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Carol beobachtete argwöhnisch, wie ich den staubigen Koffer öffnete und eine der marsianischen Phiolen sowie eine Injektionsspritze hervorholte. »Was ist das?«

»Das Einzige, was ihr das Leben retten kann.«

»Ja? Bist du dir da sicher, Tyler?«

Ich nickte.

»Nein, ich meine, bist du dir wirklich sicher? Denn das ist das Gleiche, was du auch Jason gegeben hast, nicht wahr? Als er AMS hatte.«

Es hatte keinen Sinn, es abzustreiten. »Ja.«

»Ich mag seit dreißig Jahren nicht mehr praktizieren, aber ich bin nicht vollkommen ahnungslos. Ich habe ein bisschen über AMS recherchiert, nachdem du das letzte Mal hier warst. Habe in die Fachzeitschriften geguckt. Und das Interessante ist: die Krankheit ist unheilbar. Es gibt keine Zaubermedizin. Und selbst wenn es sie gäbe, könnte sie wohl kaum gleichzeitig ein Spezifikum gegen KVES sein. Ich muss also annehmen, dass du im Begriff bist, einen pharmazeutischen Wirkstoff zu verabreichen, der in irgendeinem Zusammenhang mit dem runzligen Mann steht, der in Florida gestorben ist.«

»Ich werde mich nicht mit Ihnen streiten, Carol. Sie haben offenbar Ihre eigenen Schlüsse gezogen.«

»Du sollst dich nicht mit mir streiten, du sollst mich beruhigen. Du sollst mir sagen, dass dieses Mittel mit Diane nicht das Gleiche anrichtet, was es mit Jason angerichtet hat.«

»Wird es nicht«, erwiderte ich, aber ich glaube, Carol wusste, dass ich den Vorbehalt unterschlug, das unausgesprochene soweit ich es beurteilen kann.

Sie sah mich mit festem Blick an. »Sie bedeutet dir immer noch etwas.«

»Ja.«

»Das versetzt mich immer wieder in Erstaunen. Die Beharrlichkeit der Liebe.«

Ich stach die Nadel in Dianes Vene.

Mittags war es im Haus nicht mehr nur heiß, sondern auch so feucht, dass ich fast schon damit rechnete, Moos von der Decke hängen zu sehen. Ich saß bei Diane, um bei negativen Wirkungen der Injektion sofort einschreiten zu können. Irgendwann klopfte es energisch an der Haustür. Diebe, dachte ich, Plünderer — doch als ich in die Diele kam, war Carol schon öffnen gegangen und gerade dabei, sich bei einem beleibten Mann zu bedanken, der ihr zunickte und sich zum Gehen wandte.

»Das war Emil Hardy«, sagte sie, während sie die Tür zuzog. »Erinnerst du dich an die Hardys? Ihnen gehört das kleine Kolonialstilhaus in der Bantam Hill Road. Emil hat eine Zeitung ausgedruckt.«

»Eine Zeitung?«

Sie hielt zwei zusammengeheftete Seiten Papier hoch. »Er hat einen Elektrogenerator in seiner Garage. Er hört nachts Radio und macht sich Notizen, dann druckt er eine Zusammenfassung aus und liefert sie an Häuser in der Nachbarschaft. Das hier ist die zweite Ausgabe. Er ist ein netter Mensch und meint es gut, aber ich sehe keinen Sinn darin, so etwas zu lesen.«

»Darf ich es mir ansehen?«

»Wenn du möchtest.«

Ich nahm es mit nach oben.

Emil war ein achtbarer Amateurreporter, dessen Berichte sich hauptsächlich auf Washington und Virginia bezogen — eine amtliche Liste von zu meidenden Gegenden und feuerbedingten Evakuierungen, Versuche, die lokale Infrastruktur wieder in Gang zu bringen… Ich überflog das alles nur. Es waren einige weiter unten stehende Beiträge, die meine Aufmerksamkeit fesselten.

Der erste betraf eine Meldung, wonach Messungen der Sonnenstrahlung ergeben hätten, dass diese zwar erhöht sei, doch nicht annähernd so intensiv wie vorhergesagt. »Regierungsexperten«, hieß es da, »sind verblüfft und äußern sich vorsichtig optimistisch über die Chancen eines langfristigen Überlebens der Menschheit.« Es war keine Quelle angegeben, also konnte es sich um eine Erfindung irgendeines Kommentators handeln, um einen Versuch, weiterer Panik vorzubeugen, aber es stimmte mit meiner eigenen Erfahrung überein: das Sonnenlicht war seltsam, aber nicht unmittelbar tödlich. Kein Wort darüber allerdings, welchen Einfluss es auf die Ernte, das Wetter oder die Umwelt allgemein haben könnte. Immerhin machten weder die mörderische Hitze noch die sintflutartigen Regenfälle einen sonderlich normalen Eindruck.

