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Doch sogar dieser zensierte Kontakt mit dem Mars hatte sein Maß an Zwietracht gesät. Die egalitäre Wirtschaftsweise der Fünf Republiken hatte Wun Ngo Wen zu einer Art Maskottchen der neuen globalen Arbeiterbewegung gemacht. Ich war reichlich schockiert, Wuns Gesicht auf Transparenten zu erblicken, die von Textilarbeiterinnen aus den asiatischen Fabrikzonen oder von Chipsockelaufsteckern aus den zentralamerikanischen Maquiladoras getragen wurden — aber ich bezweifle, dass es ihm missfallen hätte.

Diane reiste zu E. D.s Beerdigung in die USA, fast auf den Tag genau elf Jahre, nachdem ich sie von der Condon-Ranch befreit hatte.

Wir hatten in den Nachrichten von seinem Tod erfahren, wobei beiläufig erwähnt worden war, dass E. D.s Exfrau Carol sechs Monate vor ihm gestorben war, ein weiterer Schock für Diane. Carol hatte schon vor Jahren aufgehört, unsere Anrufe entgegenzunehmen. Zu gefährlich, sagte sie. Es reiche ihr zu wissen, dass wir in Sicherheit seien. Und es gab im Grunde auch nichts zu sagen.

Diane besuchte das Grab ihrer Mutter, während sie in Washington war. Am meisten bedrückte sie, wie sie sagte, dass Carols Leben so unvollständig gewesen sei: ein Verb ohne Objekt, ein anonymer Brief, missverstanden, weil die Unterschrift fehlte. »Es ist weniger sie, die mir fehlt, als die, die sie hätte sein können.«

Bei E. D.s Trauerfeier achtete sie sorgfältig darauf, sich nicht zu erkennen zu geben. Zu viele seiner politischen Kumpanen waren anwesend, darunter der Vizepräsident und der Justizminister. Doch ihre besondere Aufmerksamkeit galt einer unbekannten Frau auf einer der hinteren Bänke, die ihrerseits immer wieder verstohlen zu Diane sah. »Ich wusste sofort, dass sie eine Vierte ist«, sagte sie später. »Ich kann gar nicht genau sagen, warum. Ihre Haltung, die alterslose Erscheinung — aber es war noch mehr, es war wie ein Signal, das zwischen uns hin- und herlief.« Als die Zeremonie beendet war, ging sie auf die Frau zu und fragte sie, auf welche Weise sie mit E. D. bekannt gewesen war.

»Ich war nicht mit ihm bekannt«, erwiderte die Frau. »Nicht im eigentlichen Sinne. Ich war eine Weile im Forschungsteam bei Perihelion, in der Zeit, als Jason Lawton dort der Leiter war. Ich heiße Sylvia Tucker.«

Der Name kam mir gleich bekannt vor, als Diane ihn nannte. Sylvia Tucker war eine der Anthropologinnen, die in Florida mit Wun Ngo Wen zusammengearbeitet hatten. Sie war freundlicher gewesen als die meisten anderen der befristet angestellten Wissenschaftler — gut möglich, dass Jason sich ihr anvertraut hatte.

»Wir haben E-Mail-Adressen ausgetauscht«, sagte Diane. »Keiner von uns hat das Wort ›Vierte‹ ausgesprochen. Aber wir wussten es beide, da bin ich sicher.«

Eine Korrespondenz folgte nicht daraus, doch von Zeit zu Zeit erhielt Diane digitale Presseausschnitte von Sylvia Tuckers Adresse. Diese betrafen zum Beispieclass="underline" Einen Industriechemiker aus Denver, der auf Grund einer Sicherheitsverfügung verhaftet und auf unbestimmte Zeit in Gewahrsam genommen worden war; eine geriatrische Klinik, die auf Grund eines Bundeserlasses geschlossen worden war, einen Soziologieprofessor von der University of California, der bei einem Feuer ums Leben gekommen war, es wurde Brandstiftung vermutet; und so weiter.

Ich hatte bewusst keine Liste der Adressen aufbewahrt, an die Jasons Päckchen gegangen waren, und sie auch nicht auswendig gelernt. Doch einige der Namen in den Artikeln klangen durchaus vertraut.

»Sie will uns mitteilen, dass wir gejagt werden«, sagte Diane. »Die Regierung jagt Vierte.«

Einen Monat lang diskutierten wir, was wir machen würden, wenn wir die gleiche Art von Aufmerksamkeit auf uns zögen. Wohin sollten wir fliehen, angesichts des globalen Sicherheitsapparats, den Lomax und seine Erben aufgebaut hatten?

