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Bedrückt verließ ich die Scheune, indem ich zwar das Licht löschte, die Tür zum Hof aber wie üblich unverschlossen ließ. Was genug ist, ist genug, sagte ich immer. Wir sperrten ja das Werkzeug weg, und am Außentor war das Vorhängeschloß. Die Sicherheit konnte zur fixen Idee werden, und wir hatten uns ohnehin nur gegen Diebe geschützt, nicht gegen Schmuggler.

Nicht gegen Mord.

Ich schrak heftig vor dem Wort zurück. Ich konnte es nicht glauben. Wollte es nicht glauben.

Mord geschah doch nicht einfach. Nicht Jogger. Nicht wegen einer leeren Kassette und zwei leeren Röhren. Nicht weil er in der Kneipe gequatscht hatte.

Ich merkte, daß ich überreagierte und voreilig Schlüsse zog. Am besten, man wartete den Obduktionsbefund ab.

Im Büro dachte ich über Jogger nach: nicht über die Umstände seines Todes, sondern was für ein Mensch er gewesen war.

Ein Einzelgänger, ein alter Soldat, ein Armeelastwagenfahrer, der nur an der nordirischen Grenze zum Fronteinsatz gekommen war. Darüber sprach er so gut wie nie, wenn ich auch wußte, daß mehrere Kameraden, die in der gleichen Kolonne vor ihm fuhren, von einer Bombe zerrissen worden waren.

Ich hatte seine Dienste beim Kauf des Bauernhofes und der Transporter quasi als Teil der Einrichtung miterworben, ein Handel, der ihm offenbar zusagte und für mich ein Glücksfall war. Wo ich jetzt jemand finden sollte, der ebenso geschickt, so anspruchslos und engagiert war, stand in den Sternen.

Ich trauerte auch einfach so, ohne Eigeninteresse, um ihn. Trauerte um ihn als Mensch. Auf seine Weise war er ein ganzer Mensch gewesen, er hatte nicht gebraucht, was andere vielleicht an ihm vermißten. Niemand sollte einem anderen die eigene Vorstellung von einem erfüllten Leben aufzwingen.

Etwas später, als es dunkel zu werden begann, ging ich zu Sandy und holte die Schlüssel von Joggers Lieferwagen. Sandy gab sie mir anstandslos, da er wußte, daß der Lieferwagen mir gehörte; ich mußte nur eine Quittung unterschreiben. Offenbar kam es Sandy nicht in den Sinn, daß einige Schlüssel an dem Ring Joggers eigene sein könnten. Ich ging weiter zu Joggers Stammkneipe und fand dort auch den Lieferwagen auf dem Parkplatz. Auf den ersten Blick schien alles in Ordnung zu sein; auf den zweiten sah ich, daß die beiden Hecktüren einen Spalt geöffnet waren, und im Innern, wo das Rollbrett und ein Haufen Werkzeug in einer großen roten Plastikkiste hätten sein sollen, war nichts als Rost und Staub auf dem nackten Metallboden.

Ich seufzte. Eine ganze Kneipengesellschaft hatte gesehen, wie Jogger von Sandy nach Hause gebracht wurde und einen Lieferwagen voll leichter Beute zurückließ. Wahrscheinlich konnte ich froh sein, daß nicht auch der Lieferwagen selbst verschwunden war und daß er noch Reifen, Räder, Benzin und einen Motor hatte.

Ich fuhr das kurze Stück zu Joggers Bleibe, die ich bisher nur von außen kannte, eine baufällig wirkende Garage mit Dachgeschoß. Vor Zeiten war hier einmal die Wohnung eines Chauffeurs gewesen, wenn auch das dazugehörige Haupthaus längst nicht mehr stand. Jogger hatte mich immer auf dem laufenden gehalten über den viele Monate dauernden Kampf mit den guten Seelen im Gemeinderat, die das Gebäude für unbewohnbar erklären wollten, während er die Ansicht verfocht, daß sein Zuhause so gut sei wie immer und daß nur die Vorstellungen des Gemeinderats sich geändert hätten. Mir schien zwar, daß sich mit diesem Argument auch eine Höhle verteidigen ließ, doch bis dato hatte Jogger sich mit seiner großen pseudologischen Empörung erfolgreich behauptet.

Ich parkte den Lieferwagen vor dem alten Holztor der Garage, öffnete mühsam einen der knarrenden Flügel und ließ genug Straßenlicht herein, um mir den leeren Raum anzuschauen. Jogger hatte gesagt, sein Zimmer sei über eine schmale Treppe hinten in der Garage zu erreichen, und so kam ich oben zu einer dünnen Brettertür, die, als ich die Klinke herunterdrückte, gleich aufging. Schlüssel überflüssig. Ich fand einen Lichtschalter und trat zum erstenmal in Joggers private Welt ein. Einerseits hatte ich das Gefühl, etwas furchtbar Unrechtes zu tun, andererseits dachte ich auch, er würde gewollt haben, daß man sich darum kümmert, daß noch mal einer hingeht und nachsieht, ob sich auch niemand an seinem Besitz vergriffen hat.

