Sie seufzte zufrieden.»Herrlicher Wagen ist das.«
Der Jaguar brummte durch die Nacht, leistungsstark, vertraut, das beste Auto, das ich je besessen hatte. Neuerdings kauften die Jockeys statt schneller Schlitten anscheinend lieber Mittelklasse-Familienautos, absolut zuverlässig, aber doch ziemlich langweilig. Mein extravagantes Vergnügen, die Raubkatze unter meinen Händen, entsprach nicht dem politischen Geist der neuen, ernsten Garde in den Jockeystuben.
Ihr Pech, dachte ich. Rückblickend kam es mir vor, als hätte ich in jenen Jahren viel gelacht. Und geflucht und gestöhnt und vor Wut gekocht über Ungerechtigkeiten. Und mich blendend amüsiert.
Das letzte Stück Straße zwischen Abendessen und Bett führte am Bauernhof vorbei. Ich fuhr unwillkürlich langsamer, um einen Blick auf den im Mondlicht schimmernden Fuhrpark zu werfen. Das Tor stand offen, demnach mußte noch mindestens ein Transporter unterwegs sein, und auf der kurzen Strecke zum Haus fragte ich mich, welcher.
Lizzies Robinson 22 stand im Mondlicht glänzend auf dem Asphalt, an der Stelle, wo der Neun-PferdeTransporter mit Kevin Keith Ogden gestanden hatte.
«Ich fliege morgen früh gegen neun«, sagte sie,»und am Nachmittag leiere ich deine Analyse an.«
«Schön. «Ich hatte mich wohl zerstreut angehört, denn sie wandte den Kopf und musterte mich.
«Was ist los?«fragte sie.
«Nichts, eigentlich. Geh du schon rein, geh schlafen. Ich sause noch mal rüber zum Bauernhof und schließe das Tor ab. Es sind keine Wagen mehr draußen, jedenfalls dem Fahrplan nach. Ich bleibe nicht lange.«
Sie gähnte.»Dann bis morgen früh.«
«Danke, daß du gekommen bist.«
«Hat mir Spaß gemacht.«
Wir umarmten uns kurz, und sie ging lächelnd ins Haus. Ich hoffte, Professor Quipp würde ihr lange in Liebe erhalten bleiben, denn ich hatte sie noch nie so ausgeglichen erlebt.
Ich fuhr mit dem Jaguar zum Bauernhof zurück und hielt vor dem Tor. Jemand lief auf dem Hof herum, wie Harve es oft tat, um nach dem Rechten zu sehen, und ich ging auf die halb sichtbare Gestalt zu und rief:»Harve?«
Keine Antwort. Ich ging weiter, kam zu dem Transporter neben Harves eigenem und trat in einen Schattenstreifen.
«Harve«, rief ich.
Ich hörte nichts, aber irgend etwas traf mich sehr hart am Hinterkopf.
Später knobelte ich aus, wie lange ich ohne jedes Bewußtsein gewesen war: eine Stunde, vierzig Minuten.
Die erste Empfindung in dem Dämmerzustand, in dem ich erwachte, war ein Schmerz im Kopf. Die zweite war, daß ich getragen wurde. Die dritte, daß ich eine Stimme hörte, die etwas Unsinniges sagte:
«Wenn er davon nicht die Grippe kriegt, weiß ich’s auch nicht.«
Ich träumte natürlich.
Selbstverständlich.
Bald würde ich aufwachen.
Ich hatte das Gefühl zu fallen. Ich haßte Träume vom Fallen: Immer stürzte man von Gebäuden, nie von einem Pferd.
Ich stürzte ins Wasser. Atemberaubend kalt.
Ich versank, ohne mich zu wehren. War ganz im Wasser. Sank tief hinab.
Schrecklicher Traum.
Vielleicht rief der Instinkt mich in die Wirklichkeit zurück. Das war kein Traum, das war Freddie Croft in seinen Kleidern, dem Ertrinken nahe.
Unwillkürlich wollte ich tief Luft holen, und wieder war es Instinkt, nicht Geistesgegenwart, was mich davon abhielt.
Ich strampelte mit den Füßen, um nach oben zu kommen, und fühlte, wie ich seitlich weggezogen und von Strömungen erfaßt wurde, ein bloßer Spielball.
Mit wachsendem Entsetzen stieß ich mich nochmals ab, es war höchste Zeit, meine Arm- und Beinmuskeln kapierten es, spannten sich, arbeiteten schwer, während mein Brustkorb schmerzte, mein Kopf hämmerte.
Tauch auf, um Gottes willen.
Tauch… auf.
Ich schwamm in wilden, panischen Zügen nach oben. Schwamm, wie sonst auch, mit ausgreifenden Armen, paddelnden Beinen, wußte, daß ich gleichzeitig, ohne es zu wollen, auch nach der Seite abtrieb.