Im Grunde gab es darauf nur eine plausible Antwort. Nur einen Ort, wo dieser Apparat nicht tätig werden konnte, wo die Überwachung vollkommen blind war. Wir machten also unsere Pläne — diese Pässe, jenes Bankkonto, diese Route über Europa nach Südasien — und legten sie beiseite, bis wir sie brauchen würden.

Dann empfing Diane eine letzte Nachricht von Sylvia Tucker, die aus nur zwei Wörtern bestand: Haut ab.

Und das taten wir.

Auf der letzten Etappe der Reise, beim Anflug auf Sumatra, sagte Diane: »Bist du sicher, dass du es tun willst?«

Ich hatte die Entscheidung vor einigen Tagen getroffen, während eines Zwischenaufenthalts in Amsterdam, als wir immer noch Sorge hatten, dass wir verfolgt würden, dass unsere Pässe markiert seien, dass unser Vorrat an marsianischen Pharmazeutika doch noch beschlagnahmt werden würde.

»Ja«, erwiderte ich. »Bevor wir die Überfahrt machen.«

»Ganz sicher?«

»So sicher, wie man sein kann.«

Nein, nicht sicher. Aber bereit. Bereit, das zu verlieren, was verloren gehen würde, und bereit, das anzunehmen, was zu gewinnen war.

Diane und ich mieteten uns also ein Zimmer im dritten Stock eines im Kolonialstil gehaltenen Hotels in Padang, wo wir für eine Weile unbemerkt bleiben würden. Wir alle fallen, sagte ich mir, und ein jeder landet irgendwo.

Nördlich von Überall und Nirgends

Eine halbe Stunde vor der Querung des Bogens, eine Stunde nach Anbruch der Dunkelheit, trafen wir im Speiseraum der Mannschaft auf En. Einer der Matrosen hatte ihm, um ihn zu beschäftigen, einen Bogen Papier und ein paar Stifte gegeben.

Er schien erleichtert, uns zu sehen. Er sei ein bisschen besorgt wegen der Überfahrt, sagte er. Er rückte seine Brille zurecht — leicht zusammenzuckend, als sein Daumen die wunde Stelle berührte, die Jalas Schlag auf seiner Wange hinterlassen hatte — und fragte mich, wie das vor sich gehen würde.

»Ich weiß es nicht. Ich habe die Fahrt noch nie gemacht.«

»Werden wir es merken, wenn es soweit ist?«

»Von der Crew habe ich gehört, dass der Himmel dann ein bisschen seltsam wird. Und in dem Moment, wo die Querung stattfindet, wenn wir uns genau zwischen der alten und der neuen Welt befinden, springt die Kompassnadel um, von Nord auf Süd. Und auf der Brücke lassen sie die Schiffshupe ertönen. Du wirst es nicht verpassen.«

»Eine weite Reise. In kurzer Zeit.«

Wie wahr. Der Bogen — jedenfalls unsere »Seite« — war, bevor er sich aus dem Orbit herabgesenkt hatte, quer durch den interstellaren Raum herbeigeschafft worden, vermutlich in einer Geschwindigkeit, die unter der des Lichts lag. Doch die Hypothetischen hatten Äonen von Spinzeit zur Verfügung gehabt, um den Transport über die Bühne zu bringen. Womöglich hätten sie jede Entfernung bis zu drei Milliarden Lichtjahren überbrücken können, und schon ein winziger Bruchteil dessen befand sich jenseits von allem, was unsere Sinne erfassen konnten.

»Da fragt man sich doch«, sagte Diane, »warum sie sich die ganze Mühe gemacht haben.«

»Nun, Jason zufolge…«

»Ich weiß. Die Hypothetischen wollen uns vor dem Aussterben bewahren, damit wir uns zu etwas Komplexerem entwickeln können. Aber warum wollen sie das? Was erwarten sie von uns?«

En ignorierte unseren theoretischen Exkurs. »Und wenn wir dann übergesetzt haben…«

»Dann«, sagte ich, »ist es noch eine Tagesreise bis Port Magellan.«

Diese Auskunft zauberte ihm ein Lächeln ins Gesicht.

Ich wechselte einen Blick mit Diane. Sie hatte sich En vor zwei Tagen vorgestellt, und inzwischen waren die beiden bereits befreundet. Sie hatte ihm aus einem in der Schiffsbibliothek gefundenen Buch mit englischen Kindergeschichten vorgelesen. Und sie hatte Housman für ihn zitiert: Das Kind hat gar nicht wahrgenommen… »Das gefällt mir nicht«, hatte En gesagt.