Ich ging weiter zur Scheune. Der Geräteraum war zu. Nichts sah verändert aus. Ich kehrte zu Sandy und Lizzie zurück und resümierte: kein Schaden und niemand da.
Sandy starrte mich merkwürdig an.
«Miss Croft«, sagte er,»meint, es hat jemand versucht, Sie umzubringen.«
«Lizzie!«fuhr ich auf.
Lizzie sagte:»Wachtmeister Smith wollte wissen, wo wir gewesen sind, als das ganze… das bösartige Zerstörungswerk im Haus gelaufen ist. Ich mußte es ihm sagen. Es ging nicht anders.«
«Ich weiß nicht, ob mich wirklich jemand umbringen wollte«, sagte ich. Ich erzählte Sandy kurz von meinem Erwachen in Southampton.»Vielleicht hat man mich dorthin geschafft, um Zeit für den Überfall aufs Haus zu gewinnen.«
Sandy ging mit sich zu Rate, knöpfte geistesabwesend seine Uniformjacke zu und erklärte, daß er wohl nicht umhin könne, seine Dienststelle zu benachrichtigen.
«Hat das nicht bis zum späten Vormittag Zeit?«fragte ich.
«Ich könnte etwas Schlaf gebrauchen.«
«Seit vorigen Donnerstag haben Sie zwei Tote auf Ihrem Grundstück gehabt«, hob Sandy hervor.»Und jetzt das. Ich bekomme Ärger, Freddie, wenn ich das nicht sofort melde.«
«Die zwei Toten waren Unfälle.«
«Ihr Haus ist keiner.«
Ich zuckte die Achseln und lehnte mich an seinen Wagen, während er anrief. Nein, sagte er, niemand sei tot, niemand verletzt, es handle sich um Sachbeschädigung. Er nannte meine Privatanschrift und erhielt Weisungen, die er anschließend an mich weitergab. Zu gegebener Zeit würden zwei Kriminalbeamte in Zivil vorbeikommen.
«Was heißt zu gegebener Zeit?«fragte Lizzie.
«In Winchester ist ein großes Ding passiert«, sagte Sandy.
«Sobald sie können also.«
«Warum haben Sie gesagt, es sei niemand verletzt?«Lizzie hörte sich empört an.»Freddie ist doch verletzt worden.«
Sandy betrachtete mich wissend.»Verletzt ist für ihn, wenn er sich beide Beine gebrochen hat und die Eingeweide raushängen.«
«Männer!«sagte Lizzie.
Sandy wandte sich an mich:»Möchten Sie, daß ich Dr. Farway anrufe?«
«Nein.«
Er hörte, wie entschieden die Antwort kam, und lächelte Lizzie an.»Sehen Sie?«
«Wie spät ist es?«fragte ich.
Sandy und auch Lizzie sahen auf die Uhr.»Zwei Minuten nach halb vier«, sagte Sandy die genaue Zeit.»Meine
Meldung an die Zentrale ist um 3 Uhr 26 aufgenommen worden.«
Immer noch an Sandys Wagen gelehnt, konnte ich mich nicht entscheiden, was ich bewachen sollte, mein Geschäft oder mein Zuhause. Vielleicht war der schon angerichtete Schaden noch nicht alles. Wenn jemand so sinnlos ausrastete, daß er auf Osterglocken herumtrampelte, kam man mit logischen Voraussagen nicht weit. Wände beschmieren, Fenster einwerfen, plündern, zerstören als Selbstzweck, darin liegt das natürliche Vergnügen der ungezähmten Menschheit. Zivilisation und soziales Gewissen sind aufgesetzt.
Die Seitentür von Harves Haus ging direkt auf den Bauernhof. Sichtlich besorgt kam er in Jeans und einem rasch übergestreiften Anorak herausgestürzt.
«Freddie! Sandy!«Seine Erleichterung hielt sich in Grenzen.
«Einer von meinen Kleinen ist aufgestanden, weil er mal mußte, und dann weckt er mich und sagt, bei den Transportern steht ein Polizeiauto. Was ist passiert?«Er blickte die geschlossene Fahrzeugreihe entlang und fragte verwirrt noch einmaclass="underline" »Was ist denn los?«
«Irgendwelche Vandalen sind in mein Haus eingebrochen«, erklärte ich.»Wir wollten nachsehen, ob sie auch hier gewesen sind, aber hier waren sie nicht.«
Harve sah eher noch beunruhigter aus.
«Ich habe spät noch eine Runde gemacht. Da war alles in Ordnung.«
«Um welche Zeit?«fragte ich.