Wahrscheinlich verbrachte ich kaum mehr als eine Minute unter Wasser. Ich tauchte durch die Oberfläche in die Nacht hinauf und schlang keuchend, brüllend fast, Luft in meine ausgehungerten Lungen, und sowie ich aufhörte zu schwimmen, zogen meine vollgesogenen Kleider und wassergefüllten Schuhe mich wieder hinab wie auf einer Wippschaukel, der absolute Horror.
Die Ertrinkenden kommen zweimal hoch, und beim dritten Mal bleiben sie unten… die Weisheit schwarzer Stun-den. Ich schwamm mit nachlassender Kraft gegen das Gewicht meiner Kleider und den Zug des Wassers und seinen unerbittlichen, strudelnden Sog an, sah nirgends Licht, nur Dunkelheit ein mühsames Luftschnappen lang, dann ging mein Kopf wieder unter, als sollte nicht ich, sondern die salzige See ihren Willen haben.
Salzwasser… ich schluckte es, bekam es in den falschen Hals. Ich brauchte meine ganze Kraft, um die Nase an die Oberfläche zu bringen, und strampelte, um sie dort zu halten. Irgendwie wußte ich, daß es ein aussichtsloser Kampf war, wollte mich aber nicht damit abfinden. Wenn man mich aus einem Boot geworfen hatte, wenn ich allein weitab vom Land war, würde es bald zu Ende gehen, und das war ein unerträglicher Gedanke. So sinnlos es schien, ich protestierte heftig gegen meine Ermordung.
Ich sah ein Glitzern auf dem Wasser, einen Lichtschein. Die Strömung trieb mich darauf zu, hinaus aus der Dunkelheit.
Elektrisches Licht.
Eine Lampe… hoch über dem Wasser… auf einem Laternenpfahl.
Mir war nicht klargewesen, wie sehr ich schon die Hoffnung verloren hatte, bis die Erkenntnis, daß Laternenpfähle nicht mitten im Meer wachsen, mich durchzuckte wie ein gutgemeinter Schlag auf den Hinterkopf. Laternenpfähle gleich Land. Land bedeutete Leben. Leben hieß auf den Laternenpfahl zuschwimmen.
Einfach.
Doch nicht so einfach. Ich konnte mich nur knapp über Wasser halten. Aber die Strömung, die mich vom Dunkeln zum Licht getragen hatte, setzte ihr gutes Werk fort und trieb mich auf den Lampenpfosten zu, wenn auch langsam, absichtslos, gleichgültig gegen ihr Treibgut.
Zwei Lampenpfosten.
Sie waren über mir, auf einer Mauer. Ich stieß dann schließlich gegen die Mauer und konnte die Lichter auf den hohen Pfosten nicht mehr sehen, wußte aber, sie waren dort. An der Mauer umgab mich wieder Dunkelheit, doch als ich mich umdrehte, konnte ich überall kleine Lichter sehen, hell, regungslos, ein ganzer Wald von Laternen.
Die Mauer war glatt und schleimig, ohne Haltegriffe. Das Wasser trug mich langsam daran entlang, zog mich weg von ihr und klatschte mich wieder gegen sie, während ich ängstlich und immer schwächer und langsamer strampelte, um zu atmen und oben zu bleiben.
Ich rief um Hilfe. Der Sog, das Klatschen und Gurgeln der Wellen erstickten meine Stimme. Als ich tief Luft holte, um nochmals zu rufen, schwappte das Salzwasser mir in den Mund, und ich war dem Ersticken nahe.
Es schien mir absurd zu ertrinken, wenn ich doch Land berühren konnte, wenn der Wellenschlag mich dem rettenden Ufer entgegentrug und wieder fort, wenn drei Meter über mir trockener Erdboden war.
Ich überlebte durch Zufall. Überlebte dank dem Architekten, der eine Treppe in die Mauer eingebaut hatte. Eine Welle hob mich in eine Art Nische in der glatten Wand und zog mich im Zurückgehen um ein Haar wieder hinaus. Beinah zu spät stieß ich meine Arme und Hände gegen den glitschigen Beton, hoffte, nur ja nicht wieder weggerissen zu werden, wartete… wartete darauf, daß mich das Wasser wieder in die Nische hineinschob, und wußte, es war die letzte Chance, das Wunder der Erlösung, wenn ich nur die Kraft hatte.
Ich rollte mit dem Wasser in die Nische und drückte meinen Körper auf eine gemauerte Stufe; spürte den Zug der zurücklaufenden Welle und stemmte mich dagegen, nutzte das tödliche Gewicht von Schuhen, Hose und Jacke als Anker. Mit der nächsten ankommenden Welle warf ich mich auf die Stufe darüber und blieb regungslos liegen, Kopf und Schultern über, Beine und Füße noch unter Wasser. Die nächste Welle brachte mich noch eine Stufe höher hinauf, so daß ich jetzt der Länge nach auf der Treppe lag und fester Boden mich umfing wie einen verlorenen Sohn, als ob er sagen wollte:»Also gut, noch nicht.«