Ich begriff die Bedeutung dieser Formulierung nicht. »Eine erweiterte biologische Umwelt? Größer als die Erde selbst?«
Inzwischen war es dunkel. Jasons Worte wurden von krampfartigen Bewegungen und unwillkürlichen Lauten unterbrochen. Von Zeit zu Zeit überprüfte ich seinen Puls, der recht schnell ging und schwächer wurde. »Die Hypothetischen«, sagte er, »können Zeit und Raum manipulieren, den Beweis dafür sehen wir rings um uns. Aber damit, eine Zeitmembran zu erschaffen, sind ihre Möglichkeiten noch längst nicht erschöpft. Mit Hilfe von räumlichen Schleifen können sie unseren Planeten mit anderen, ähnlichen Planeten verbinden… neuen Planeten, einige davon künstlich geschaffen, zu denen wir reisen können, direkt und ganz leicht… über Verbindungsstücke, Brücken, was auch immer, Konstruktionen, von den Hypothetischen zusammengefügt aus der Materie toter Sterne… Konstruktionen, die buchstäblich durch den Weltraum geschleppt wurden, geduldig, sehr geduldig, im Verlauf vieler Millionen Jahre…«
Carol saß auf der einen Seite des Bettes, ich auf der anderen. Ich hielt Jasons Schultern fest, wenn sein Körper in Zuckungen verfiel, und sie streichelte seinen Kopf während der Phasen, in denen er nicht sprechen konnte. Seine Augen funkelten im Kerzenlicht, er starrte angestrengt ins Nichts.
»Die Spinmembran ist immer noch da, sie arbeitet, denkt, aber ihre zeitliche Funktion besteht nicht mehr, ist abgeschlossen… Das ist es, was es mit dem Flackern auf sich hatte, eine Begleiterscheinung des allmählichen Herunterfahrens… Und jetzt ist die Membran durchlässig, sodass etwas in die Atmosphäre eintreten kann, etwas Großes…«
Später dann wurde klar, was er meinte. Doch zunächst dachte ich, er würde allmählich in den Zustand der Demenz übergehen, wäre einer Art metaphorischen Überlast erlegen, ausgelöst durch das Wort »Netzwerk«. Aber ich irrte mich.
Ars moriendi ars vivendi est: Die Kunst des Sterbens ist die Kunst des Lebens. Das hatte ich irgendwann während meines Studiums gelesen, und das fiel mir jetzt wieder ein, als ich bei ihm saß. Jason starb, wie er gelebt hatte — im heroischen Streben nach Erkenntnis. Und sein Geschenk an die Welt sollte in den Früchten dieser Erkenntnis bestehen, den nicht gehorteten, sondern frei verteilten, allen zugänglichen Früchten.
Die andere Erinnerung, die sich einstellte, während Jasons Nervensystem von den Hypothetischen umgewandelt und zerfressen wurde, ohne dass diese ahnten, dass es für ihn tödlich enden würde, ging zu jenem Nachmittag vor langer Zeit zurück, als er auf meinem Billigfahrrad den Abhang der Bantam Hill Road hinuntergerast war. Ich dachte daran, wie geschickt, mit fast balletthafter Eleganz, er das auseinanderfallende Gefährt kontrolliert hatte, bis von diesem nichts mehr blieb als Ballistik und Geschwindigkeit, der unvermeidliche Übergang von Ordnung in Chaos.
Jasons Körper — und man bedenke, dass er ein Vierter war — war eine fein eingestellte Maschine. Er starb nicht leicht. Irgendwann vor Mitternacht verlor er die Fähigkeit zu sprechen. Carol hielt seine Hand und sagte ihm, er sei sicher, er sei zu Hause. Ich weiß nicht, ob dieser Trost ihn noch erreichte in den seltsamen und verschlungenen Gefilden, die sein Bewusstsein nun betreten hatte. Ich hoffe es.
