Hatte ich einen Arbeiter entlassen? Nein. Einer war kürzlich aus freien Stücken gegangen.
Hatte ich persönliche Feinde? Nicht, daß ich wüßte.
Ich mußte welche haben, sagten sie. Jeder hatte Feinde.
Nun ja, überlegte ich im Gedanken an Hugo Palmerstone, ich hatte keinen persönlichen Feind, der sicher sein konnte, daß mein Haus am Mittwoch morgen um zwei während der Renntage von Cheltenham leer sein würde. Es sei denn, natürlich, der Betreffende selbst hatte mir eins über den Schädel gegeben.
Wer mich denn derart haßte? Wenn ich das wüßte, erwiderte ich, würde ich es ihnen bestimmt sagen.
War etwas gestohlen worden?
Die Frage erwischte mich kalt. Es war so viel zu Bruch gehauen, daß ich an Diebstahl gar nicht gedacht hatte. Mein Wagen hätte gestohlen werden können. Mein Fernseher, mein Computer, die Porzellanvögel, die Waterford-vase, all das war wertvoll gewesen. Ich hätte noch nicht in meinen Safe gesehen, sagte ich lahm.
Sie begleiteten mich wieder ins Haus und schauten sich an, als könnten sie nicht glauben, daß ich den Safe nicht als erstes kontrolliert hatte.
«Da ist nicht viel drin«, sagte ich.
«Geld?«
«Ja, Geld.«
Wieviel war nicht viel? Unter tausend, sagte ich.
Der Safe stand in einer Ecke hinter meinem Schreibtisch, das feuerfeste Metallgehäuse verborgen in einem Schrank aus poliertem Holz. Die unbeschädigte Schranktür öffnete sich leicht, doch das Zahlenschloß im Innern war mit derselben schweren Axtklinge bearbeitet worden wie alles andere. Das Schloß hatte dem Angriff widerstanden, doch sein Mechanismus war blockiert.
«Gestohlen worden ist nichts«, sagte ich.»Der Safe geht nicht auf.«
Das Faxgerät auf dem Geldschrank würde keine Nachrichten mehr übermitteln. Der Fotokopierer auf dem Tisch daneben hatte auskopiert. Je ein Schlag auf beide hatte ihr Leben beendet.
Mein Zorn, nicht sofort aufflammend und tränenvoll wie der von Lizzie, sondern eine langsam schwelende Wut, steigerte sich jäh beim Anblick der beiden böswillig zerstörten Geräte, die ich — und die Versicherung — ohne weiteres ersetzen konnten. Die unnötige Brutalität regte mich auf. Wer immer das alles getan, wer immer mich ins Wasser geworfen hatte, der wollte mich leiden sehen, wollte mich fühlen lassen, was ich jetzt fühlte. Ich entschloß mich, niemandem auch noch die Freude zu machen, mich schreien und stöhnen zu hören. Ich würde herausfinden, wer und warum, und die Rechnung begleichen.
Die Polizisten fragten nach meinem SouthamptonAusflug, aber da konnte ich ihnen wenig sagen: Ich war ins Wasser geworfen worden, war geschwommen, an Land geklettert, hatte meine Schwester angerufen, damit sie mich abholte.
Nein, ich hatte nicht gesehen, wer mir den Schlag versetzt hatte.
Nein, ich war nicht beim Arzt gewesen. Nicht nötig.
Noch während ich ihnen sagte, ich hätte keinerlei Erinnerung an die Fahrt nach Southampton, dämmerte mir, daß ich irgendwann die Augen aufgehabt hatte. Ich hatte das Mondlicht gesehen. Ich hatte sogar etwas gesagt. Ich hatte gesagt:»Wunderschöne Nacht zum Fliegen. «Im Tran.
«Wenn er davon nicht die Grippe kriegt, weiß ich’s auch nicht.«
Sie hatten gewußt, dachte ich, daß ich wenigstens halb bei Bewußtsein war, als sie mich reingeworfen hatten.