Joggers Zuhause war so, wie er es zurückgelassen hatte, ein von den Werkzeugdieben nicht angetastetes Durcheinander. Er hatte jahrelang gut verdient, es aber offensichtlich vorgezogen, so zu leben, als säße ihm die Armut im Nacken. Als Bezug seines durchgesessenen Sessels diente ein schmuddeliges altes Tischtuch, als Tischtuch ein paar Zeitungen, der Fußboden war mit Linoleum ausgelegt. Die Armee hatte ihn vielleicht einmal zu allgemeiner Sauberkeit erzogen, aber nur bei der Arbeit hatte diese Ausbildung sich gegenüber der laxeren Haltung durchgesetzt, die er vermutlich schon als Kind eingeübt hatte. So fühlte er sich zu Hause, so fühlte er sich wohl.

Es gab keine Küche, nur ein paar Becher und Teller auf einer Kommode und daneben Tee, Zucker, Trok-kenmilch und ein paar Schachteln Kekse. Die eine Schublade, die ich öffnete, enthielt einen Wust von alten Kleidern. Der Anzug und das Hemd, die er beim Fahren trug, hingen über einem Kleiderbügel an einem Haken hinter der Tür.

Sein Bett — ein paar durcheinandergeworfene khakifarbene Decken auf einer Liege — war nach herkömmlichen Maßstäben ungemacht. Ausgeschlossen zu sagen, ob er in der vergangenen Nacht darin geschlafen hatte oder nicht.

Ich bemerkte, daß es in dem Raum nicht so kalt war wie draußen, und stieß auf das erste Anzeichen von Luxus, einen kleinen Heizlüfter, der der Natur die Spitze nahm. Da waren auch ein Farbfernseher, drei Kästen Bier, ein blanker Elektrokessel und ein Telefon. An der einen Wand lehnten mehrere Jahrgänge eines leicht pornographischen Wochenmagazins, und in einem Schuhkarton auf einem Bord stieß ich auf seine Geburtsurkunde, die Entlassungspapiere von der Armee und das Sparbuch einer Bausparkasse mit einem Kontostand, der mir die Augenbrauen in die Höhe schob und Aufschluß darüber gab, was er mit seinen Lohntüten angefangen hatte.

Ich ließ seine Papiere, wo ich sie gefunden hatte, und sah noch ein dürftiges Badezimmer, das so war, wie ich es inzwischen erwartete, schwerlich blitzsauber, aber auch nicht abstoßend, ein schlichter Verhau mit Wegwerfrasierern und zahnlückigem Kamm.

Beim Verlassen seines Zimmers ließ ich alles, wie es war, auch den Heizofen. Die ganze Örtlichkeit roch nach ihm, nach Öl, Erde und Staub. Solange sein Geruch blieb, blieb auch er. Der ehrenwerte Gemeinderat würde bald genug alles hinwegfegen.

Ich sperrte seine Tür ab, schloß das Garagentor und fragte mich, während ich mit dem Lieferwagen wieder zum Bauernhof fuhr, warum Jogger ohne seine Schlüssel, ohne seinen Wagen in die Scheune gekommen war… und wann… und wie… und mit wem?

Im Büro lag Joggers Fahrtenbuch auf Isobels Schreibtisch bereit, damit sie die Daten in den Computer eingeben konnte. Ich nahm das Buch mit ins Chefzimmer, setzte mich und las, was Jogger geschrieben hatte.

Nur das Knochengerüst der Fahrt. Keine Bemerkungen. Kein Drumherum. Er hatte vier namentlich genannte Hindernispferde bei einem Stall in Pixhill abgeholt und sie zum Rennen nach Chepstow gebracht. Abfahrtszeit, Ab-holzeit, Ankunft, Zeit der Abfahrt vom Rennplatz, Wiederankunft am Stall, Wiederankunft am Standort. Dieselverbrauch in Litern. Meilenstand vorher, nachher. Säuberung innen und außen. Gesamtzahl der Arbeitsstunden. Anzahl der Stunden am Steuer.

Nichts über Kuckuckseier oder Ufos.

Niedergeschlagen legte ich das Fahrtenbuch wieder auf Isobels Schreibtisch, und ich glaubte nicht, dort im Augenblick noch etwas ausrichten zu können. Vier Wagen waren noch auf Achse, nicht gezählt den in Frankreich und den in Irland, aber Harve würde sie bei der Rückkehr betreuen. Wenn etwas schiefgegangen war, erfuhr ich das schon früh genug. Ich gähnte, schloß ab und fuhr nach Hause.

Erfrischt durch ein schottisches Erzeugnis, setzte ich mich in meinen Drehsessel und spulte das Band des Anrufbeantworters für meinen Privatanschluß zurück. Den Firmenanschluß hatte ich auf Isobels Leitung gelegt, damit sie Aufträge entgegennehmen und die Transporte buchen konnte, aber Privatanrufe kamen über eine andere Nummer. An diesem Sonntag hatte ich den Privat-