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Als Tigwood aus der Leitung war, gab ich Harve den Zettel mit der Adresse. Nina, die meiner Seite des Wortwechsels zugehört hatte, fragte, worum es gegangen sei.

Harve erklärte ihr entrüstet:»Wir haben hier so ein verrücktes Heim für alte Pferde. Dieser John Tigwood, der gibt sie von da aus überall in Kost. Er stellt den Besitzern der Pferde die Pflege in Rechnung, bezahlt aber nicht die Leute, die die Pferde aufnehmen. Das ist ein Schwindel! Und dann hat er noch die Stirn und bittet Freddie um einen Gratistransport im Namen der Barmherzigkeit.«

Ich lächelte.»Der Gnadenhof gilt hier als wohltätige Einrichtung. Die Leute veranstalten Sammelaktionen dafür. Sie rühren die Trommel, sie machen Druck. Wahrscheinlich hätte ich den Transport umsonst anbieten sollen, aber, um ehrlich zu sein, ich lasse mich nicht gern drängen oder ausnehmen, und da die Besitzer der Pferde Tigwood garantiert dafür bezahlen müssen, daß er ihre Pensionäre hierher schafft, sehe ich nicht ein, warum er mich nicht bezahlen soll.«

«Die Frage ist«, sagte Harve,»wer übernimmt die Tour?«

«Jedenfalls nimmt der, der fährt, Lorna Lipton, die Schwester von Mrs. Watermead, als Pflegerin mit«, erklärte ich ihm und sah auf den Wochenfahrplan.»Wir brauchen einen Neuner dafür. Der neue Fahrer, Aziz, fährt von jetzt an Bretts Neuner. Er kann ja ruhig mit den Pflegefällen anfangen.«

«Was für ein neuer Fahrer?«fragte Harve.

«Ich habe ihn heute morgen eingestellt, als Sie schon unterwegs waren. Der beste von fünf, die zum Vorstellungsgespräch gekommen sind.«

Ich trug Kentauros in das Feld für den Neun-PferdeTransporter ein und schrieb» Aziz «oben in die Spalte.

Kentauros, der Name von Tigwoods Hilfswerk, hörte sich derart nach Penthouse an, daß ich jahrelang gedacht hatte, es hieße wirklich so. Das Büro der in ihrer Art winzigen Institution befand sich in einer kostensparend errichteten eingeschossigen Hütte — um nicht zu hoch zu greifen — am Rand einer zwei Morgen großen Koppel außerhalb von Pixhill. Die angrenzenden wackligen Holzställe, in denen sechs bejammernswerte Gäste mit geringen Ansprüchen Platz finden konnten, hielten einer Prüfung durch die Bezirksverwaltung gerade eben noch stand, da der wohltätige Zweck das Unternehmen vor bösen behördlichen Angriffen schützte. John Tigwoods Öffentlichkeitsarbeit wertete das Ganze im Kollektivbewußtsein Pixhills zu einem herausragend guten Werk auf: Ich war sicher, daß viele, die für den edlen Zweck spendeten, seine Zentrale noch nie zu Gesicht bekommen hatten.

In ganz Pixhill waren Kentauros-Sammelbüchsen verteilt, runde Blechdosen mit einem Einwurf und der dringenden Ermahnung,»alten Freunden ein langes Leben «zu gewähren. John Tigwood kam regelmäßig vorbei, um die Dosen zu leeren und ausführliche Quittungen dafür zu schreiben. Auch in unserer Kantine hatte er eine Büchse aufgestellt, aber vor Wut geschäumt, als er dann Knöpfe, Kekse und ein Kondom mit abgelaufenem Datum darin fand.»Seien Sie froh, daß es nicht benutzt war«, hatte ich gesagt, aber er hatte nicht darüber lachen können.

Harve überflog den ganzen Plan und zuckte gelassen mit den Schultern, als er hörte, daß der Computer ausgefallen war. Wie ich, bevorzugte er immer noch einen handgeschriebenen Plan, tendierte allerdings mehr zu der Wandtafel, die ich inzwischen rausgeworfen hatte. Zuviel Kreidestaub in der Luft, seit der Computer im Haus war.

Ich erzählte Harve, daß das ganze Werkzeug aus Joggers Lieferwagen gestohlen worden war. Er fluchte kurz, sah aber keine große Bedeutung darin. Wir brauchten ein neues Rollbrett, sagte ich, zum Inspizieren der Fahrgestelle, worauf Harve nickte und vorschlug, ich solle Nigel bitten, eins zu bauen.

«Der braucht dafür nur eine Fasergipsplatte und ein paar Laufrollen«, sagte Harve.»Er ist handwerklich sehr geschickt, das muß man ihm lassen.«

Ich unterdrückte ein Lächeln.»Dann kann er es morgen bauen«, sagte ich. Ich überlegte kurz und kam zu einem Entschluß.»Am Mittwoch kann Nigel nach Frankreich fahren und das Springpferd für die Tochter von Jericho Rich abholen. Nina hier begleitet ihn als Beifahrerin.«

Harve sah sie verblüfft von der Seite an und wandte sich mit drollig erhobenen Augenbrauen zu mir.

