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«Ich wüßte auch nicht, warum ich sie anfassen sollte«, gab ich gelassen zurück.

Er beäugte mich ungnädig. Wir hatten uns von Anfang an nicht leiden können, und er hatte mir nicht verziehen, daß ich einem meiner Fahrer, der bei ihm in Behandlung war, geraten hatte, auf meine Rechnung eine zweite Meinung einzuholen, die dann seine Diagnose widerlegt hatte. Bei Bruce Farway ließen sich mangelnde Bescheidenheit und herzlich wenig Menschlichkeit diagnostizieren, obwohl ich gehört hatte, er könne nett zu kranken Kindern sein.

Während der Arzt über sein Autotelefon knappe Anweisungen erteilte, ging ich mit Sandy ins Haus, wo dieser erste Aussagen von Dave und Brett aufnahm. Es werde eine gerichtliche Untersuchung geben, teilte er ihnen mit, die ihre Zeit aber wohl nicht weiter in Anspruch nehmen werde.

Auf jeden Fall zu lange, dachte ich, und beide deuteten meinen Gesichtsausdruck genau richtig. Ich sagte ihnen, wir würden morgen weiter sehen. Das schien sie nicht zu erleichtern.

Kurz darauf ließ Sandy sie in Richtung Kneipe ziehen, wo sie ihre Neuigkeit über das hiesige Nachrichtennetz ruckzuck verbreiten würden. Sandy schloß sein Notizbuch, grinste mich unbekümmert an und fuhr wieder nach Hause, um die Polizei am Wohnort des Anhalters zu verständigen. Nur Bruce Farway blieb und wartete in seinem Wagen ungeduldig auf den Abtransport von Kevin Keith Ogden. Ich ging zu ihm hinaus, um nachzuhören, wie die Sache stand.

«Die wollten ihn bis morgen hierlassen«, rief er beleidigt.

«Sandy und ich haben darauf bestanden, daß sie noch heute abend kommen.«

Dankbar fragte ich ihn, ob er im Haus warten wolle, und mit einem zaghaften Achselzucken willigte er ein. In dem großen Wohnzimmer bot ich ihm Kaffee, Cola oder etwas Alkoholisches zu trinken an; gar nichts, sagte er.

Mit herabgezogenen Mundwinkeln sah er sich die Reihe gerahmter Rennsportfotos an der einen Wand an, zumeist Aufnahmen von mir selbst aus meiner Jockeyzeit, beim Überfliegen hoher Hindernisse. In einem Ort, der ganz im Galopprennsport aufging, der den edlen Vierbeinern mehr Arbeitsplätze und mehr Wohlstand verdankte als jedem anderen Industriezweig der Region, hatte Bruce Farway verlauten lassen, ein Leben für den Rennsport sei ein vergeudetes Leben. Nur der selbstlose Dienst am Nächsten, wie Ärzte und Krankenpfleger ihn ausübten, verdiene unser Lob. Die Verletzungen von Rennreitern stufte er als Selbstverstümmelung ein. Niemand begriff, warum so jemand nach Pixhill gekommen war.

Da mir die Gelegenheit günstig erschien, fragte ich ihn danach. Er warf mir einen erstaunten Blick zu und trat ans Fenster, um seine Augen kurz über den abkühlenden, bewegungslosen Pferdetransporter schweifen zu lassen.

«Ich glaube an die Allgemeinpraxis«, sagte er.»Ich glaube an den treuen Dienst in und an einer ländlichen Gemeinde. Ich glaube, man sollte die Familie behandeln und nicht die Krankheit.«

Alles wunderbar, dachte ich, wenn er mich nicht, während er es sagte, im Vollgefühl seiner Überlegenheit von oben herunter angesehen hätte.

«Woran ist unser Toter gestorben?«fragte ich.

Er preßte die ohnehin dünnen Lippen zusammen.»Fettleibigkeit und Rauchen wahrscheinlich.«

In einem anderen Jahrhundert, dachte ich, hätte er Hexen auf den Scheiterhaufen gebracht. Ihrem Seelenheil zuliebe, versteht sich.

Dünn, intolerant, von seiner Sendung überzeugt, zappelte er ungeduldig am Fenster und stellte schließlich selbst eine Frage.

«Warum sind Sie Jockey gewesen?«

Die Antwort war zu kompliziert. Ich sagte nur:»Ich war dazu geboren. Mein Vater hat Hindernispferde trainiert.«

«Wird es da unvermeidlich?«

«Nein«, sagte ich.»Mein Bruder kommandiert Luxusdampfer, und meine Schwester ist Physikerin.«

Er zog seine Aufmerksamkeit völlig von dem Transporter ab und staunte mit offenem Mund.»Ist das Ihr Ernst?«

«Natürlich. Wieso nicht?«

Darauf fiel ihm nichts ein, und das Klingeln des Telefons ersparte ihm die Suche nach einer klugen Antwort. Ich nahm ab, und es war Sandy, ein wenig außer Atem und in einem Notizbuch blätternd.

