Als sie mit mir direkt sprach, sagte sie verwundert:»Roger? Bist du das? Ich dachte, du wärst in der Karibik.«
«Hier ist Freddie«, sagte ich.
«Aber du kannst doch nicht in Southampton sein. Rogers Schiff fährt nach Southampton.«
Erklären war unmöglich, und außerdem lauschte der Nachtwächter begierig jedem Wort.
«Lizzie«, sagte ich verzweifelt,»komm und hol mich ab. Man hat mir mein Geld geklaut… alles. Ich war im Wasser und friere und hab mir den Kopf gestoßen, und ehrlich, mir geht’s saumäßig. Komm mit dem Fourtrak, der steht draußen auf dem Parkplatz. Der Schlüssel hängt neben der Hintertür am Haken. Bitte komm.«
«Du lieber Himmel. Wohin denn?«
«Fahr zur Hauptstraße nach Newbury, aber bieg nach Süden ab. Das ist die A 34. Sie stößt auf die Umgehungsstraße von Winchester. Dann folgst du den Schildern nach Southampton, und wenn du da bist, nimmst du die Straße zum Hafen und zur Fähre nach der Isle of Wight. Das ist ausgeschildert. Ich bin… bin da am Kai. Die Fährstation ist etwas weiter unten an der Straße. Da komme ich hin… und warte auf dich.«
Sie sagte: »Zitterst du etwa?«
Ich hustete krampfhaft:»Bring mir was zum Anziehen mit. Und etwas Geld.«
«Freddie. «Sie klang erschrocken und unsicher.
«Ich weiß«, sagte ich zerknirscht,»es ist mitten in der Nacht. Du brauchst ungefähr eine Dreiviertelstunde.«
«Aber was ist denn passiert? Ich dachte, du wärst hier im Bett, aber du bist nicht ans Telefon gegangen. Wie kommst du nach Southampton?«
«Ich weiß es nicht. Also Lizzie, jetzt komm mal.«
Sie entschloß sich.»Die Isle-of-Wight-Fähre. Hafen von Southampton. Fünfundvierzig Minuten. Noch fünf, bis ich angezogen bin. Halt aus, Bruderherz. Die Kavallerie rückt an.«
«Das Kino hat ja eine Menge zu verantworten.«
«Wenigstens ist dir der Humor noch nicht vergangen.«
«Um ein Haar.«
«Bis gleich«, sagte sie und legte auf.
Ich dankte dem Nachtwächter und sagte ihm, daß meine Schwester auf dem Weg sei. Er fand, ich hätte die Polizei rufen sollen.
«Ich möchte lieber nach Hause«, sagte ich und merkte, daß ich einfach nicht daran gedacht hatte, polizeiliche Hilfe anzufordern. Das war mit zu vielen Fragen verbunden, und ich hatte nicht genug Antworten. Außerdem auch nicht mehr die nötige Ausdauer, um in einer Polizeistation auf einem harten Stuhl herumzuhocken oder meine Beulen vom Arzt untersuchen zu lassen. Angefangen hatten meine Schwierigkeiten nicht in Southampton, sondern in Pixhill, und wenn ich auch keinen Schimmer hatte, wie ich von dort nach hier gekommen war, erinnerte ich mich doch dunkel, daß ich mit dem Jaguar zum Bauernhof gefahren war und nach Harve gerufen hatte.
Die Probleme lagen vor meiner Haustür, auf meinem Hof, unter meinen Lastwagen, in meiner Firma. Ich wollte nach Hause, um ihnen auf den Grund zu gehen.
Kapitel 7
Lizzie kam nach alter Weise ihren Bruder retten.
Der Nachtwächter ließ mich die ganze Zeit in seinem unterheizten Wachraum sitzen und ging sogar so weit, mir zum Aufwärmen eine Tasse Tee zu kochen, alles unter den haßerfüllten Blicken seines wachsamen Hundes. Als die Zeiger seiner Wanduhr auf zwei zeigten, sagte er, er müsse gehen, da es Zeit für ihn sei, seine Runde zu machen; also dankte ich ihm und ging — oder schlurfte — die Straße entlang zur Fährstation und setzte mich am Ende des Gebäudes dort im Dunkeln auf das Pflaster, den Rücken an der Wand, die Arme um meine Knie geschlungen. Ich war vielleicht schon in schlimmerer Verfassung gewesen.
Nicht weit von mir, auf der anderen Seite eines durchbrochenen Metallzauns, spiegelte sich Licht im Wasser. Ich betrachtete das Bild erst zerstreut, dann nachdenklich. Wahrscheinlich gab es viele solcher Orte, wo man im Dunkeln halb bewußtlose Leute unbeobachtet in den großen Teich werfen konnte. In Southampton bot sich dafür ein meilenlanger Küstenstreifen an.
