Bei den »beigefügten Dokumenten« handelte es sich im Wesentlichen um eine Garnitur von Ersatzidentitäten: Pässe, ID-Karten des Heimatschutzministeriums, Sozialversicherungsnummern, sogar medizinische Diplome, alle mit meiner Personenbeschreibung, keines davon mit meinem richtigen Namen.
Dianes Gesundung schritt weiter voran. Der Puls stabilisierte sich, die Lunge wurde frei, nur das Fieber hielt sich noch. Das marsianische Medikament verrichtete sein Werk, regenerierte ihren Körper bis ins kleinste Detail, bearbeitete und verbesserte ihn auf subtilste Weise.
Und sie begann Fragen zu stellen — über die Sonne, über Pastor Dan, über die Reise von Arizona zum Großen Haus. Wegen der Fieberschübe blieben die Antworten, die ich ihr gab, nicht immer haften. Mehr als einmal fragte sie mich, was mit Simon sei. In klaren Momenten erzählte ich ihr von dem roten Kalb und der Rückkehr der Sterne; wenn sie groggy war, sagte ich nur, dass Simon »woanders« sei und ich mich noch eine Weile um sie kümmern würde. Keine dieser Antworten — weder die wahren noch die halb wahren — schienen sie zu befriedigen.
An manchen Tagen war sie völlig teilnahmslos, saß mit dem Gesicht zum Fenster, sah zu, wie das Sonnenlicht über die Berge und Täler der Bettdecke strich. An anderen ergriff sie eine fiebrige Unruhe. Eines Nachmittags verlangte sie Papier und Kugelschreiber — doch als ich ihr das Gewünschte brachte, schrieb sie nur einen einzigen Satz: Bin ich nicht meines Bruders Hüterin, den allerdings immer wieder, bis sie einen Krampf in den Fingern bekam.
»Ich hab ihr von Jason erzählt«, gestand Carol, als ich ihr das vollgeschriebene Blatt zeigte.
»Sind Sie sicher, dass das klug war?«
»Früher oder später musste sie es erfahren. Sie wird darüber hinwegkommen, Tyler. Keine Sorge. Diane wird damit fertig. Diane war schon immer stark.«
Am Morgen des Tages von Jasons Beerdigung machte ich die Umschläge fertig und warf sie auf dem Weg in die örtliche Kapelle, die Carol für die Trauerfeier reserviert hatte, in einen aufs Geratewohl ausgesuchten Briefkasten. Die Päckchen mit der Aufnahme seiner »letzten Worte« würden vielleicht ein paar Tage auf Beförderung warten müssen — der Postbetrieb kam erst allmählich wieder in Gang —, doch nach meiner Einschätzung waren sie dort sicherer als im Großen Haus.
Die »Kapelle« war ein konfessionsfreies Bestattungsinstitut an einer der Ausfallsstraßen, auf der es recht lebhaft zuging, seit die Reisebeschränkungen aufgehoben waren. Zwar hatte Jason für aufwändige Beerdigungen immer nur die Geringschätzung des Rationalisten übrig gehabt, aber Carols Auffassung von Würde verlangte nach einer Zeremonie, selbst wenn sie nur bescheiden, pro forma war. Es war ihr gelungen, eine kleine Trauergemeinde zusammenzutrommeln, größtenteils langjährige Nachbarn, die Jason als Kind gekannt und seine Karriere bruchstückhaft im Fernsehen und in der Zeitung verfolgt hatten. Es war sein verblassender Prominentenstatus, der die Bankreihen füllte.
Ich hielt eine kurze Rede (Diane hätte es natürlich besser gemacht, aber sie war noch zu krank, um teilzunehmen). Jase, sagte ich, habe sein Leben dem Streben nach Erkenntnis verschrieben, nicht hochmütig, sondern in Demut — es sei seine tiefe Überzeugung gewesen, dass Wissen nicht geschaffen, sondern entdeckt werde; es könne nicht Eigentum sein, sondern müsse weitergegeben werden, von Hand zu Hand, von Generation zu Generation. Jason habe sich in den Prozess dieser Weitergabe eingegliedert und nach wie vor sei er Teil davon, auch nach seinem Tod lebe er fort im großen Netzwerk des Wissens.
E. D. betrat die Kapelle, während ich noch auf der Kanzel stand. Er war schon halb den Gang hinunter, als er mich erkannte. Lange starrte er mich an, bevor er sich auf der nächsten freien Bank niederließ.
