»Ist nicht ansteckend«, unterbrach ihn Carol. »Keine Sorge.«
»Allerdings ungewöhnlich.«
»Ja, ungewöhnlich ist sie. Vielen, vielen Dank, Emil.«
»Ashley und ich würden uns freuen, wenn Sie demnächst mal zum Abendessen rüberkämen.«
»Das klingt wunderbar. Richten Sie ihr meinen Dank aus.« Sie schloss die Tür und wandte sich mir zu. »Jetzt bräuchte ich einen Drink. Aber eins nach dem anderen. E. D. weiß, dass du hier bist. Du musst also woanders hin und du musst Diane mitnehmen. Kannst du das? Kannst du sie an einen sicheren Ort bringen? Wo E. D. sie nicht findet?«
»Natürlich. Aber was ist mit Ihnen?«
»Ich bin nicht in Gefahr. E. D. schickt vielleicht irgendwelche Leute her, um nach dem zu suchen, was Jason ihm seiner Meinung nach gestohlen hat. Aber er wird nichts finden — solange du nur gründlich genug bist, Tyler —, und das Haus kann er mir nicht wegnehmen. E. D. und ich — wir haben unseren Waffenstillstand schon vor langer Zeit unterzeichnet, unsere Scharmützel sind trivial. Aber dir kann er etwas anhaben, und er kann auch Diane schaden, selbst wenn es nicht in seiner Absicht liegt.«
»Das werde ich nicht zulassen.«
»Dann pack deine Sachen zusammen. Du hast vielleicht nicht mehr viel Zeit.«
Am Tag, bevor die Capetown Maru den Torbogen queren sollte, ging ich aufs Deck, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Der Bogen war weitgehend unsichtbar, beide Enden hinter dem Horizont verborgen, doch in der letzten halben Stunde vor der Dämmerung war das Scheitelstück eine messerscharfe und sanft glühende Linie am Himmel, fast direkt über unseren Köpfen. Am Vormittag war es dann hinter einem Schleier aus hohen Zirruswolken verschwunden, doch wir wiegten uns in dem Bewusstsein, dass es trotzdem da war.
Die Aussicht auf den Transit machte alle nervös — nicht nur die Passagiere, auch die Crew. Zwar gingen sie den üblichen Tätigkeiten nach, die das Schiff ihnen abverlangte, reparierten, was zu reparieren war, schmirgelten und malten, doch in ihrem Arbeitsrhythmus war etwas Hektisches, Eiliges, das am Vortag noch nicht da gewesen war. Jala kam mit einem Plastikstuhl aufs Deck und setzte sich zu mir, vom Wind geschützt durch die über zehn Meter langen Container, mit einem schmalen Ausblick aufs Meer.
»Das ist meine letzte Fahrt auf die andere Seite«, sagte er. Den Temperaturen angepasst trug er ein weites gelbes Hemd und Jeans, das Hemd hatte er aufgeknöpft, um seine Brust in die Sonne zu halten. Er holte eine Dose Bier aus einer Kühlbox und öffnete sie. All dies, sein gesamtes Verhalten, wies ihn als säkularisierten Mann aus, als Geschäftsmann, der der Scharia der Muslime und dem Adat der Minang gleichermaßen geringschätzig begegnete. »Diesmal gibt es keine Rückkehr.« Er hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen — buchstäblich, sollte er etwas mit den Unruhen in Teluk Bayur zu tun gehabt haben (der Ausbruch des Feuers war zu einem für unsere Flucht verdächtig günstigen Zeitpunkt erfolgt, auch wenn wir davon ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wurden). Jahrelang hatte er Emigrantenschmuggel betrieben, weitaus lukrativer als seine legalen Import/Export-Geschäfte. Mit Menschen ließe sich mehr Geld verdienen als mit Palmöl, sagte er. Doch die Konkurrenz aus Indien und Vietnam nehme zu und das politische Klima habe sich verschlechtert — lieber jetzt in den Ruhestand nach Port Magellan gehen, als den Rest des Lebens in einem Gefängnis der New Reformasi verbringen.