«Na, so gegen zehn.«
«Hm«, sagte ich,»Und Sie waren nicht zufällig vielleicht eine Stunde später noch mal hier? Sie haben nichts gehört?«
Er schüttelte den Kopf.»Als ich rein bin, hab ich mir kurz ein Video von einem Fußballspiel angesehen und bin ins Bett. «Er sah immer noch besorgt aus.»Warum?«
«Ich war ungefähr um halb elf hier. Das Tor stand offen, und jemand lief herum. Ich dachte, das wären Sie.«
«Nein, nicht um diese Zeit. Ich hab um zehn das Tor geschlossen. Weil um zehn alles wieder im Nest war.«
«Danke, Harve.«
«Aber wer war denn um halb elf hier?«wollte er wissen.
«Das ist es ja gerade, ich weiß es nicht. Ich habe niemand so genau gesehen, daß ich feststellen konnte, ob ich ihn kenne oder nicht.«
«Wenn die aber doch nichts beschädigt haben…«, Harve runzelte die Stirn,»was wollten sie dann hier?«
Das war eine gute Frage, aber im Augenblick lag mir nichts daran, die einzige Erklärung anzuführen, die mir dazu einfiel. Außerdem war sie logisch: vielleicht zu logisch für die poltergeisternde Unvernunft von so vielem, was in dieser Nacht geschehen war.
Sandy und Lizzie erzählten Harve gemeinsam von meinem Bad im Meer, während Harves Gesicht immer entsetzter wurde.
«Sie hätten ertrinken können!«rief er aus.
«M-hm. Aber es ging ja noch mal gut.«
Ich bat Harve, für den Rest der Nacht auf dem Hof Wache zu halten.»Setzen Sie sich in Ihren Transporter«, schlug ich vor,»und rufen Sie mich an, sobald Ihnen draußen was komisch vorkommt.«
Nachdem er mir versprochen hatte, nur schnell noch seiner Frau Bescheid zu sagen und sich eine Decke und etwas Warmes zu trinken zu holen, fuhr ich mit Sandy und Lizzie wieder nach Hause und ließ sie in der Küche bei damp-fendem Tee über das liebe Leben herziehen. Ich selbst ging müde nach oben, entschloß mich zu duschen, legte mich statt dessen in den Winterstiefeln und der Daunenjacke aufs Bett, spürte kurz, wie sich der Erdball drehte, und sank unverzüglich in einen schweren Schlaf.
Ich wachte erst auf, als Lizzie mich schüttelte und eindringlich rief:»Freddie! Freddie, bist du in Ordnung?«
«M-hm. «Ich kämpfte mich aus der Tiefe hoch.»Was ist denn?«
«Die Polizei ist da.«
«Bitte?«
Verständnis und Erinnerung kehrten mit unwillkommener Klarheit zurück. Ich stöhnte. Mir war nicht gut. Ich dachte ohne besonderen Grund an Alfred, den König von Wessex, der sein Land von den dänischen Invasoren befreit hatte, obwohl er von der Hälfte aller im neunten Jahrhundert bekannten Krankheiten befallen war. Welche Seelenstärke! Und Latein schreiben und übersetzen konnte er auch noch.
«Freddie, die Polizei möchte dich sprechen.«
König Alfred hatte Hämorrhoiden gehabt, hatte ich mal gelesen. Alles in allem kein Wunder, daß er die Plätzchen der Bäuerin hatte anbrennen lassen.
«Freddie!«
«Sag ihnen, ich bin in fünf Minuten unten.«
Als sie gegangen war, stieg ich aus den dicken Klamotten, duschte, rasierte mich, zog frische Sachen an, kämmte mir sorgfältig die Haare und begann zumindest äußerlich wieder auszusehen wie unser aller F. Croft, Herr über ein paar Dinge, vor denen er lieber die Augen verschlossen hätte.
Das Wohnzimmer sah im trüben Morgenlicht nicht besser aus, und alle Energie war aus dem Wust von Metall verschwunden, der einmal mein geliebtes Auto war. Die beiden Polizisten, die ich von dem einen Fiasko zum anderen führte, waren nicht dieselben, die mich wegen Jogger aufgesucht hatten. Sie waren älter, müder, abgearbeitet und wenig beeindruckt von meinen Schwierigkeiten, die ich mir ihrer Ansicht nach offenbar selbst eingebrockt hatte. Ich beantwortete ihre Fragen einsilbig, teils aus Unwohlsein, hauptsächlich aus Unwissenheit.
Nein, ich wußte nicht, wer den ganzen Schaden angerichtet hatte.
Nein, ich konnte es mir auch nicht denken.
Nein, von mißgünstigen Konkurrenten war mir nichts bekannt.