Wie die meisten Jobs im Rennsport war das Pferdetransporterfahren mehr Lebensstil als bloßer Broterwerb, und so übten nur Leute, die Spaß daran hatten, den Beruf aus. Er erforderte Ausdauer, aber auch gute Laune und Anpassungsfähigkeit. Brett war ein Fehlgriff gewesen.
Die Nachricht von seinem Weggang hatte sich in der Rennwelt bereits herumgesprochen, und schon vor elf an diesem Morgen hatten die ersten zwei Bewerber wegen der Stelle angerufen. Ich wies sie beide ab: einer hatte für zu viele andere Firmen gearbeitet, der andere war über sechzig, zu alt für die großen körperlichen Anforderungen und ungeeignet als Langzeitkandidat.
Ich rief Harve. an und sagte ihm, ich hätte eine Aushilfsfahrerin eingestellt, die Pat bis zu ihrer Genesung vertreten solle. Sie werde die Taunton-Fahrt für Pat übernehmen.
«Gut«, sagte Harve arglos.
Bis jetzt sah die kommende Woche weniger betriebsam aus als die gerade zu Ende gegangene, und das war unter den gegebenen Umständen gar nicht so schlecht. Ich würde gemütlich als Zuschauer nach Cheltenham fahren und zusehen, wie andere Kerle den Gold Cup errangen und sich das Schlüsselbein zertrümmerten.
Jericho Rich riß mich per Telefon aus der unnützen Nostalgie.
«Sie haben meine Stuten also gut nach Newmarket gebracht«, brüllte er.
«Ja, Jericho. «Ich hielt den Hörer ein paar Zentimeter vom Ohr weg.
«Wahrscheinlich wissen Sie, daß ich in Ihrem Büro nach dem Rechten gesehen habe. Ein gut geführter Laden, das muß man Ihnen lassen.«
Heiliger Strohsack, dachte ich. Der Himmel würde einstürzen.
«Ich habe eine Tochter«, sagte er laut.
«Äh, ja, ich kenne sie vom Rennplatz her.«
«Sie hat sich ein Springpferd gekauft, mit so einem verdammten Phantasienamen. Komm nicht mehr drauf. Es steht in Frankreich. Lassen Sie es abholen, ja?«
«Mit Vergnügen, Jericho. Wann und wo?«
«Das sagt sie Ihnen. Rufen Sie sie an. Ich sagte ihr, ich zahle den Transport, wenn Sie ihn übernehmen, darum erweist sie Ihnen die Ehre. «Er lachte schallend, aber für seine Verhältnisse fast gedämpft.»Daß Sie aber nicht diesen Fahrer schicken. Den, der den Anhalter mitgenommen hat.«
«Der ist weg«, beruhigte ich ihn.»Haben meine Mädchen Ihnen das nicht gesagt?«
«Doch, ja. «Er gab mir die Telefonnummer seiner Tochter durch.»Rufen Sie gleich an. Jetzt oder nie.«
«Danke, Jericho.«
Ich rief wie angewiesen die Tochter an und ließ mir als erstes die Daten des Springpferdes geben: Alter, Geschlecht, Farbe, Wert, alles für die Agenten, die den Papierkram für das Pferd und die Übernachtung für den Fahrer regeln würden. Sie hörte sich offen und direkt an, nicht so heikel wie ihr Vater, und bat mich lediglich, die Überführung so bald wie möglich vorzunehmen, da sie noch arbeiten müsse, bevor die Turniersaison anfing. Sie gab mir die Adresse und die Rufnummer in Frankreich und fragte, ob ich einen Begleiter für das Pferd besorgen könne.
«Ich könnte von hier aus einen guten Mann mitschik-ken«, schlug ich vor.»Einen, dem ich vertraue.«
«Ja. Prima. Senden Sie die Rechnung an meinen Vater.«
Ich sagte, das würde ich tun. Eines mußte man Jericho Rich zugute halten, er zahlte pünktlich. Meistens stellte ich den Trainern den Transport ihrer Pferde insgesamt in
Rechnung, und die Trainer rechneten dann mit den einzelnen Besitzern ab, doch Jericho Rich wollte seine Rechnungen immer direkt erhalten. Jericho glaubte, die Trainer würden mehr von ihm verlangen, als sie bezahlt hatten, wie er ja überhaupt jedem mißtraute, der für ihn arbeitete.
Im großen ganzen wirft man anderen die Dinge vor, die zu tun man selbst imstande wäre. Unehrlichkeit beginnt daheim.