»Sie haben den Transit schon einmal mitgemacht?«
»Zweimal.«
»War es schwierig?«
Er zuckte mit den Achseln. »Glauben Sie nicht alles, was Sie hören.«
Bis zum Mittag waren etliche der übrigen Passagiere aufs Deck gekommen. Neben den Minangkabau-Dörflern war eine bunte Mischung aus Achinesen, Malaien und Thai an Bord, insgesamt waren wir etwa hundert Leute, zu viele für die vorhandenen Kabinen, doch im Laderaum waren drei Aluminiumcontainer als Schlafquartiere präpariert worden. Natürlich mit ausreichender Belüftung — dies war nicht der grauenhafte Menschenschmuggel, der einst Flüchtlinge nach Europa und Nordamerika gebracht hatte. Viele von denen, die den Bogen Tag für Tag querten, waren gewissermaßen Überlauf aus den von der UNO initiierten Umsiedlungsprogrammen und oft durchaus zahlungskräftig. Wir wurden mit Respekt behandelt von einer Mannschaft, die zum Teil schon Monate in Port Magellan zugebracht hatte und die Reize und Fallgruben des Ortes aus eigener Anschauung kannte.
Einer der Matrosen hatte einen Teil des Hauptdecks mit Netzen abgeteilt, damit eine Gruppe von Kindern Fußball spielen konnte. Hin und wieder flog der Ball über die Netze hinweg, oft genau in Jalas Schoß, was ihn jedes Mal verärgerte. Er war ein bisschen reizbar heute.
Ich fragte ihn, wann das Schiff den Transit beginnen würde.
»Bei dieser Geschwindigkeit, in ungefähr zwölf Stunden.«
»Unser letzter Tag auf Erden.«
»Machen Sie keine Witze.«
»Wörtlich gesprochen.«
»Und reden Sie nicht so laut — Seeleute sind abergläubisch.«
»Was werden Sie in Port Magellan machen?«
Er hob die Augenbrauen. »Was werde ich machen? Schöne Frauen vögeln. Und vielleicht auch ein paar hässliche. Was sonst?«
Der Fußball flog einmal mehr übers Netz. Diesmal hob ihn Jala auf und hielt ihn fest. »Verdammt noch mal, ich habe euch gewarnt. Das Spiel ist vorbei!«
Sofort drängte ein Dutzend Kinder gegen das Netz und erhob kreischend Protest. En war es schließlich, der den Mut aufbrachte, zu uns zu kommen und Jala direkt gegenüberzutreten. »Gib ihn bitte zurück«, sagte er.
»Du willst ihn wiederhaben?« Jala stand auf, herrisch und auf schwer nachvollziehbare Weise wütend. »Du willst ihn haben? Dann hol ihn dir.« Er kickte den Ball aus der Hand hoch in die Luft, ein weiter Torwartabschlag, der ihn über die Reling hinweg in die blaugrüne Unendlichkeit des Indischen Ozeans beförderte.
Erst war En verblüfft, dann machte sich Zorn auf seinem Gesicht breit. Er sagte etwas Leises, verbittert Klingendes auf Minang.
Jala lief rot an und schlug den Jungen mit der flachen Hand ins Gesicht, so heftig, dass Ens schwere Brille über das Deck polterte. »Entschuldige dich, Rotzbengel.«
En ließ sich auf ein Knie nieder, die Augen zusammengepresst. Schluchzend holte er einige Male Luft. Dann stand er wieder auf und sammelte seine Brille ein. Etwas zitternd setzte er sie auf und kam zu uns zurück mit einer, wie ich fand, erstaunlichen Würde. Er blieb genau vor Jala stehen. »Nein«, sagte er leise. »Du musst dich entschuldigen.«
Jala schnappte nach Luft, fluchte und hob erneut die Hand.
Ich packte sein Handgelenk mitten im Schwung.
Er sah mich verdutzt an. »Was soll das? Lassen Sie los.«
Er versuchte mir die Hand zu entreißen, doch ich hielt sie fest. »Schlagen Sie ihn nicht noch mal.«
»Ich mache, was ich will!«
»Natürlich. Aber schlagen Sie ihn nicht noch mal.«
»Sie — nach allem, was ich für Sie getan habe…!« Er blickte mir ins Gesicht. Und stockte.
Ich weiß nicht, was er in meinen Augen sah. Ich weiß nicht mal genau, was ich in diesem Augenblick empfand. Was immer es war, es schien ihn zu verwirren. Sein Arm erschlaffte. »Verrückter Scheißamerikaner«, sagte er kleinlaut. »Ich gehe in die Kantine.« Und an die kleine Ansammlung von Kindern und Matrosen, die uns mittlerweile umringte, gewandt, fügte er hinzu: »Wo ich hoffentlich ein bisschen Ruhe und Respekt finde!« Er stakste davon.
En starrte mich mit offenem Mund an.
»Tut mir Leid, das alles«, sagte ich.
Er nickte.
»Den Ball kann ich euch allerdings nicht wiederholen.«
Er berührte seine Wange an der Stelle, wo Jala ihn erwischt hatte. »Nicht so schlimm.«