«Und nehmen Sie nicht den gleichen Fahrer.«
Darüber lohnte es sich nicht zu streiten.»Okay«, sagte ich.
Ihm ging die Puste aus, oder anders gesagt, er begann sich zu wiederholen. Ich reagierte wie immer mit sanfter Zustimmung, weil das am schnellsten seinem Zorn die Spitze nahm, besonders wenn die Nörgeleien in die dritte oder vierte Runde gingen. Wir kauten die gleiche Kiste noch zweimal durch. Ich versprach ihm erneut, einen anderen Transporter und einen anderen Fahrer zu schicken, und schließlich, wenn auch unverändert murrend und noch immer nicht zufrieden, hängte er ein.
Er hatte früher einmal fünf oder sechs Hürdenpferde besessen, die ich regelmäßig für ihn geritten hatte. So wußte ich aus reichlicher Erfahrung, wie man Jerichos Wutanfälle mit ungetrübter Laune überstand.
Dank der Lärmentfaltung Richs hatte Farway offenbar den ganzen sich wiederholenden Wortwechsel mit angehört, denn unerwartet nahm er dazu Stellung.
«Es war nicht Ihre Schuld, daß Ihre Fahrer den Mann mitgenommen haben.«
«Mag sein. «Ich zögerte.»Der Kapitän geht mit dem Schiff unter, sagt mein Bruder immer.«
Er starrte mich an.»Soll das heißen, daß Sie glauben, es war Ihre Schuld?«
Ich fand vor allem, daß es kein guter Zeitpunkt war, um abstrakt über Verantwortung zu diskutieren. Eigentlich wünschte ich mir bloß, Kevin Keith hätte seinen Geist im Lkw von jemand anders aufgegeben. Zu schade, dachte ich, daß der Tanklaster nach Southampton gefahren war.
Michael Watermead sprach in auffallendem Gegensatz zu Jericho Rich leise, bedächtig und überaus kultiviert am Telefon und erkundigte sich als erstes, ob die neun Zweijährigen, die am Morgen seine Obhut verlassen hatten, gut in Newmarket angekommen seien.
Das wußte er bestimmt schon, aber ich versicherte es ihm noch einmal.
Man hätte verstehen können, wenn er über die erzwungene Trennung ungehalten gewesen wäre, doch Michael schien seine Gefühle gut in der Gewalt zu haben. Groß, blond und um die Fünfzig, nach außen hin oft zaghaft, leitete er einen überdurchschnittlich erfolgreichen Stallbetrieb mit sechzig guten Boxen auf drei attraktiven Höfen, die im allgemeinen voll belegt waren. Seine Pferde mochten ihn, und das spricht immer für den Charakter. Sie drückten ihm die Nase an den Hals, wenn er nah genug war, und schauten beim Klang seiner Schritte zur Stalltür heraus. Ich war nie für ihn geritten, da er nur Flachpferde trainierte, aber seit ich die Spedition gekauft hatte, waren wir, zumindest auf geschäftlicher Ebene, gute Freunde geworden.
Als dritter Sohn eines Barons trainierte er für einen entfernten Angehörigen des Königshauses, etwa an dreißigster Stelle der Thronfolge, eine Vorzeigekombination, die ihm überhaupt erst Richs Kundschaft eingebracht hatte. Die anfängliche Begeisterung auf beiden Seiten — es gab nicht mehr viele so große und so durch und durch begabte Lots wie das von Rich — hatte unaufhaltsam nachgelassen, und beide Männer hatten mich auf dem Weg von der Euphorie zur Enttäuschung mit Kommentaren versorgt.
«Der Mann ist unmöglich!«hörte ich Michael wegen eines bestimmten Trainingswunsches von Jericho ausrufen.»Hoffnungslos unvernünftig.«»Mein Pferd hat das Rennen auf der Fahrt nach Schottland verloren«, hatte Rich sich beklagt.»Was schickt er die so weit weg? Das ist zu teuer, und sie kommen müde an. «Wobei er die erfolgreichen Frankreich-Ausflüge Michaels mit den gleichen Tieren völlig übersah.
Ich verhielt mich bei allen Besitzer-Trainer-Differenzen ganz neutral und unparteiisch, wie mein ausgeprägter Überlebenswille es mir gebot, der zurückging auf meine frühe Rennsportzeit, als mich eine unvorsichtige Kritik um ein Haar einmal den Job gekostet hatte. Selbst bei Freunden, hatte ich gelernt, kam ein verständnisvolles Murmeln besser an, als wenn man seine Meinung äußerte.
Die sanfte Tour hatte mir den ganzen Weg durchs Leben geebnet und sich auch im Geschäft bewährt. Versöhnung lag mir mehr als Konfrontation, überreden mehr als befehlen; und ich hatte nicht oft das Nachsehen.