Er hatte mich seinerzeit beschuldigt, für die Niederlage eines seiner Hürdler Schmiergeld von einem Buchmacher kassiert zu haben. Ich hatte ihm höflich mitgeteilt, daß ich nicht mehr für ihn reiten würde, und eine Woche darauf hatte er mir, als sei nichts geschehen, ein riesiges Pauschalhonorar angeboten, wenn ich in der nächsten Saison alle seine Hindernispferde ritt. Es hatte sich rentiert: Ich nahm sein Gebrüll in Kauf, und er gab mir einen großzügigen Bonus, wenn ich siegte. Seitdem ließ unsere Beziehung sich vielleicht als andauernde Waffenruhe bezeichnen.
Ich warf einen raschen Blick auf die Uhr und stellte die Leitung zu Isobel durch, die sonntags Bestellungen aufnahm, wenn ich zu tun hatte. Dann erledigte ich solche Kleinigkeiten wie Anziehen und Aufräumen und ging in den Garten, um Blumen zu pflücken. Diese beschauliche Tätigkeit erklärte sich aus dem intensiven Zureden meiner beiden abwesenden Geschwister, die der Meinung waren, daß hin und wieder frische Blumen auf das Grab unserer Eltern gehörten. Da ich, der Jüngste, das Haus der Familie geerbt hatte und auch in der Nähe des Friedhofs wohnte, fanden sie es nur recht und billig, daß ich die Blumen pflückte und sie niederlegte. Entscheidend war für sie, daß die Blumen aus dem richtigen Garten kamen. Gekaufte Blumen waren nicht dasselbe.
Außer Osterglocken gab es in der ersten Märzwoche nur wenig, aber ich ergatterte auch ein paar Krokusse und eine frühe Hyazinthe, steckte ein paar Zweige Immergrün hinzu und fuhr damit zu dem gepflegten Friedhof am Hang, auf dem wir im Abstand von kaum zwei Jahren vor längerer Zeit die Eltern beerdigt hatten.
Der Weg machte mir nie etwas aus. Das Grab lag ganz oben auf der Höhe, aber die Aussicht lohnte den Spaziergang dort hinauf, und da ich überhaupt nicht das Gefühl hatte, daß meine Eltern noch irgendwie da waren, hinterließ ich die Blumen im Grunde als Dank für eine angenehme Kindheit, die sie mir geschenkt hatten.
Die Blumen würden natürlich welken. Sie hinzubringen war alles, worauf es ankam.
Maudie Watermeads Mittagessen begann im Frühjahrssonnenschein im Garten, wo ihre jüngsten Kinder und ihre jungen Gäste Trampolin sprangen und die älteren Tennis spielten. Ein paar Feiglinge, die untätig herumstanden, trieb die noch immer kühle Märzluft durch die Gartentür zurück ins Wohnzimmer, zum wohltuend lodernden Kaminfeuer und zu Champagnercocktails a la Maudie: Angosturabitter auf Zuckerwürfeln, bis zum Rand aufgefüllt mit rotem Schampus.
Benjy und Dot Usher spielten in langen Hosen auf dem harten Tennisplatz und zankten darüber, ob die Bälle drin oder draußen waren. Wir bestritten ein wenig sportliches gemischtes Doppel, Dot und ich mit schlechten Karten gegen Benjy und die Watermead-Tochter Tessa. Benjy und Tessa genossen ihre Partnerschaft auf eine Weise, die Dot Gift speien ließ, was mich insgeheim amüsierte und unsere Niederlage besiegelte.
Benjy und Tessa, die Sieger, traten gegen den Water-mead-Sohn Ed und Maudies Schwester Lorna an. Dot schaute finster zu, bis ich sie überredete, mit ins Wohnzimmer zu kommen, wo jetzt mehr Leute waren und der Geräuschpegel der Plauderei so angestiegen war, daß die einzelnen Stimmen im allgemeinen Lärm untergingen.
Maudie gab mir ein Glas und schenkte mir ein Lächeln aus den freundlichen blauen Augen, das mich wie gewohnt auf äußerst ehebrecherische Gedanken brachte. Da sie sich über mein Dilemma voll und ganz im klaren war, versuchte sie fortwährend, meine Gefühle auf ihre Schwester Lorna hinzulenken, die zwar auch platinblondes Haar, eine schlanke Taille und endlos lange Beine hatte, aber für mich fehlte da außer den körperlichen Reizen einfach alles. Maudie war lustig, Lorna war bedrückt. Maudie lachte, Lorna setzte sich ernst für lobenswerte Ziele ein. Mau-die machte Bratkartoffeln, Lorna sorgte sich um ihr Gewicht. Maudie fand, ich wäre gut für Lorna, aber ich hatte nicht die Absicht, ihr Therapeut zu werden; auf diesem Weg drohten Langeweile und Desaster. Ich fand, Lorna wäre ideal für Bruce Farway.
Der ehrenwerte Doktor stand gerade mit Maudies Mann am Kamin. In Farways Glas sprudelte es farblos. Mineralwasser, nahm ich an.