher jeden Tag gestellt, wusstest du das? Und nach ihrem Tod hat Marie sie immer aufgezogen, wenn sie hier sauber gemacht hat. Aber seit ungefähr sechs Monaten kommt Marie nicht mehr. Die Uhr ist auf Viertel nach vier stehengeblieben, sechs Monate lang. Wie in dem alten Witz: zweimal am Tag ging sie richtig.«

»Wir sollten uns über Jason unterhalten.« Am Abend zuvor war ich zu erschöpft gewesen, um über die Grundfakten hinaus Weiteres zu erfragen: Jason war ohne vorherige Ankündigung eine Woche vor Ende des Spins eingetroffen und in der Nacht, in der die Sterne wiederkamen, erkrankt. Seine Symptome waren eine periodisch auftretende partielle Lähmung und ein gestörtes Sehvermögen, dazu Fieber. Carol hatte sich um ärztliche Hilfe bemüht, aber keinen Erfolg gehabt, also kümmerte sie sich selbst um ihn, wenn sie auch nicht imstande gewesen war, mehr zu leisten als eine einfache palliative Versorgung.

Sie befürchtete, er werde sterben. Den Rest der Welt schloss ihre Sorge nicht mit ein — Jason hatte ihr gesagt, darüber brauche sie sich keine Gedanken zu machen. Bald wird wieder alles normal sein, hatte er gesagt.

Und sie glaubte ihm. Die rote Sonne barg keine Schrecken für Carol. Die Nächte allerdings seien schlimm, sagte sie. Die Nächte ergriffen Jason wie ein böser Traum.

Zuerst sah ich bei Diane vorbei.

Carol hatte sie in einem Zimmer im Obergeschoss untergebracht — ihrem früheren Kinderzimmer, später umgewandelt in ein Gästezimmer. Ihr Zustand war stabil, und sie konnte ohne Hilfsmittel atmen. Das war jedoch kein Grund zur Beruhigung, sondern gehörte zur Ätiologie der Krankheit: Die Flut stieg an und ebbte wieder ab, und mit jedem Zyklus spülte sie ein weiteres Stück Widerstandskraft hinweg.

Ich küsste Diane auf die heiße, trockene Stirn und sagte ihr, sie solle sich ausruhen. Sie gab nicht zu erkennen, dass sie mich gehört hatte.

Dann ging ich zu Jason. Ich hatte ihm eine Frage zu stellen. Carol zufolge war er in das Große Haus zurückgekehrt, weil es einen Konflikt bei Perihelion gegeben habe. An nähere Einzelheiten konnte sie sich nicht mehr erinnern, aber es hatte wohl etwas mit Jasons Vater zu tun — »E. D. führt sich mal wieder unangenehm auf« — und auch mit »diesem kleinen schwarzen runzligen Mann, der gestorben ist — der Marsmensch«.