Noch weiter unten war ein Artikel mit der Überschrift WELTWEIT LICHTER AM HIMMEL GESICHTET. Es handelte sich um die C- oder O-förmigen Linien, die Simon in Arizona entdeckt hatte. Sie waren im Norden bis Anchorage und im Süden bis Mexico City gesichtet worden. Die Berichte aus Europa und Asien waren zwar lückenhaft und befassten sich hauptsächlich mit den unmittelbaren Auswirkungen der Krise, doch auch dort war von entsprechenden Lichtpunkten die Rede.

Diane kam vorübergehend zu sich, als ich bei ihr war.

»Tyler.« Ihre Stimme war so zart wie das Geräusch eines fallenden Blattes.

Ich nahm ihre Hand. Sie war trocken und unnatürlich warm.

»Es tut mir Leid.«

»Es gibt nichts, das dir Leid tun müsste.«

»Es tut mir Leid, dass du mich so sehen musst.«

»Es wird besser. Es wird eine Weile dauern, aber du wirst dich erholen.«

Sie sah sich im Zimmer um, erkannte es wieder. Ihre Augen weiteten sich. »Hier bin ich.«

»Hier bist du.«

»Sag mir noch mal meinen Namen.«

»Diane«, sagte ich. »Diane. Diane.«

Diane war schwer krank, doch es war Jason, der im Sterben lag. Das erfuhr ich, als ich wieder zu ihm ging.

Er habe heute nichts gegessen, hatte mich Carol informiert. Er hatte Eiswasser durch einen Strohhalm zu sich genommen, ansonsten aber jede Flüssigkeitsaufnahme verweigert. Er konnte seinen Körper kaum noch bewegen. Als ich ihn bat, seinen Arm zu heben, tat er es mit so großer Mühe und so langsam, dass ich ihn wieder nach unten drückte. Nur seine Stimme war noch kräftig, doch er rechnete damit, auch sie früher oder später zu verlieren. »Wenn die kommende Nacht auch nur annähernd so ist wie die letzte, werde ich bei Tagesanbruch nicht mehr bei klarem Verstand sein. Ich möchte reden, solange ich es noch kann.«

»Gibt es einen bestimmten Grund, warum sich dein Zustand nachts verschlechtert?«

»Einen ganz einfachen, glaube ich. Dazu kommen wir noch. Erst möchte ich, dass du mir einen Gefallen tust. Mein Koffer lag auf der Kommode. Ist er noch dort?«

»Ja.«

»Mach ihn auf. Ich habe einen Audiorekorder eingepackt. Hol ihn bitte raus.«

Ich fand ein mattsilbernes Rechteck von der Größe eines Kartenspiels, neben einem Stapel von Manila-Umschlägen, adressiert an Personen, deren Namen ich nicht kannte. »Ist es das hier?«, fragte ich, um mich gleich darauf zu verwünschen — natürlich konnte er es nicht sehen.

»Wenn es ein Sony-Gerät ist, ja. Eine Packung mit Leerdisks müsste gleich darunter liegen.«

»Ja, ist alles hier.«

»Gut, dann unterhalten wir uns also. Bis es dunkel wird und vielleicht noch etwas länger. Und ich möchte, dass du das Gerät laufen lässt. Leg eine neue Disk ein, wenn die erste voll ist, oder eine neue Batterie, falls nötig. Kannst du das für mich tun?«

»Ja, solange ich mich nicht um Diane kümmern muss. Wann willst du anfangen?«

Er drehte den Kopf. Seine diamantgespickten Pupillen glitzerten. »Jetzt gleich wäre nicht zu früh.«

Ars moriendi

Die Marsianer, so Jason, entsprachen nicht unserem Bild eines einfachen, friedlichen, pastoralen Volkes; ein Bild, dem Wuns Berichte zumindest Vorschub geleistet hatten.

Es traf zu, dass sie nicht besonders kriegerisch waren — die Fünf Republiken hatten ihre politischen Differenzen vor beinahe einem Jahrtausend beigelegt —, und »pastoral« waren sie zumindest in dem Sinne, dass sie den Großteil ihrer Ressourcen landwirtschaftlich nutzten. Aber »einfach« waren sie nicht, in keiner Weise. Sie waren Meister in der Kunst der synthetischen Biologie, ihre ganze Zivilisation war darauf gegründet. Wir hatten ihnen mit biotechnischen Mitteln einen bewohnbaren Planeten gebaut, und so war es nicht verwunderlich, dass sie von Beginn an ein profundes Verständnis für die Funktion und die potenziellen Verwendungsmöglichkeiten der DNA besaßen, das sie von Generation zu Generation weiterreichten.