Der Fourtrak kam, verlangsamte, fuhr zögernd auf den Parkplatz und hielt an. Ich stand auf, wobei ich mich an der Wand ab stützte, und machte ein paar Schritte nach vorn, ins Licht. Lizzie sah mich, kam vom Wagen herübergelaufen und blieb ein, zwei Meter von mir entfernt plötzlich bestürzt mit großen Augen stehen.
«Freddie!«
«Ganz so schlimm kann ich doch nicht aussehen«, verwahrte ich mich.
Sie sagte mir nicht, wie ich aussah. Sie kam und legte sich einen meiner Arme um die Schultern und ging mit mir zu dem Fourtrak.»Zieh die nasse Jacke aus«, verlangte sie.»Du stirbst noch an Unterkühlung.«
Immer noch ein bißchen besser als Ertrinken, dachte ich, behielt es aber für mich.
Als wir glücklich in dem knubbeligen kleinen Wagen waren, schälte ich mich aus all den nassen Sachen heraus und zog trockene an, einschließlich gefütterter Stiefel und der wärmsten Daunenjacke, die ich besaß. Wenn schon Nägel, dann machte Lizzie sie mit Köpfen.
Ich ließ sie so nah wie möglich an den Wachraum heranfahren. Der Nachtwächter und sein Hund waren wieder da und kamen argwöhnisch heraus. Als ich ihm Geld für den ersten Telefonanruf und für seine Mühe und Freundlichkeit anbot, lehnte er empört ab, so daß man wieder Achtung vor dem Salz der britischen Erde bekam.
«Nehmen Sie nur«, sagte ich.»Ich bin es Ihnen schuldig. Trinken Sie auf mein Wohl.«
Er nahm den Schein zögernd, konnte seine Freude aber nur halb verbergen.»Eine Lungenentzündung kriegen Sie bestimmt trotzdem«, sagte er.
So wie ich mich fühlte, konnte er durchaus recht haben.
Lizzie fuhr uns auf dem Weg nach Hause, den sie gekommen war, und warf alle paar Sekunden einen Blick auf mich. Mein kältebedingtes Zittern und Beben ließ allmählich nach, bis mir schließlich auch in den Eingeweiden wieder warm wurde, doch mit der Wärme stellte sich prompt eine überwältigende Müdigkeit ein, so daß ich mich nur noch hinlegen und schlafen wollte.
«Aber was ist denn passiert?«fragte Lizzie.
«Ich bin zum Bauernhof gefahren.«
«Du sagtest, du wolltest das Tor zumachen«, nickte sie.
«Ja? Nun… irgend jemand hat mir eins über den Schädel gegeben.«
«Freddie! Wer denn?«
«Weiß ich nicht. Als ich zu mir kam, wurde ich gerade ins Wasser geworfen. Schon gut, daß ich aufgewacht bin.«
Wie vorauszusehen, war sie entsetzt.»Die wollten, daß du ertrinkst.«
«Da bin ich mir nicht so sicher. «Das verwirrte mich schon, seit ich wieder bei Bewußtsein war.»Wenn die mich töten wollten, warum dann nicht gleich? Wieso fahren sie mich erst zum Hafen von Southampton? Wenn sie mich unbedingt ertränken wollen, gibt’s dafür einen wunderbaren Teich in Pixhill.«
«Scherz nicht darüber.«
«Was soll’s«, sagte ich.»Alles, was ich noch von denen in Erinnerung habe, ist, wie einer gesagt hat: >Wenn er davon nicht die Grippe kriegt, weiß ich’s auch nicht.««
«Aber das ist doch Unsinn.«
«M-hm.«
«Wie viele waren es?«
«Zwei müssen es schon gewesen sein. Warum sollte einer sonst reden?«
«Bist du sicher, daß das der Wortlaut war?«
«Ziemlich.«
«Was für ein Akzent? Hast du die Stimme gekannt?«
«Nein«, beantwortete ich die zweite Frage zuerst.»Kein Eton-Akzent. Derb irgendwie.«
Lizzie sagte:»Du mußt zur Polizei gehen.«
Ich schwieg, und sie sah mich viel zu lange an, selbst für leichten Verkehr.»Du mußt«, sagte sie.
«Paß auf die Straße auf.«
«Du bist ein Arsch.«
«Ja.«
Sie fuhr jetzt jedoch mit größerer Aufmerksamkeit, um uns heil nach Hause zu bringen, und ich fragte mich, was es wirklich nützen würde, wenn ich zur Polizei ging.