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Ich habe einmal ein interessantes Detail über die erste bemannte Mondlandung im Jahre 1969 gelesen. Damals, so hieß es in dem Buch, hätten sich viele Ältere — im neunzehnten Jahrhundert geborene Männer und Frauen, alt genug, sich noch an eine Welt ohne Automobile und Fernseher zu erinnern — geweigert, der Berichterstattung Glauben zu schenken. Worte, die in ihrer Kindheit nur im Zusammenhang mit einem Märchen Sinn ergeben hätten (»zwei Männer sind heute Abend auf dem Mond spazierengegangen«), traten ihnen nunmehr als Tatsachen entgegen. Das konnten sie nicht akzeptieren. Es widersprach ihrem Gefühl dafür, was vernünftig war und was nicht.

Mir erging es jetzt genauso.

Wir werden den Mars terraformen und kolonisieren, sprach mein Freund Jason und er litt keineswegs unter Wahnvorstellungen — jedenfalls nicht mehr als die klugen und mächtigen Menschen, die seine Überzeugung offensichtlich teilten. Das Ganze war also ernst gemeint und es musste, auf irgendeiner bürokratischen Ebene, sogar schon angelaufen sein.

Nach dem Essen machte ich, solange es noch hell war, einen Spaziergang. Mike, der Gartenmann, hatte gute Arbeit geleistet: Der Rasen leuchtete wie das Modell eines Mathematikers, Hege und Pflege einer Grundfarbe. Dahinter krochen schon die Schatten in den Wald. Diane würde es hier gefallen, kam es mir in den Sinn. Wieder dachte ich an jene Sommerzusammenkünfte am Bach, Jahre war es jetzt her, als sie uns aus alten Büchern vorgelesen hatte. Einmal, als wir über den Spin sprachen, zitierte sie einen Vers des englischen Dichters A. E. Housman:

Der Grizzlybär ist wild und groß, Verschlingt das Kind, lässt’s nicht mehr los. Das Kind hat nicht mal wahrgenommen, Wie’s in den Bauch des Bär’n gekommen.

Jason telefonierte gerade, als ich durch die Küchentür wieder ins Haus trat. Er sah mich an, dann drehte er sich weg und senkte die Stimme.

»Nein«, sagte er. »Wenn es so sein muss, aber — nein, ich verstehe. Ist gut. Ich hab ist gut gesagt, oder? Ist gut heißt ist gut.« Er steckte das Telefon in die Tasche.

»War das Diane?«

Er nickte.

»Kommt sie?«

»Sie kommt. Aber es gibt ein paar Dinge, die ich erwähnen möchte, bevor sie hier ist. Das, worüber wir beim Essen gesprochen haben — davon dürfen wir ihr nichts sagen. Und übrigens auch sonst niemandem. Das sind keine für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen.«

»Du meinst, sie sind unter Verschluss?«

»Formal gesehen, ja, vermutlich.«

»Aber du hast mir davon erzählt.«

»Ja. Das war ein Staatsverbrechen.« Er lächelte. »Und ich vertraue darauf, dass du es für dich behältst. Nur ein bisschen Geduld — in ein paar Monaten wird sich CNN damit überschlagen. Außerdem habe ich Pläne mit dir, Ty. Irgendwann in nächster Zeit wird Perihelion Kandidaten für ein extrem raues Siedlungsprojekt prüfen. Wir werden Ärzte aller Fachrichtungen an Ort und Stelle brauchen. Wäre es nicht toll, wenn du das machen könntest, wenn wir zusammen arbeiten könnten?«

Ich erschrak. »Ich hab gerade erst meine Prüfung gemacht, Jase. Ich habe noch keinerlei Praxis.«

»Alles zu seiner Zeit.«

»Du vertraust Diane nicht?«

Sein Lächeln verrutschte. »Nein, ehrlich gesagt. Nicht mehr. Nicht in dieser Sache.« »Wann wird sie hier sein?«

»Morgen Vormittag.«

»Und was ist es, das du mir nicht sagen willst?«

»Sie bringt ihren Freund mit.«

»Ist das ein Problem?«

»Du wirst schon sehen.«

Nichts hat bestand

Ich erwachte und mir war klar, dass ich nicht darauf vorbereitet war, sie wiederzusehen.

Erwachte in E. D.s plüschigem Sommerhaus in den Berkshires, die Sonne schien durch filigrane Spitzenjalousien, und ich dachte: Genug von dem Quatsch! Ich hatte die Nase voll davon. All der selbstsüchtige Blödsinn der letzten acht Jahre, bis hin zu der Affäre mit Candice Boone, die meine Lebenslügen schneller durchschaut hatte als ich. »Du bist ein bisschen fixiert auf diese Lawtons, wie?«, hatte sie einmal angemerkt. Ach, wie kommst du denn darauf?

