»Schwer, sich vorzustellen, dass Diane von so etwas wie NK angezogen wird.«
»Im Gegenteil, Diane repräsentiert das Zielpublikum. Sie hat eine Todesangst vor dem Spin und allem, was er für die Welt impliziert. NK ist ein Schmerzmittel für Leute wie sie. Es verwandelt das, wovor sie am meisten Angst haben, in einen Gegenstand der Anbetung, die Eingangstür ins Königreich des Himmels.«
»Wie lange ist sie schon dabei?«
»Inzwischen fast ein Jahr. Seit sie Simon Townsend kennen gelernt hat.«
»Simon ist ein NKler?«
»Simon, fürchte ich, ist ein hundertfünfzigprozentiger NKler.«
»Hast du ihn schon einmal gesehen?«
»Sie hat ihn letzte Weihnachten mit ins Große Haus gebracht. Ich glaube, sie wollte sich das Feuerwerk ansehen. E. D. hält natürlich gar nichts von Simon. Seine Einstellung war ziemlich offensichtlich.« Jason zuckte kurz zusammen, offenbar bei der Erinnerung an einen Wutanfall, der selbst für E. D.s Verhältnisse spektakulär gewesen sein musste. »Aber Diane und Simon haben das NK-Ding durchgezogen — nämlich die andere Wange hingehalten. Sie haben ihn praktisch zu Tode gelächelt. Ich meine, buchstäblich. Er war nur noch einen sanften, vergebenden Blick von der Herzstation entfernt.«
Eins zu null für Simon, dachte ich. »Ist er gut für sie?«
»Er ist genau das, was sie will. Und er ist das Letzte, was sie braucht.«
Sie trafen nachmittags ein, knatterten die Auffahrt hoch in einem fünfzehn Jahre alten Tourenwagen, der mehr Öl zu verbrennen schien als der Rasenmäher von Mike, dem Gartenmann. Diane saß am Steuer. Sie hielt an und stieg auf der abgewandten Seite des Autos aus, verdeckt vom Dachgepäckträger, während Simon, schüchtern lächelnd, uns direkt vor die Augen trat.
Er war ein gut aussehender Mann. Eins fünfundachtzig oder etwas drüber; dünn, aber kein Schwächling; ein etwas pferdeähnliches Gesicht, was jedoch durch die ungebärdigen goldblonden Haare gut ausbalanciert wurde. Sein Lächeln offenbarte einen Spalt zwischen den oberen Schneidezähnen. Er trug Jeans, ein kariertes Hemd und um den linken Oberarm ein blaues, wie ein Tourniquet gebundenes Tuch; das war ein NK-Emblem, wie ich später erfuhr.
Diane kam um den Wagen herum und stellte sich neben ihn, beide sahen zur Veranda herauf, wo Jason und ich sie erwarteten. Auch sie trug die aktuelle NK-Mode: kornblumenblaues, bodenlanges Kleid, blaue Bluse und ein alberner schwarzer, breitkrempiger Hut, von der Art, wie ihn die Amish-Männer tragen. Aber die Sachen standen ihr, oder besser gesagt, sie verliehen ihr einen angenehmen Rahmen, deuteten auf robuste Gesundheit und bäuerliche Sinnlichkeit. Ihr Gesicht war so lebendig wie eine ungepflückte Beere. Sie schirmte ihre Augen gegen die Sonne ab und grinste — besonders in meine Richtung, wie ich glauben wollte. Mein Gott, dieses Lächeln. Irgendwie echt und schelmisch zugleich.
Ich begann mich sehr verloren zu fühlen.
Jasons Handy trillerte. Er zog es aus der Tasche und sah auf das Display.
»Muss ich entgegennehmen«, flüsterte er.
»Lass mich hier jetzt nicht allein, Jase.«
»Geh nur kurz in die Küche. Bin gleich wieder da.«
Er tauchte ab, gerade als Simon seinen großen Matchbeutel mit Schwung auf die Holzbretter der Veranda hievte und sagte: »Du musst Tyler Dupree sein.«
Er streckte die Hand aus. Ich schüttelte sie. Er hatte einen festen Händedruck und einen honigsüßen Südstaatenakzent, die Vokale wie poliertes Treibholz, die Konsonanten höflich wie eine Visitenkarte. Aus seinem Mund klang mein Name hundertprozentig nach Cajun, obwohl meine Familie nie weiter südlich als bis nach Millinocket gekommen war. Diane schnellte hinter ihm hoch, schrie »Tyler!« und packte mich in einer wilden Umarmung. Plötzlich hatte ich ihr Haar im Gesicht, und alles, was ich noch registrieren konnte, war ihr sonniger, salziger Geruch.
