Sie würde meine Aussage aufnehmen. Vielleicht würde sie bei dem Nachtwächter rückfragen, ob ich tatsächlich in Southampton aus dem Wasser gestiegen war. Ich könnte ihr sagen, daß es sich nicht um einen geplanten Hinterhalt handelte, da ich fünf Minuten vorher noch nicht gewußt hatte, daß ich zum Bauernhof fahren würde. Ich war unverhofft aufgetaucht, und man hatte mich geschickt daran gehindert herauszufinden, wer dort war und weshalb.
Ebenso spontan hatten sie mich wohl nach Southampton geschleppt. Da sie mich lebend, aber scheinbar bewußtlos ins Wasser geworfen hatten, konnte es sie nicht weiter gekümmert haben, ob ich am Leben blieb oder starb… fast als hätten sie darüber nicht entschieden, sondern es dem Schicksal überlassen.
Unsinnig, wie Lizzie gesagt hatte. Da würde jeder skeptisch sein, erst recht die Polizei. Und was würde sie unternehmen? Sie konnte und würde mich nicht Tag und Nacht gegen mögliche widersinnige Mordanschläge schützen. Wenn ich nicht unverhofft nachts in dunkle Winkel marschierte, warum sollte mich noch mal jemand angreifen?
Ein Großteil dieser holprigen Gedankengänge mochte das Ergebnis einer Gehirnerschütterung sein. Wahrscheinlich entsprangen sie aber der bekannten Abneigung gegen Befragungen der unfreundlichen Art, bei denen das Verbrechen als die Schuld des Opfers angesehen wird.
Vorsichtig befühlte ich meinen nur noch gedämpft pochenden Hinterkopf und zuckte bei der Berührung zusammen. Falls ich geblutet hatte, war das Blut weggewaschen worden. Meine Haare waren trocken. Ich fühlte eine Beule und eine Abschürfung, aber keine klaffende Wunde und keine Delle im Schädel. Verglichen mit den Verletzungen, die man bei Hindernisrennen davontragen konnte, gehörten die hier zur Kategorie» Morgen geht’s wieder«. Wenn man bei einem Sturz im Rennen das Bewußtsein verlor, verordneten die Ärzte bis zu drei Wochen Startverbot. Ich würde mir für den Rest der Nacht Startverbot erteilen, dachte ich, und vielleicht am Donnerstag nicht nach Cheltenham fahren. Das mußte genügen.
Der Fourtrak schnurrte uns auf direktem Weg nach Hause. Southampton war der nächste Küstenort von Pixhill aus; der nächste Fluthafen, wo ein Leichnam unbemerkt vor Tagesanbruch von der Ebbe hinausgetragen werden konnte.
Denk nicht mehr dran, sagte ich mir. Ich lebte, war trok-ken, und die Alpträume konnten warten.
Lizzie bog auf die Einfahrt und fuhr ums Haus, und wir sahen, daß während unserer Abwesenheit etwas unglaublich Gemeines geschehen war.
Mein Jaguar XJS, mein schöner Wagen, war mit Vollgas in Lizzies Robinson 22 hineingerammt worden. Die beiden herrlichen Maschinen waren ineinander verkeilt, in einer tiefen metallischen Umarmung verschlungen, beide verbogen und zerdrückt, die ramponierte Kühlerhaube des Jaguars ragte in die Kanzel des Hubschraubers, deren runde Frontscheibe zu spitzen Scherben zersprungen war. Die Landekufen waren eingeknickt, und das Gewicht des Helikopters bohrte sich ins Wagendach; die Drehflügel hingen in einem unmöglichen Winkel, einer lag abgebrochen am Boden.
Man konnte nur froh sein, daß nichts in Flammen aufgegangen oder explodiert war. In jeder anderen Hinsicht waren die beiden schnellen Geräte, unser ein und alles, unsere Traumseelen, tot.
Die Außenbeleuchtung am Haus brannte und ließ die Wracks funkeln. Ein makabrer, aber atemberaubender Anblick, eine glitzernde Vereinigung.
Lizzie brachte den Fourtrak mit einem Ruck zum Stehen und hielt fassungslos, wie vom Schlag gerührt, die Hand vor dem Mund. Ich stieg langsam auf der Beifahrerseite aus und ging auf die Trümmer zu, aber da war nichts zu machen. Man würde einen Kran und einen Abschleppwagen brauchen, um diese Vermählung wieder zu scheiden.
Ich ging wieder zu Lizzie, die jetzt auf dem Asphalt stand und sagte:»O mein Gott, o mein Gott…«und sich bemühte, nicht zu weinen.
Ich legte den Arm um sie. Sie schluchzte trocken an meiner Brust.
«Warum?«Sie würgte das Wort hervor.»Warum?«
Ich hatte keine Antwort, nur schmerzliches Bedauern für sie, für mich, für die willkürliche Zerstörung hoch entwik-kelter Technik.
