Der Himmel über den Berkshires jedenfalls war so ungetrübt wie Waterford-Kristall, als die chinesischen Sprengköpfe ihr Ziel erreichten, um 19:55 Uhr Ostküstenzeit.
Ich saß mit Diane im Wohnzimmer, als das Telefon klingelte.
Hatten wir vor Jasons Anruf irgendetwas bemerkt? Eine Veränderung des Lichts, so unauffällig wie das Gefühl, eine Wolke hätte sich vor die Sonne geschoben? Nein. Nichts. Meine ganze Aufmerksamkeit war auf Diane gerichtet. Wir schlürften Mixgetränke und redeten über Lappalien: Bücher, die wir gelesen, Filme, die wir gesehen hatten. Die Unterhaltung war elektrisierend, nicht wegen der Themen, um die es ging, sondern wegen des Tonfalls, wegen dieses bestimmten Rhythmus, in den wir verfielen, sobald wir allein waren, jetzt wie früher. Jedes Gespräch zwischen Freunden oder Liebenden schafft sich seinen eigenen fließenden oder stockenden Rhythmus, verborgenes Sprechen, das wie ein unterirdisches Gewässer selbst unter dem banalsten Wortwechsel mitfließt. Was wir sagten, was wir aussprachen, war platt und konventionell, aber der Subtext war tief und reichlich tückisch.
Schon bald flirteten wir miteinander, als hätten Simon Townsend und die vergangenen acht Jahre keinerlei Bedeutung. Zuerst im Scherz, dann vielleicht nicht mehr im Scherz. Ich sagte ihr, dass sie mir gefehlt habe. Sie sagte: »Es gab Zeiten, wo ich mit dir reden wollte. Unbedingt. Aber ich hatte deine Nummer nicht, oder ich dachte mir, du bist bestimmt zu beschäftigt.«
»Du hättest meine Nummer herausfinden können. Und ich war nicht zu beschäftigt.«
»Du hast Recht. In Wahrheit war es mehr… moralische Feigheit.«
»Bin ich denn so furchteinflößend?«
»Nicht du. Unsere Situation. Ich hatte wohl irgendwie das Gefühl, ich müsste mich bei dir entschuldigen. Und ich wusste nicht, wie ich das anfangen sollte.« Sie lächelte matt. »Ich glaube, ich weiß es immer noch nicht.«
»Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest, Diane.«
»Danke, dass du das sagst, aber ich denke anders darüber. Wir sind keine Kinder mehr. Es ist uns möglich, mit einer gewissen Einsicht zurückzublicken. Wir waren uns so nahe, wie man es, ohne Berührung, nur sein kann. Aber diese Berührung, das war genau das, was uns nicht möglich war. Wir konnten nicht einmal darüber reden. Als hätten wir ein Schweigegelöbnis abgelegt.«
»Seit der Nacht, als die Sterne verschwanden«, sagte ich mit trockenem Mund, entsetzt über mich selbst, erschrocken, erregt.
Diane wedelte mit der Hand. »Diese Nacht — weißt du, was für Erinnerungen ich an diese Nacht habe? Jasons Fernglas. Ich hatte es auf das Große Haus gerichtet, während ihr beiden in den Himmel gestarrt habt. An die Sterne kann ich mich wirklich überhaupt nicht erinnern. Woran ich mich erinnere, ist, dass ich plötzlich Carol in einem der hinteren Zimmer mit jemandem vom Partyservice gesehen habe. Es sah aus, als würde sie sich an ihn ranmachen.« Sie lachte verschämt. »Das war meine eigene kleine Apokalypse. Alles, was ich schon damals an dem Großen Haus hasste, an meiner Familie, das verdichtete sich in dieser einen Nacht. Ich wollte einfach so tun, als würde das alles nicht existieren. Keine Carol, kein E. D., kein Jason…«
»Kein ich?«
Sie rückte auf dem Sofa heran und legte, da es jetzt diese Art von Gespräch geworden war, eine Hand auf meine Wange. Ihre Hand war kühl — die Temperatur des Drinks, den sie gehalten hatte. »Du warst die Ausnahme. Ich hatte Angst. Du warst unglaublich geduldig. Ich habe das sehr geschätzt.«
»Aber wir konnten…«
»Uns nicht berühren.«
»Ja. E. D. hätte es niemals zugelassen.«
Sie zog ihre Hand zurück. »Wir hätten es vor ihm verheimlichen können, wenn wir gewollt hätten. Aber du hast Recht, E. D. war das Problem. Er hat alles kontaminiert. Es war obszön, wie er deine Mutter gezwungen hat, ein Leben zweiter Klasse zu führen. Das war so entwürdigend. Darf ich das beichten? Ich habe es absolut gehasst, seine Tochter zu sein. Am abscheulichsten fand ich die Vorstellung, dass, falls zwischen uns, na ja, irgendwas entstehen würde, es für dich vielleicht nur eine Möglichkeit wäre, dich an E. D. Lawton zu rächen.« Sie ließ sich zurücksinken, offenbar selbst ein bisschen überrascht.