Ich konnte nicht im Ernst behaupten, dass ich noch in Diane verliebt war. Die Beziehung zwischen uns war nie so eindeutig gewesen. Wir waren beide hinein- und wieder herausgewachsen, wie Weinreben, die durch einen Gitterzaun ranken. Aber in den besten Zeiten war es eine echte, eine enge Verbindung gewesen, getragen von einem in seiner Gewichtigkeit und Reife fast beängstigendem Gefühl. Weshalb ich so sehr darauf bedacht gewesen war, es zu tarnen — es hätte sonst auch ihr Angst gemacht.

Immer noch ertappte ich mich dabei, dass ich imaginäre Gespräche mit ihr führte, meistens spät in der Nacht, als eine Art Bühnengeflüster zum Sternenlosen Himmel. Ich war egoistisch genug, sie zu vermissen, doch auch vernünftig genug, zu wissen, dass wir in Wirklichkeit nie zusammen gewesen waren. Ich war voll und ganz bereit, sie zu vergessen.

Ich war nur nicht darauf vorbereitet, sie wiederzusehen.

Als ich nach unten kam, um mir Frühstück zu machen, saß Jason bereits in der Küche. Er hatte die Tür geöffnet. Frische Luft zog durchs Haus. Ich dachte ernsthaft daran, meine Tasche in den Kofferraum des Hyundais zu werfen und einfach wegzufahren. »Erzähl mir von dieser NK-Sache«, sagte ich.

»Liest du eigentlich überhaupt irgendwelche Zeitungen? Oder werden die Medizinstudenten in Stony Brook in Isolation gehalten?«

Natürlich wusste ich ein bisschen was über NK, eben das, was ich in den Nachrichten gehört oder aus Unterhaltungen in der Mensa aufgeschnappt hatte. Ich wusste, dass NK für »New Kingdom«, »Neues Königreich« stand. Ich wusste, dass es sich um eine vom Spin inspirierte christliche Bewegung handelte — nominell christlich jedenfalls, von Seiten der Kirche, egal welcher Strömung, wurde sie scharf abgelehnt. Ich wusste, dass sie vor allem die Jungen und Unzufriedenen anlockte. Im ersten Jahr in Stony Brook hatten zwei Typen aus meinem Semester das Studium abgebrochen und sich für NK entschieden, hatten eine ungewisse akademische Karriere gegen eine etwas weniger fordernde Erleuchtung eingetauscht.

»Es ist im Grunde eine millenaristische Bewegung«, sagte Jason. »Kommt ein bisschen spät, was das Millenium angeht, aber genau rechtzeitig zum Ende der Welt.«

»Ein Kult, mit anderen Worten.«

»Nein, eigentlich nicht. NK ist ein Schlagwort für das gesamte christlich-hedonistische Spektrum, es ist also kein Kult, obwohl einige kultartige Gruppen dazugehören. Es gibt keinen Führer. Keine heilige Schrift. Nur ein paar abseitige Theologen, mit denen die Bewegung lose assoziiert wird — C. R. Ratel, Laura Greengage, solche Leute.« Ich hatte deren Bücher in den Drugstores gesehen. Spin-Theologie mit Fragezeichentiteln: Erleben wir die Wiederkunft Christi? Überleben wir das Ende der Zeit? »Und auch kein großes Programm, abgesehen von einer Art Wochenendkommunalismus. Aber was die Massen anzieht, das ist nicht die Theologie. Hast du schon mal Berichte oder Bilder von diesen NK-Versammlungen gesehen, vor allem die, die sie Ekstasis nennen?«

Das hatte ich, und anders als Jason, dem die Angelegenheiten des Fleisches doch immer eher fremd geblieben waren, konnte ich die Faszination nachvollziehen. Was ich gesehen hatte, war eine Videoaufzeichnung einer Zusammenkunft in den Cascades, aus dem Sommer letzten Jahres. Es hatte ausgesehen wie eine Mischung aus einem Baptistenpicknick und einem Grateful-Dead-Konzert. Eine sonnige Wiese, Blumen, zeremonielle weiße Gewänder, ein Typ mit null Prozent Körperfett, der auf einem Schofar blies. Bei Einbruch der Dunkelheit brannte ein großes Feuer und für die Musiker war eine Bühne errichtet worden. Dann fielen die Gewänder und das Tanzen begann. Und auch einige intimere Handlungen.

Bei aller von weiten Teilen der Medien bekundeten Abscheu — das Ganze hatte auf mich rührend unschuldig gewirkt. Keine Predigten, nur ein paar hundert Pilger, die der Auslöschung ins aufgerissene Maul lächelten und ihren Nächsten so liebten, wie sie selbst geliebt werden wollten. Der Film war auf DVD gebrannt worden und kursierte landesweit in den Studentenwohnheimen, unter anderem auch in Stony Brook. Kein Sexualakt ist so Garten-Eden-mäßig, dass ein einsamer Medizinstudent sich dazu nicht einen runterholen könnte.