Bei ihr schlug der Kummer rasch in Zorn und Haß und Rachsucht um.
«Den bring ich um, das Schwein. Ich bring ihn um. Ich dreh ihm den Hals um.«
Sie ging um den Hubschrauber herum, bearbeitete ihn mit den Fäusten.
«Ich liebe die verdammte Mühle, ich lieb das Ding, den bring ich um.«
Mir ging es ganz ähnlich. Ich dachte dumpf, daß wenigstens wir selbst noch lebten, auch wenn ich nur knapp dem Tod entgangen war, und daß das vielleicht genügte.
Ich sagte:»Lizzie, komm da weg, in den Tanks ist noch Sprit.«
«Ich rieche nichts. «Sie kam trotzdem zu mir herüber.»Ich könnte platzen vor Wut.«
«Laß uns reingehen und was trinken.«
Sie ging steifbeinig mit mir zur Hintertür.
An der Tür war eine Glasscheibe zerbrochen.
«O nein!«sagte Lizzie.
Ich drückte die Klinke herunter. Offen.
«Ich hatte abgeschlossen«, sagte sie.
«M-hm.«
Man mußte den Tatsachen ins Auge blicken. Ich ging in das große Zimmer und wollte Licht machen. Der Lichtschalter war aus der Wand gehackt. Nur im Mondlicht konnte man die Verwüstung sehen.
Wie es schien, hatte da jemand mit einer Axt gewütet. Die Einrichtung war nicht bloß beschädigt, sondern kurz und klein geschlagen. Es war hell genug, um die Einschläge an den Möbeln zu sehen, die zerschmetterten Tischlampen, die Trümmer des Fernsehers, den gespaltenen Computerbildschirm, die Schlitze in meinem Ledersessel, die nackten, aus meinem antiken Schreibtisch herausgehackten Splitter.
Anscheinend war nichts verschont geblieben. Bücher und Zeitschriften lagen zerfetzt auf dem Fußboden. Die Osterglocken, die ich für Lizzie gepflückt hatte, waren zertrampelt, die Waterfordvase, in der sie gestanden hatten, lag in Scherben.
Die gerahmten Fotos aus meiner Rennsportzeit waren von den Wänden gerissen und nicht mehr zu retten. Die erlesene Sammlung von Porzellanvögeln, ein Erbstück unserer Mutter, war dahin.
Offenbar gingen Lizzie die Vögel am meisten zu Herzen. Sie saß auf dem Boden, die Tränen liefen ihr in den Mund, und sie hielt die kläglichen, nicht mehr zu reparierenden Bruchstücke an ihre Lippen, wie um sie zu trösten. Trauer um unsere Kindheit, unsere Eltern, unser vergangenes Leben.
Ich lief durch das übrige Haus, doch in die anderen Räume war niemand eingedrungen, nur in das Herzstück, wo ich lebte.
Das Telefon auf meinem Schreibtisch würde nie wieder klingeln. Der Anrufbeantworter war entzweigehackt. Ich ging hinaus zu dem Telefon im Fourtrak und weckte Sandy Smith auf.
«Tut mir leid«, sagte ich.
Er kam in seinem Wagen und in seiner Uniform, die er aber über den Pyjama gestreift hatte, ohne die marineblaue Jacke zuzuknöpfen, so daß man die behaarte Brust sah. Entgeistert bestaunte er das Amalgam aus Jaguar und Helikopter und nahm eine Taschenlampe mit ins Haus.
Der Lichtstrahl fiel auf Lizzie, die Vögel, die Tränen.
«Ganze Arbeit«, meinte Sandy zu mir, und ich nickte.
«Guten Morgen, Miss«, sagte er zu Lizzie, ein höflicher Gruß, der seltsam verfehlt wirkte, aber sicher nett gemeint war.
Zu mir sagte er:»Wissen Sie, wer das getan hat?«
«Nein.«
«Vandalismus«, sagte er.»Übel.«
Eine gräßliche, beklemmende Angst überkam mich, und ich bat ihn, mit mir zum Bauernhof zu fahren.
Er hatte Verständnis für meine Sorge und erklärte sich sofort dazu bereit. Lizzie, die noch immer einen Flügel und den Kopf eines Vogels in den Händen hielt, sagte, sie wolle mitkommen, wir könnten sie doch nicht allein im Haus lassen.
Wir fuhren in Sandys Wagen, mit Blinklicht, aber ohne Sirene. Das Tor zum Bauernhof stand noch offen, doch die Transporter selbst waren unangetastet, und mir wurde vor Erleichterung fast schlecht.
Die Büros waren abgeschlossen. Meine Schlüssel waren längst verschwunden, doch im Halbdunkel durchs Fenster betrachtet sahen die drei Räume so ordentlich aus wie sonst auch. Die Kantine mit ihrer offenen Tür war ebenfalls in Ordnung.