«Ich habe sie gewarnt«, sagte ich.»Sie meint, sie ist Ni-gelsicher.«

«Sie kennt ihn nicht!«»Sie hat Erfahrung mit Pferden«, erklärte ich.»Jerichos Tochter möchte, daß wir einen Begleiter für das Pferd mitnehmen. Nina kann das mit dem Fahren verbinden.«

«Aber Sie sagten doch, Dave solle mit Phil in Phils Sechser fahren.«

«Ich habe es mir anders überlegt. Nina fährt mit Nigel. Sie können den Vierer nehmen, den Nina heute gefahren hat. Das ist besser, weil sparsamer. «Zu ihr sagte ich:»Packen Sie ein paar Sachen ein, okay?«

Sie nickte, und als Harve zu dem nächsten eintreffenden Transporter hinausging, sagte sie:»Sie wollen sicher, daß einer von uns in dem Transporter schläft?«

«Er hat so einen Behälter unterm Fahrgestell«, sagte ich zustimmend.

«Ja. Gut, dann legen Sie den Köder aus. Erzählen Sie rum, daß dieser Transporter nach Frankreich fährt. Vielleicht beißt jemand an.«

«Hm«, meinte ich zögernd.»Niemand erwartet von Ihnen, daß Sie sich in Gefahr bringen.«

Sie lächelte ein wenig.»Seien Sie da nicht so sicher. Patrick kann verdammt anspruchsvoll sein. «Sie schien unbekümmert.

«Ich springe ja nicht direkt hinter den deutschen Linien im besetzten Frankreich ab.«

Mir wurde klar, daß sie genau die Sorte Frau war, die das im Zweiten Weltkrieg getan hatte, und als könnte sie meine Gedanken lesen, nickte sie und sagte:»Meine Mutter hat das gemacht, und sie hat es überlebt und mich dann noch bekommen.«

«Das muß man ihr erst mal nachmachen.«

«Es liegt mir im Blut.«

«Haben Sie Kinder?«fragte ich.

Mit der wegwerfenden Geste unsentimentaler, von Kindermädchen unterstützter Mütter spreizte sie die Finger.»Drei. Alle aus dem Ponyclubalter raus, alle dem Nest entflogen. Der Mann seit langem tot. Das Leben plötzlich öd und leer, kein Sinn mehr im Springreiten oder im Military. Patrick als Retter in der Not. Muß ich noch mehr sagen?«

«Nein.«

Ich verstand sie völlig in ihrer unwillkürlichen Anwandlung von Gefühl und Selbsterkenntnis, und sie merkte es. Sie schüttelte den Kopf, wie um sich von dem Augenblick zu distanzieren, und stand auf, groß und kompetent, eine Pferdefreundin, der Pferde letztlich nicht genügten.

«Wenn Sie mich morgen nicht brauchen«, sagte sie,»bringe ich Patrick die Röhrchen nach London, bespreche alles mit ihm und komme am Mittwoch wieder. Um welche Zeit?«

«Sie müssen um sieben hier abfahren. Sie setzen von Dover nach Calais über und sind dann gegen sechs an Ihrem französischen Bestimmungsort. Auf der Rückfahrt am Donnerstag müssen Sie das Pferd natürlich bei Jericho Richs Tochter vorbeibringen. Hier kommen Sie erst spät an, vielleicht so gegen zehn.«

«In Ordnung.«

Sie wickelte die beiden bernsteinfarbenen Röhrchen sorgfältig in ein Taschentuch und steckte sie in ihre Handtasche. Dann ging sie mit einem kurzen Nicken als Abschiedsgruß zu ihrem Wagen hinaus und fuhr unauffällig davon.

Ich nahm die anderen vier Röhrchen aus der Schreibtischschublade, wickelte jedes einzeln in ein Papiertuch und steckte sie in meine Jackentasche. Dann goß ich den Becherinhalt wieder zurück in die Thermosflasche, schraubte die innere und äußere Verschlußkappe auf und verstaute sie zusammen mit den Sandwiches wieder in der Tragetüte, um alles mit nach Hause zu nehmen.

Der Arbeitstag ging zu Ende. Es waren zwar noch Transporter unterwegs, aber ihre Rückkehr würde ich nicht abwarten. Die Fahrer erwarteten es keinesfalls und hätten zu viel» Manndeckung «vielleicht als Mangel an Vertrauen aufgefaßt. Allerdings hatte ich im Lauf des Tages sowohl von dem nach Irland abgegangenen Neun-Pferde-Transporter mit Zuchtstuten wie auch von dem Transporter in Frankreich, der die beiden Zweijährigen für Michael Watermeads Stall abholte, telefonisch Nachricht erhalten, und so wußte ich, daß beide erst um zwei oder drei Uhr früh ankommen würden.