«Die Polizei von Nottingham«, sagte er,»möchte gern wissen, wo South Mimms genau liegt.«

«Die werden doch eine Landkarte haben!«

«M-hm. Gut, aber sagen Sie es mir mal, dann kann ich den Bericht besser schreiben.«

«Sie haben doch sicher auch eine Landkarte.«

«Ach, kommen Sie, Freddie.«

Lächelnd gab ich nach.»Die Tankstelle South Mimms ist nördlich von London an der M 25. Und eins sage ich Ihnen, Sandy, unser Freund Kevin Keith war nicht direkt von Nottingham nach Bristol unterwegs. Auf dem Weg von Nottingham nach Bristol kommt man nie und nimmer an South Mimms vorbei. Sagen Sie also der Polizei in Nottingham, sie soll es den Angehörigen schonend beibringen, denn was immer der Tote in South Mimms gewollt hat, auf dem geraden Weg von daheim zur Hochzeit einer Tochter war er nicht.«

Er verarbeitete die Information.»Danke«, sagte er,»ich werd’s ausrichten.«

Ich legte auf, und Bruce Farway fragte:»Was für eine Hochzeit?«

Ich erklärte, wie Dave sich gegen meine ausdrückliche Weisung hatte überreden lassen, den Anhalter mitzunehmen.

Stirnrunzelnd fragte Farway:»Sie glauben also nicht an die Tochter?«

«Nicht so ganz.«

«Es spielt aber doch wohl keine Rolle, weshalb er in… wie sagten Sie… in South Mimms war?«

«Für ihn nicht mehr«, stimmte ich zu,»aber meine Fahrer wird es Zeit kosten. Das Leichenschauverfahren und so weiter.«

«Er kann doch nichts dafür, daß er gestorben ist!«wandte der Arzt ein.

«Es ist verdammt ärgerlich.«

Mit offensichtlicher Mißbilligung vertiefte Farway sich wieder in die Betrachtung des Pferdetransporters. Eine ermüdend lange Zeit verging, während ich Scotch mit Wasser trank (»Für mich nicht«, sagte Farway), hungrig an meinen wieder erkaltenden Eintopf dachte und noch zwei Anrufe beantwortete.

Die Neuigkeit hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Der erste Anrufer, der eine Erklärung verlangte, war der

Besitzer der nach Newmarket überführten Zweijährigen, der zweite der Trainer, in dessen Stall sie bisher gestanden hatten.

Jericho Rich, der Besitzer, vergeudete wie üblich keine Zeit mit höflicher Vorrede, sondern sagte ohne Umschweife:»Was hat es mit dem Toten da in Ihrem Transporter auf sich?«Seine Stimme war wie er selbst, laut, aggressiv und reizbar. Von Hause aus hieß er Jerry Colin Rich. Jericho paßte wegen des schmetternden Tons besser zu ihm.

Während ich ihm erzählte, was passiert war, stellte ich ihn mir vor, wie ich ihn oft genug im Führring vor dem Rennen erlebt hatte, ein untersetzter grauhaariger Bärbeißer, der gern mit vorgestrecktem Finger Löcher in die Luft stieß.

«Hören Sie mal gut zu, Kamerad«, brüllte er jetzt durch die Leitung.»Sie nehmen keine Anhalter mit, wenn Sie für mich fahren, ist das klar? Das war immer Ihre Rede, das war mir immer recht so. Und wenn Sie meine Pferde fahren, nehmen Sie auch keine anderen Pferde mit. So haben wir das immer gehalten, und so sollte es auch bleiben.«

Ich überlegte, daß ich sowieso nicht mehr viel Aufträge von ihm bekommen würde, wenn sein ganzes Lot erst in Newmarket stand, daß es aber trotzdem unklug wäre, den alten Zänker vor den Kopf zu stoßen. In ein, zwei Jahren kutschierte ich ihn vielleicht wieder zurück.

«Und noch eins«, sagte er.»Wenn Sie morgen meine Stuten rüberfahren, nehmen Sie einen anderen Wagen. Pferde riechen den Tod nämlich, und ich will nicht, daß die Stuten sich aufregen.«

Ich versicherte ihm, daß sie mit einem anderen Transporter reisen würden, und ersparte mir den Hinweis, daß der Wagen, wenn er morgen die nächste Fuhre abholte, nicht nach Tod, sondern nach Desinfektionsmittel riechen würde.