Wenn Jogger betrunken gewesen war, als er in die Grube fiel, würde die Obduktion es zeigen. Darüber zu mutmaßen war wirklich sinnlos.
Der ältere der beiden Polizisten fragte als nächstes, ob jemand bei Jogger gewesen sei, als er stürzte. Nicht, daß ich wüßte, sagte ich. War ich persönlich dagewesen? Nein. War ich am Samstag abend nach zehn oder irgendwann am Sonntag morgen auf dem Bauernhof gewesen? Nein.
Ich fragte, weshalb sie solche Fragen stellten, und er sagte, jeder Unfall müsse selbstredend untersucht werden. Bei der amtlichen Totenschau würden Antworten verlangt. Die Polizei, fügte er einschüchternd hinzu, habe die Erfahrung gemacht, daß Leute, die etwas über eine Sache wußten, oft den Mund hielten, um nicht hineingezogen zu werden. Ich unterließ es, ihn zu fragen, wer seiner Meinung nach die Schuld daran trug.
Die Befragung ging noch einige Minuten weiter, wenn auch, soweit ich es beurteilen konnte, für beide Seiten fruchtlos. Sie faßten mich scharf ins Auge, als sie mir sagten, daß sie bei meinen Angestellten Erkundigungen einziehen würden. Ich nickte gelassen, da ich das als selbstverständlich ansah.
Sie baten um eine Liste aller Fahrer, die am Samstag oder Sonntag Dienst gehabt hatten. Ich ging mit ihnen zu
Isobel und bat sie um einen Ausdruck mit allen Abfahrtsund Wiederankunftszeiten.
Sie schüttelte ungehalten den Kopf.
«Hören Sie, Freddie«, sagte sie,»so leid es mir tut, ich krieg heute keinen Piep aus dem Computer. Sobald ich ihn wieder flotthabe, jage ich das durch. «Sie hob einen Stapel Fahrtenbücher hoch.»Die Informationen sind alle hier drin, sie müssen nur eingegeben werden.«
«Klar«, sagte ich leichthin.»Können Sie denn einfach erst mal die Namen rausschreiben? Auf die altmodische Art mit Bleistift und Papier?«
Entgegenkommend schrieb sie die Namen von den Dek-keln der Fahrtenbücher ab und gab die Liste dem Polizisten, der sie stur in Empfang nahm. Als sie gegangen waren, schnitt Isobel ein Gesicht.»Die hätten ruhig danke sagen können, auch wenn mir das Programm abgestürzt ist.«
«Ja, hätten sie.«
Der dürre Reporter kam aus seinem Auto wie ein Kaninchen aus dem Bau, sowie die Polizei abgefahren war, und ich verbrachte die nächsten zehn Minuten damit, ihm zu versichern, daß Jogger ein toller Mechaniker gewesen sei, dessen Verlust sich schmerzlich bemerkbar machen werde; daß die Polizei den Unfall untersuche und wir das Ergebnis ihrer Ermittlungen würden abwarten müssen und so weiter und so fort, ein gerüttelt Maß an Plattheiten, aber nichts als die Wahrheit. Er fuhr dann schließlich unzufrieden weg, aber das konnte ich nicht ändern.
Ein rascher Blick auf meine Uhr zeigte, daß ich die Mittagspause weitgehend verbummelt hatte, ohne etwas für den geplanten Jogger-Gedächtnisumtrunk in der Kneipe zu tun, und so flitzte ich gleich hin und sprach mit dem Wirt.
Er hatte selbst einen Bierbauch und führte behäbig ein schlichtes Lokal, das auf die psychologischen Bedürfnisse von Leuten zugeschnitten war, die sich in zuviel Luxus unwohl fühlten. Sein Kundenkreis umfaßte sowohl Stallangestellte wie auch die abstinente hiesige Intelligenz, und mit beiden Gruppen verstand er sich gut.
«Der alte Jogger war harmlos«, erklärte er.»Samstags hat er sich regelmäßig zugeschüttet. Nicht das erste Mal, daß Sandy ihn nach Hause gefahren hat. Sandy ist ein guter Kerl, da gibt es nichts. Was kann ich für Sie tun?«
Er könne eine Liste schreiben, sagte ich, von allen, die an Joggers letztem Abend mit ihm in der Kneipe waren, und jedem zwei oder drei Halbe zur Erinnerung an ihn ausschenken.
«Sehr anständig von Ihnen, Freddie«, meinte er und nahm die Liste gleich in Angriff, indem er als erstes Sandy Smith aufschrieb, dann Dave und Nigel und noch zwei andere Fahrer von mir. Es folgten Pfleger aus beinah jedem Stall in Pixhill, einschließlich einer neuen Clique von Marigold Englishs Hof, genaue Namen unbekannt.»Sie hatten im Ort nach der besten Kneipe gefragt«, erzählte er mir selbstzufrieden,»und man hat sie hierhergeschickt.«
«Wie sich das gehört«, sagte ich.»Lassen Sie sich ihre Namen geben, dann setzen wir eine Art Gedenkurkunde auf, die wir rahmen und eine Zeitlang hier bei Ihnen an die Wand hängen.«
Der Wirt fing Feuer.»Wir werden dem guten Jogger Ehre machen«, sagte er.»Der war ganz weg.«
«Ehm«, sagte ich nachdenklich,»er hat nicht zufällig ein paar berühmte letzte Worte hinterlassen?«
«Dasselbe noch mal!<«antwortete der Wirt breit lächelnd.