Nicht lange danach verdrehten sich seine Augen, seine Muskeln entspannten sich. Sein Körper kämpfte noch weiter, rang sich krampfhafte Atemzüge ab, fast bis in den Morgen hinein. Dann ließ ich ihn mit Carol allein, die ihm mit unendlicher Zärtlichkeit über den Kopf strich und ihm weiter zuflüsterte. Ich bemerkte nicht, dass die Sonne, als sie aufging, nicht mehr aufgedunsen und rot war, sondern so hell und strahlend und vollkommen wie vor dem Ende des Spins.
4 x 109 n. Chr.
Ein jeder landet irgendwo
Ich blieb auf dem Deck, während die Capetown Maru dem offenen Meer zustrebte.
Nicht weniger als ein Dutzend Containerschiffe flüchteten aus Teluk Bayur und kämpften um eine günstige Position vor der Hafenausfahrt. Die meisten davon kleine Handelsschiffe mit zweifelhafter Registrierung, vermutlich unterwegs nach Port Magellan, obwohl ihre Frachtbriefe etwas ganz anderes auswiesen — Schiffe, deren Besitzer und Kapitäne viel zu verlieren hatten, wenn sie einer eingehenden Überprüfung unterzogen würden.
Ich stand neben Jala, wir hielten uns an der Reling fest und beobachteten einen mit Rost gesprenkelten Küstenfrachter, der aus einer dichten Rauchbank heraussteuerte und dabei dem Heck der Capetown gefährlich nahe kam. Beide Schiffe gaben Alarm, und die Deckmannschaft der Capetown wandte sich besorgt nach achtern. Doch der Küstenfrachter drehte ab, bevor es zum Zusammenstoß kam.
Dann verließen wir den Schutz des Hafens, setzten uns der hohen See und den wogenden Wellen aus, und ich ging nach unten in den Aufenthaltsraum, zu Ina und Diane und den anderen Emigranten. En saß mit Ina und seinen Eltern an einem Klapptisch. Mit Rücksicht auf ihre Verletzung war Diane der einzige gepolsterte Sessel überlassen worden; inzwischen hatte die Wunde aufgehört zu bluten, und es war ihr gelungen, sich trockene Sachen anzuziehen.
Eine Stunde später kam Jala herein, lenkte mit einem lauten Ruf die Aufmerksamkeit auf sich und hielt eine Rede, die Ina mir anschließend folgendermaßen übersetzte: »Wenn man alles selbstgefällige Eigenlob weglässt, dann hat Jala nur gesagt, dass er auf die Brücke gegangen sei und mit dem Kapitän gesprochen habe. Alle Feuer an Deck seien gelöscht und unserer Fahrt stehe nichts mehr im Wege. Der Kapitän bittet um Entschuldigung für die raue See. Nach den Vorhersagen müssten wir bis zum Abend, spätestens morgen Früh aus dem Wetter heraus sein. In den nächsten paar Stunden allerdings…« In diesem Augenblick schnitt En, der neben Ina saß, ihr auf denkbar wirkungsvolle Weise das Wort ab: indem er sich zu ihr umdrehte und sich in ihren Schoß übergab.
Zwei Nächte später gingen Diane und ich aufs Deck hinauf, um uns die Sterne anzusehen. Nachts war es dort ruhiger als zu jeder anderen Zeit. Wir suchten uns einen Platz zwischen den Zehn-Meter-Containern und den Achterdeckaufbauten, wo wir reden konnten, ohne dass jemand mithörte. Die See war ruhig, die Luft angenehm warm, und über den Schornsteinen und dem Radar der Capetown wimmelte es von Sternen, als hätten sie sich in der Takelage verfangen.
»Schreibst du immer noch an deinen Erinnerungen?« Diane hatte die Sammlung von Speicherkarten gesehen, die ich in meinem Gepäck aufbewahrte, zusammen mit den digitalen und pharmazeutischen Schmuggelwaren, die wir aus Montreal mitgebracht hatten. Dazu diverses vollgekritzeltes Papier, Notizhefte, lose Seiten.