Wenn ihre Großtechnologie mitunter recht plump anmutete — Wuns Raumschiff etwa war fast primitiv gewesen, eine Newtonsche Kanonenkugel —, so war dies der radikalen Beschränktheit ihrer natürlichen Ressourcen geschuldet. Der Mars war eine Welt ohne Öl und Kohle, die ein fragiles, wasser- und stickstoffarmes Ökosystem trug. Eine so üppige, ja verschwenderische industrielle Basis wie die auf der Erde hätte auf Wuns Planeten niemals existieren können. Auf dem Mars war jede Anstrengung darauf gerichtet, ausreichend Nahrungsmittel für eine streng zu begrenzende Bevölkerung zu produzieren — und die Biotechnologie diente diesem Zweck ganz ausgezeichnet.
»Hat Wun dir das erzählt?«, fragte ich Jason, während der Regen ununterbrochen weiterfiel und der Nachmittag zur Neige ging.
»Er hat sich mir anvertraut, ja. Allerdings ließ sich das meiste von dem, was er erzählte, auch aus den Archiven erschließen.« Rostfarbenes Licht, das durchs Fenster fiel, spiegelte sich in Jasons blinden Augen.
»Aber es könnte auch sein, dass er gelogen hat.« »Ich wüsste nicht, dass er je gelogen hätte, Tyler. Er war nur etwas knausrig mit der Wahrheit.«
Die mikroskopisch kleinen Replikatoren, die Wun zur Erde gebracht hatte, waren avancierte synthetische Biologie. Sie besaßen alle Fähigkeiten, die Wun ihnen zugeschrieben hatte. Und noch weitaus mehr: Zu den uns nicht bekannten Funktionen der Replikatoren gehörte ein verborgener zweiter Subkanal, der es ihnen ermöglichte, untereinander sowie mit ihrem Ursprungsort zu kommunizieren. Wun hatte nicht verraten, ob es sich um ein konventionelles Schmalband oder um etwas Exotischeres handelte — Letzteres, vermutete Jason —, jedenfalls erforderte es einen Empfänger, der fortgeschrittener war als alles, was wir auf der Erde bauen konnten. Es erforderte, so Wun, einen biologischen Empfänger. Ein modifiziertes menschliches Nervensystem.
»Du hast dich freiwillig zur Verfügung gestellt?«
»Hätte ich gemacht — wenn ich gefragt worden wäre. Aber Wun hat sich mir nur aus einem einzigen Grund anvertraut: Weil er seit seiner Ankunft auf der Erde um sein Leben fürchtete. Er hegte keinerlei Illusionen in Bezug auf menschliche Korruptheit oder Machtpolitik. Er brauchte vor allem jemanden, dem er seinen Medikamentenbestand anvertrauen konnte für den Fall, dass ihm etwas zustoßen würde. Jemand, der dessen Möglichkeiten und Zwecke begriff. Er hat mir nie nahe gelegt, ein Empfänger zu werden. Die Modifikation funktioniert nur bei Vierten. Weißt du noch, was ich gesagt habe? Die Langlebigkeitsbehandlung ist eine Plattform, ein Sprungbrett. Sie unterstützt andere Anwendungen. Dies ist eine davon.« »Also hast du dir das hier mit Absicht zugefügt?« »Ja, ich habe mir die Substanz injiziert, nachdem er gestorben war. Es war nicht traumatisch und hatte keine unmittelbare Wirkung. Es bestand ja gar nicht die Möglichkeit, dass Nachrichten der Replikatoren die Spinmembran durchdrangen, solange diese voll funktionsfähig war. Es war eine rein latente Fähigkeit, die ich mir da verschaffte.«
»Warum hast du es dann gemacht?«
»Weil ich nicht in einem Zustand der Unwissenheit sterben wollte. Wir alle haben angenommen, dass wir, wenn der Spin zu Ende ist, innerhalb von Tagen oder gar Stunden sterben würden. Der einzige Sinn von Wuns Modifikation lag für mich darin, dass ich in diesen letzten Stunden in Kontakt mit einer Datenbasis treten würde, die fast so groß ist wie die Galaxis selbst. Ich würde erfahren — so weit man das als Erdling überhaupt erfahren kann —, wer die Hypothetischen sind und warum sie das alles mit uns angestellt haben.«
Ich dachte: Ja und, weißt du das jetzt? Und vielleicht wusste er es ja wirklich. Vielleicht war es das, was er noch unbedingt mitteilen wollte, bevor ihn die Fähigkeit zu sprechen verließ; vielleicht wollte er deshalb, dass ich einen Mitschnitt davon machte. »Wusste Wun, dass du so etwas tun würdest?«