Er war noch hagerer, als ich ihn in Erinnerung hatte, und die verbliebenen Haare hatte er sich so kurz scheren lassen, dass sie fast unsichtbar waren. Doch er trat noch immer wie ein Mann von Macht und Einfluss auf. Er trug einen wie angegossen sitzenden Anzug. Er verschränkte die Arme und inspizierte mit herrschaftlichem Gebaren den Raum, um festzustellen, wer anwesend war. Schließlich blieb sein Blick bei Carol hängen.
Als die Zeremonie schließlich zu Ende war, erhob sich Carol und nahm tapfer die Beileidsbekundungen der in Reih und Glied antretenden und dann nach draußen strebenden Nachbarn entgegen.
Sie hatte während der letzten Tage ausgiebig geweint und zeigte sich nun entschlossen tränenlos, beinahe distanziert. E. D. trat auf sie zu, als der letzte Gast gegangen war. Sie versteifte sich, wie eine Katze, die die Anwesenheit eines überlegenen Feindes spürt.
»Carol«, sagte er und warf mir einen säuerlichen Blick zu. »Tyler.«
»Unser Sohn ist tot«, erwiderte sie.
»Deswegen bin ich hier.«
»Ich hoffe, du bist hier, um zu trauern…«
»Selbstverständlich.«
« … und nicht aus anderen Gründen. Er ist nämlich nach Hause gekommen, um vor dir zu fliehen. Ich nehme an, du weißt das.«
»Ich weiß mehr darüber, als du dir vorstellen kannst. Jason war verwirrt…«
»Jason war so manches, E. D., aber verwirrt war er nicht. Ich war bei ihm, als er starb.«
»Tatsächlich? Das ist interessant. Ich war bei ihm, als er noch lebte.«
Carol atmete heftig ein und wandte den Kopf zur Seite, als habe sie eine Ohrfeige erhalten.
»Ich war derjenige, der Jason aufgezogen hat, das weißt du so gut wie ich. Vielleicht hat dir das Leben, das ich ihm verschafft habe, nicht gefallen, jedenfalls habe ich ihm einen Weg gewiesen und ihm die Mittel verschafft, dieses Leben zu führen.«
»Ich habe ihn geboren.«
»Das ist eine physiologische Funktion, keine moralische. Alles, was Jason je besessen hat, hat er von mir. Alles, was er gelernt hat, habe ich ihn gelehrt.«
»Zum Guten und zum Schlechten.«
»Und jetzt willst du mir Vorwürfe machen, nur weil ich ein paar praktische Anliegen habe.«
»Was für praktische Anliegen?«
»Ich spreche von der Autopsie.«
»Ja, das hast du schon am Telefon gesagt. Aber das ist würdelos und überhaupt auch unmöglich.«
»Ich hatte gehofft, du würdest das ernst nehmen — offenbar ist das nicht der Fall. Aber ich brauche dein Einverständnis gar nicht. Draußen vor dem Haus warten Männer, die Anspruch auf den Leichnam erheben werden, unter Vorlage einer gerichtlichen Anordnung gemäß dem Gesetz über Notfallmaßnahmen.«
Sie machte einen Schritt von ihm weg. »So viel Macht hast du?«
»Wir haben gar keine Wahl in dieser Angelegenheit, weder du noch ich. Es wird so verfahren, ob es uns gefällt oder nicht. Und es ist doch im Grunde nur eine Formalität, es entsteht kein Schaden. Also lass uns um Gottes willen ein bisschen Würde und gegenseitigen Respekt wahren. Überlass mir den Leichnam meines Sohnes.«
»Das kann ich nicht.«
»Carol…«
»Ich kann dir seinen Leichnam nicht geben.«
»Du hörst mir nicht zu. Du hast gar keine Wahl.«
»Nein, tut mir Leid, du hörst mir nicht zu. Also noch mal, E. D., ich kann dir seinen Leichnam nicht geben.«
Er machte den Mund auf und wieder zu. Seine Augen weiteten sich. »Was hast du getan?«
»Es gibt keinen Leichnam. Nicht mehr.« Ihre Lippen schürzten sich zu einem verschlagenen, bitteren Lächeln. »Aber seine Asche kannst du haben. Wenn du darauf bestehst.«
Ich fuhr Carol zum Großen Haus zurück, wo Emil Hardy — der sein Nachrichtenblättchen nicht mehr produzierte, seit es wieder Strom gab — Diane Gesellschaft geleistet hatte. »Wir haben uns über die alten Zeiten hier in der Nachbarschaft unterhalten«, sagte Hardy beim Abschied. »Hab die Kinder früher öfter beim Fahrradfahren beobachtet. Ach, ist das lange her. Diese Hautgeschichte, die sie hat…«