»Natürlich wäre es nicht so gewesen.«
»Ich war verwirrt.«
»Ist es das, was NK für dich ist? Rache an E. D.?«
»Nein.« Sie lächelte. »Ich liebe Simon nicht, weil er meinen Vater wütend macht. So simpel ist das Leben nicht, Ty.«
»Ich wollte damit nicht andeuten…«
»Aber du siehst, wie schwierig das ist? Ein gewisser Verdacht scheint dir naheliegend und setzt sich in deinem Kopf fest. Nein, NK hat nichts mit meinem Vater zu tun. Sondern damit, die Göttlichkeit in dem zu entdecken, was mit der Erde geschehen ist. Und diese Göttlichkeit im täglichen Leben auszudrücken.«
»Vielleicht ist der Spin auch nicht so simpel.«
»Wir werden entweder ermordet oder verwandelt, sagt Simon.«
»Er hat mir erzählt, ihr errichtet den Himmel auf Erden.«
»Ist es nicht das, was den Christen aufgegeben ist? Das Königreich Gottes schaffen, indem sie ihm in ihrem Leben Ausdruck verleihen?«
»Oder jedenfalls dazu tanzen.«
»Jetzt klingst du wie Jason. Klar, ich kann nicht alles an der Bewegung gutheißen. Letzte Woche waren wir auf einem Konklave in Philadelphia und haben dort ein anderes Paar kennen gelernt, in unserem Alter, freundlich, intelligent — lebendig im Geist, nannte Simon sie. Wir sind zusammen essen gegangen und haben über die Parusie gesprochen. Dann haben sie uns in ihr Hotelzimmer eingeladen und plötzlich fingen sie an, Kokslinien auf den Tisch zu streuen und Pornovideos abzuspielen. Es werden auch alle möglichen Randgruppen von NK angezogen, keine Frage. Und für die meisten von ihnen existiert die Theologie kaum, außer als verschwommenes Bild vom Garten Eden. Aber in ihren besten Ausprägungen ist die Bewegung all das, was sie zu sein beansprucht — ein echter, lebendiger Glaube.«
»Glaube woran? Ekstasis? Promiskuität?«
Ich bedauerte meine Worte in dem Moment, als ich sie ausgesprochen hatte. Diane schien verletzt. »Ekstasis bedeutet nicht Promiskuität. Jedenfalls nicht, wenn sie gelingt. Aber im Leib Gottes ist keine Handlung verboten, solange sie nicht der Rachsucht oder der Wut entspringt, solange sie sowohl göttliche als auch menschliche Liebe ausdrückt.«
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Ich muss etwas schuldbewusst dreingeblickt haben. Diane sah mein Gesicht und lachte.
Jasons erste Worte, als ich abnahm: »Ich habe gesagt, es würde eine Vorwarnung geben. Tut mir Leid. Ich hatte Unrecht.«
»Was?«
»Hast du den Himmel nicht gesehen, Tyler?«
Also gingen wir nach oben, um uns ein Fenster zu suchen, von dem aus man den Sonnenuntergang sehen konnte.
Das Schlafzimmer nach Westen war großzügig geschnitten, mit einer Mahagoni-Chiffoniere, einem Bett mit Messinggeländer und großen Fenstern. Ich zog die Vorhänge auf. Diane stockte der Atem.
Da war keine untergehende Sonne. Oder, besser gesagt, da waren gleich mehrere.
Der gesamte westliche Himmel war erleuchtet. Statt einer einzelnen Sonnenkugel war ein rötlich schimmernder Bogen zu sehen, der sich über mindestens fünfzehn Grad des Horizonts erstreckte, und was in ihm enthalten war, das sah aus wie eine flackernde Vielfachbelichtung von einem Dutzend oder mehr Sonnenuntergängen. Das Licht war erratisch, es loderte auf und verblasste wie ein fernes Feuer.