Wir zogen uns auf angemessenen Armlängenabstand zurück. »Tyler, Tyler«, rief sie, als hätte ich mich in etwas überaus Bemerkenswertes verwandelt. »Du siehst gut aus nach all den Jahren.«
»Acht«, sagte ich, um irgendetwas zu sagen. »Acht Jahre.«
»Wow, ist das wahr?«
Ich half ihnen, das Gepäck reinzutragen, führte sie in den Salon mit direkter Verbindung zur Veranda und eilte dann davon, um Jason zu holen, der in der Küche mit seinem Handy interagierte. Er kehrte mir den Rücken zu, als ich reinkam.
»Nein«, sagte er gerade. Seine Stimme klang angespannt. »Nein… nicht einmal das State Department?«
Ich erstarrte. Das State Department. Auweia.
»Ich könnte in ein paar Stunden da sein, falls — oh, verstehe. Okay. Nein, das ist in Ordnung. Aber haltet mich auf dem Laufenden. Genau. Danke.«
Er steckte das Telefon weg und bemerkte, dass ich da war.
»War das E. D.?«, fragte ich.
»Sein Assistent.«
»Alles in Ordnung?«
»Na komm, Tyler, soll ich dir etwa alle Geheimnisse verraten?« Er versuchte sich an einem Lächeln, nicht sehr erfolgreich. »Ich wünschte, du hättest das nicht mitgehört.«
»Ich hab nur gehört, wie du angeboten hast, nach D.C. zu kommen und mich hier mit Simon und Diane allein zu lassen.«
»Tja… werde ich vielleicht müssen. Die Chinesen stellen sich störrisch.«
»Störrisch? Was heißt das?«
»Sie weigern sich, den geplanten Raketenstart ganz abzublasen. Sie wollen sich diese Option offenhalten.«
Den nuklearen Angriff auf die Spin-Artefakte, meinte er. »Ich nehme an, irgendjemand versucht gerade, ihnen das auszureden?«
»Die Diplomatie läuft auf vollen Touren. Sie ist nur nicht gerade sehr erfolgreich. Die Verhandlungen sind offenbar festgefahren.«
»Also — na ja, Scheiße, Jase! Was bedeutet es, wenn sie tatsächlich losschlagen?«
»Es würde bedeuten, dass zwei thermonukleare Fusionswaffen in unmittelbarer Nähe zu unbekannten, mit dem Spin in Verbindung stehenden Vorrichtungen zur Detonation gebracht werden. Was die Folgen betrifft — nun, das ist eine interessante Frage. Aber noch ist es nicht passiert. Wird es wahrscheinlich auch nicht.«
»Du sprichst hier vom Weltuntergang. Oder vom Ende des Spins…«
»Nicht so laut, bitte. Wir haben Gäste, erinnerst du dich? Außerdem solltest du nicht überreagieren. Was die Chinesen beabsichtigen, ist übereilt und wahrscheinlich sinnlos, aber selbst wenn sie es in die Tat umsetzen, wird es nicht zur Selbstauslöschung kommen. Was immer die Hypothetischen sind, sie werden sich zu verteidigen wissen, ohne uns dabei zu vernichten. Außerdem sind die Polarartefakte nicht zwangsläufig die Vorrichtung, die den Spin ermöglicht. Sie könnten auch Beobachtungsplattformen sein, Kommunikationsapparate oder vielleicht sogar Lockvögel.«
»Wenn die Chinesen nun doch losschlagen, wie viel Vorwarnungszeit kriegen wir dann?«
»Kommt drauf an, wen du mit ›wir‹ meinst. Die Öffentlichkeit wird vermutlich nichts erfahren, nicht, bevor es vorbei ist.«
Das war der Moment, in dem ich begriff, dass Jason nicht einfach nur der Lehrling seines Vaters war, sondern bereits begonnen hatte, sich seine eigenen Verbindungen nach ganz oben zu schaffen. Später sollte ich viel mehr über die Perihelion-Stiftung und die Arbeit, die Jason dort machte, erfahren, vorerst aber gehörte dies alles für mich zu Jasons Schattenleben. Schon als Kind hatte er bereits ein solches Leben geführt: außerhalb des Großen Hauses war er das Mathe-Wunderkind gewesen, das die private Eliteschule so spielend leicht absolvierte wie ein Masters-Titelträger die Hindernisse eines Minigolfplatzes; zu Hause aber war er einfach Jase, und wir hatten sehr darauf geachtet, dass es so blieb.