Michael sagte langsam:»Stimmt es, daß dein Transporter mit einem Toten zurückgekommen ist?«
«Leider.«
«Und wer ist das?«
Ich erklärte einmal mehr die Sache mit Kevin Keith Ogden und erzählte ihm, daß Jericho Rich bereits einen anderen Wagen und einen anderen Fahrer für seine Stuten am nächsten Tag verlangt hatte.
«Hör mir auf mit dem!«sagte Michael bitter.»Obwohl es ein großes Loch in meinen Hof reißt, bin ich doch froh, ihn loszusein. Unausstehlicher Klotz.«
«Kriegst du die Löcher zu?«
«Klar, mit der Zeit schon. Fürs erste hab ich noch zehn Pferde außerhalb stehen, die ich jetzt reinholen kann. Es ist hart, daß Jericho geht, aber kein Beinbruch.«
«Schön.«»Mittagessen am Sonntag? Maudie ruft dich noch an.«
«Gut.«
«Tschüs.«
In Maudie Watermeads blauen Augen konnte ein Mann ertrinken. Ihre Sonntagsessen waren legendär.
Farway, der noch immer am Fenster stand, wurde ungeduldig und sah wiederholt auf seine Uhr, als würde die Zeit dadurch schneller vergehen.
«Scotch?«fragte ich noch einmal.
«Ich trinke nicht.«
Aversion oder Sucht? fragte ich mich. Im großen und ganzen wohl einfach Mißbilligung.
Ich schaute mich in dem geräumigen, mir vertrauten Zimmer um und hätte gern gewußt, wie er es sah. Grauer Teppichboden mit einzelnen Läufern. Kremfarbene Wände, Rennsportfotos, die Porzellanpapageiensammlung meiner Mutter in einer Nische. Antiker Mahagonischreibtisch, grüner Lederdrehstuhl. Sofas mit alten, verblaßten Chintzbezügen, Getränketablett auf einem Beistelltisch, kremfarbene Steppvorhänge, überall Tischlampen, Bücherregale und eine Topfpflanze, nur Blätter, keine Blüten. Ein bewohnter Raum, nicht übermäßig sauber, nicht das Prunkstück eines Innenarchitekten.
Mein Zuhause.
Ein unauffälliger schwarzer Lieferwagen kroch schließlich über den Asphalt und parkte zwischen Pferdetransporter und Haustür. Er hatte lange schwarze, fensterlose Seiten und eine schwarze, fensterlose Hecktür, ein Leichenwagen, wie ich merkte. Gleich darauf tauchte auch Sandy in seinem Dienstwagen wieder auf.
Farway eilte rufend hinaus und stürzte ihm und den drei Männern, die träge aus dem Leichenwagen stiegen, entgegen. Ich folgte Farway auf dem Fuß und sah zu, wie sie eine schmale Bahre ausluden, die mit viel dunklem Segeltuch und mehreren elastischen Gurten versehen war.
Der Mann, der offenbar das Sagen hatte, erklärte, er sei vom Büro des Leichenbeschauers, und bat Farway, einige Formulare auszufüllen. Die beiden anderen kletterten mit der Bahre ins Fahrerhaus des Transporters, gefolgt von Sandy, der bald darauf mit einer Reise- und einer Aktentasche wieder herauskam. Beide Taschen waren aus Leder, abgewetzt zwar, aber ursprünglich von guter Qualität.
«Eigentum des Verstorbenen?«fragte der Mann.
Farway nahm es an.
«Meinen Leuten gehören die nicht«, stimmte ich zu.
Sandy stellte die Taschen auf den Asphalt, stieg noch einmal hoch und kam mit einer Plastiktüte wieder, in der sich die dem Toten abgenommenen Habseligkeiten befanden — Uhr, Feuerzeug, eine Packung Zigaretten, Kuli, Kamm, Nagelfeile, Taschentuch, die Brille und der Goldring mit dem Onyx. Er nannte die Gegenstände einzeln dem mitschreibenden Justizbeamten, band dann einen Anhänger mit der Aufschrift» Eigentum K. K. Ogden «an die Tüte und verstaute sie in seinem Wagen.
Während Sandy und der Justizbeamte wieder ins Fahrerhaus stiegen, hockte ich mich hin und zog den Reißverschluß der Reisetasche auf.
«Ich glaube, das sollten Sie nicht tun«, protestierte Farway.
Die Reisetasche, halbvoll, enthielt das Nötigste für unterwegs: Rasierapparat, Schlafanzug, sauberes Hemd, nichts sonderlich Neues, nichts Ungewöhnliches. Ich zog den Reißverschluß zu und klappte die Aktentasche auf, die nicht verschlossen war.