»Nein, und ich bezweifle, dass er es gebilligt hätte… obwohl er dieselbe Anwendung laufen hatte.«
»Tatsächlich? Das hat man gar nicht gemerkt.«
»Konnte man auch nicht. Du musst dir eins klar machen: Was mit mir passiert — mit meinem Körper, meinem Gehirn —, das ist nicht die Anwendung.« Er wandte mir seine blicklosen Augen zu. »Das ist eine Funktionsstörung.«
Die Replikatoren waren von der Erde aus ins äußere Sonnensystem geschickt worden, und dort, weit von der Sonne entfernt, gediehen sie prächtig. (Hatten die Hypothetischen das bemerkt, und machten sie die Erde verantwortlich für etwas, das im Grunde ein marsianisches Projekt war? War es das, was die Marsianer, wie E. D. unterstellte, von Beginn an geplant hatten? Jason äußerte sich nicht darüber — ich vermute, dass er es nicht wusste.) Nach und nach verbreiteten sich die Replikatoren zu den nächsten Sternen und darüber hinaus — weit darüber hinaus. Die Kolonien waren auf astronomische Entfernungen nicht zu sehen, aber hätte man sie auf einem Raster unserer eigenen stellaren Umgebung abgebildet, würde man sie als sich stetig ausdehnende Wolke wahrgenommen haben, als eine zeitlupenhafte Explosion künstlichen Lebens.
Die Replikatoren waren nicht unsterblich; sie lebten, vermehrten sich und starben schließlich. Was jedoch über sie hinaus Bestand hatte, war das Netzwerk, das sie bauten: ein Korallenriff von modulierten, miteinander verbundenen Knotenpunkten, in dem sich Daten ansammelten und zum Ausgangspunkt des Netzes wanderten.
»Als wir uns das letzte Mal gesprochen haben«, rief ich Jason in Erinnerung, »sagtest du, es gebe ein Problem. Du sagtest, die Replikatorenpopulation bilde sich zurück.«
»Ja, sie wurden mit etwas konfrontiert, das niemand auf der Rechnung gehabt hatte.«
»Und was?«
Er schwieg einige Zeit, wie um seine Gedanken zu sammeln. »Wir nahmen an, dass wir mit den Replikatoren etwas Neues in das Universum einführen würden, eine völlig neue Form von künstlichem Leben. Diese Annahme war naiv. Wir — die Menschen, ob auf der Erde oder auf dem Mars — waren nicht die erste intelligente Spezies, die sich in unserer Galaxis entwickelt hat. Bei weitem nicht. Tatsächlich ist an uns nichts Ungewöhnliches, praktisch alles, was wir in unserer kurzen Geschichte getan haben, ist vorher schon getan worden, irgendwo, von irgendjemand.«
»Du willst sagen, die Replikatoren sind auf andere Replikatoren getroffen?«
»Eine Ökologie von Replikatoren. Die Sterne sind ein Dschungel, Tyler. Es gibt dort mehr Leben, als wir uns je vorgestellt haben.«
Ich versuchte mir den Prozess, den Jason beschrieb, vor Augen zu führen: Weit entfernt von der spinisolierten Erde, weit jenseits des Sonnensystems, so tief im Weltraum, dass selbst die Sonne nur ein Stern unter vielen ist, lässt sich ein Replikatorensame auf einem staubigen Eissplitter nieder und beginnt sich zu vermehren. Er setzt den gleichen Zyklus von Wachstum, Beobachtung, Kommunikation und Reproduktion in Gang, der schon unzählige Male im Verlauf der langsamen Wanderung seiner Vorfahren stattgefunden hat. Vielleicht erlangt er das Reifestadium, vielleicht beginnt er sogar kleine Datenexplosionen zu erzeugen… doch mit einem Mal wird der Zyklus unterbrochen.
Da ist etwas, das die Anwesenheit des Replikators wahrnimmt. Und das immer hungrig ist.
Dieses räuberische Wesen (erläuterte Jason) ist ebenfalls ein halborganisches, autokatalytisches Rückkopplungssystem; es ist an sein eigenes Netzwerk angeschlossen, und dieses Netzwerk ist älter und weitaus größer als das, was die terrestrischen Replikatoren in der vergleichsweise kurzen Zeit seit ihrem Start von der Erde errichten konnten. Der Räuber ist höher entwickelt als seine Beute, seine für Nahrungssuche und Ressourcennutzung zuständigen Subroutinen haben sich über Milliarden von Jahren verfeinert. Die terrestrische Replikatorenkolonie, blind und ohne Fluchtmöglichkeit, wird aufgefressen.