«Dasselbe noch mal «war sein Lieblingsspruch.»Er hat in einer Tour von Ufos unter euren Lastwagen gequasselt, aber zum Schluß hat es gerade so für» dasselbe noch mal< gereicht. Wobei er immer Gentleman geblieben ist, der Jogger, da gab’s nie Ärger, wenn er breit war, keine losen Fäuste wie bei diesem Dave.«
«Dave?«fragte ich erstaunt.»Reden Sie von meinem Dave?«
«Natürlich. Der geht ja auf jeden los, wenn er genug Bier intus hat. Wohlgemerkt, er trifft nie, weil er da schon nicht mehr klar sehen kann. Ich geb ihm dann natürlich nichts mehr und sag ihm, er soll heimgehen. Sandy bringt ihn manchmal auch nach Hause, wenn er zu voll ist, um sich auf dem Fahrrad zu halten. Guter Kerl, der Sandy. Schwer in Ordnung für einen Blauen.«
«Ja«, sagte ich und gab ihm einen Vorschuß für den Umtrunk; den Rest versprach ich zu bezahlen, wenn die Liste vollständig war und jeder sein Bier bekommen hatte.
«Wie wär’s denn, wenn wir sie alle selbst unterschreiben lassen, dann wird es persönlicher. Kurbel ich heute abend an, ja?«
«Glänzende Idee«, sagte ich,»aber setzen Sie die vollen Namen neben die Unterschriften, damit man weiß, wer alles da war.«
«Wird gemacht.«
Ich kaufte ihm eine Hausmacherpastete als Lunch zum Mitnehmen ab und verließ ihn, als er anfing, nach einem würdigen Bogen Papier für die Gedenkurkunde zu suchen.
Am Nachmittag ging ich mit Rose den letzten Stand der Bücher durch und skizzierte dann mit Isobels Hilfe meinen vorläufigen Wochenplan. Während Isobel noch bei mir im Büro war, stieß ich versehentlich die Tragetüte um, die die Pfleger von Marigold English vergessen hatten, hob sie auf und bat Isobel, sie wegzuwerfen.
Sie nahm sie mit aus dem Büro, kam aber nach ein paar Minuten unentschlossen wieder.
«In der Tüte war eine ziemlich gute Thermosflasche. Weil ich die zum Wegwerfen zu schade fand, hab ich sie in die Kantine gebracht für den Fall, daß einer von den Fahrern sie gebrauchen kann. Und na ja… würden Sie mal mitkommen und sich das anschauen?«
Sie machte einen so verwirrten Eindruck, daß ich ihr in die Kantine folgte, um zu sehen, was anlag. Sie hatte das Päckchen Sandwiches herausgenommen und es auf das Abtropfbrett der Spüle dort gelegt, und sie hatte die Thermosflasche aufgeschraubt und auch die Innenkappe abgenommen. Sie hatte den Inhalt zum größten Teil weggeschüttet und mehr als nur Flüssigkeit in der Flasche gefunden.
Ich schaute, wohin sie zeigte, obwohl nicht zu übersehen war, was sie beunruhigte. In der Spüle lagen vier kleine Glasröhrchen, knapp zehn Zentimeter lang, über einen Zentimeter dick und verschlossen mit einem schwarzen Korken, der offenbar mit wasserdichtem Klebeband umwickelt war.
«Die sind beim Ausgießen rausgefallen«, sagte Isobel.»Was ist das?«
«Keine Ahnung.«
Die Röhrchen waren noch mit der milchig trüben Flüssigkeit, die in der Flasche war, überzogen. Ich hob die Flasche auf, sah hinein und goß ein wenig von dem verbliebenen Inhalt in einen Kantinenbecher.
Zwei weitere Röhrchen fielen in den Becher.
Die Flüssigkeit war kalt und roch entfernt nach Milchkaffee.
«Nicht trinken!«rief Isobel erschrocken, als ich den Becher an meine Nase hielt.
«Ich rieche nur dran«, sagte ich.
«Es ist Kaffee, ja?«
«Scheint so.«
Ich nahm einen Pappteller von dem immer bereitstehenden Stapel und legte die vier Röhrchen aus der Spüle darauf. Dann setzte ich den Teller, den Becher, die Thermosflasche, ihren Schraubverschluß und das Sandwichpaket auf ein Serviertablett, klemmte die Tragetüte unter den Arm und brachte das Ganze hinüber in mein Büro und zu meinem Schreibtisch, wohin Isobel mir folgte.