Eine Gehirnerschütterung war, wie ich schon früher hatte beobachten können, unberechenbar. Lange nach dem Sturz oder dem Schlag konnten Erinnerungsfetzen auftauchen. Und man konnte dem Anschein nach bei Besinnung sein, so daß die Leute sagten, man sei gelaufen, man habe geredet, aber man selbst wußte hinterher nichts davon. Stunden, Tage oder Wochen nach dem Geschehen konnte die vollständige Erinnerung wiederkehren, aber in anderen Fällen blieb für immer ein weißer Fleck. Ich entsann mich, wie mir einmal das Gras ins Gesicht geknallt war; ich erinnerte mich, an welchem Hindernis ich im zweiten Rennen des Tages gestürzt war und mit welchem Pferd. Aber bis heute konnte ich mich weder daran erinnern, wie ich an dem Morgen zur Rennbahn gefahren war, noch an das erste Rennen, das ich den Berichten zufolge eine halbe Stunde vor dem Sturz mit sieben Längen gewonnen hatte.
Ich war im Kofferraum eines Pkws nach Southampton transportiert worden. Die Erkenntnis kam einfach so. Ich wußte nicht, woher ich es wußte, aber ich war mir sicher.
Die Polizei hatte einen Fotografen mitgebracht, der ein paar Blitzlichtaufnahmen schoß und wieder verschwand, und einen Fingerspurensucher, der länger blieb, für seinen Befund aber nur ein Wort brauchte:»Handschuhe.«
Lizzie geisterte um ihren Hubschrauber herum, streichelte ihn hin und wieder und murmelte» Schweine «vor sich hin. Sie sagte, sie werde den Pendelflug nach Edinburgh nehmen müssen, da sie am Nachmittag eine Vorlesung gebe. Sie schwor, daß die Mitbesitzer des Hubschraubers dem, der ihn zerdonnert hatte, den Hals umdrehen würden.
Erst mal finden, dachte ich.
Der Morgen schien aus den Fugen. Die Polizei nahm eine Aussage auf, die das, was sie vorgefunden und was ich ihnen erzählt hatte, in Polizeisprache faßte, und ich unterschrieb das Protokoll in der Küche. Sandy machte Tee. Die anderen Polizisten probierten ihn und sagten:»Mer-ci.«
«Merci«, sagte ich auch. Immer noch daneben, dachte ich.
Einer der Kripoleute sagte, er halte die Beschädigung meines Eigentums für einen privaten Racheakt. Ich solle einmal darüber nachdenken. Vielleicht wüßte ich irgendwie doch, wer mich überfallen hätte. Er riet mir davon ab, auf eigene Faust Rache zu nehmen.
«Ich weiß nicht, wer das war«, sagte ich wahrheitsgemäß.
«Sonst würde ich es Ihnen sagen.«
Er sah mich an, als ob er mir nicht glaubte.»Denken Sie nach, Sir. «Ich unterdrückte einen ärgerlichen Ausbruch und dankte ihnen für ihr Kommen. Lizzie trat in die Küche und sagte ziemlich laut:»Schweine. «Fast hätte ich gelacht. Sie nahm sich einen Becher Tee und spazierte wieder hinaus.
Als seine Kollegen gegangen waren, sagte Sandy verlegen:
«Das sind schon gute Kerle, wissen Sie.«
«Bestimmt.«
«Die haben schon so viel gesehen«, sagte er.»Ich habe auch zuviel gesehen. Es ist schwer, immer wieder Mitgefühl zu haben. Zum Schluß empfinden wir keins mehr. Verstehen Sie, was ich meine?«
«Sie sind selbst ein guter Kerl, Sandy«, sagte ich.
Er schien sich zu freuen und machte mir ein Gegenkom-plimemt.
«Sie sind beliebt in Pixhill«, sagte er.»Ich hab noch nie jemand schlecht über Sie reden hören. Ich glaube, wenn Sie so schlimme Feinde hätten, dann hätte ich davon gehört.«
«Hätte ich auch gedacht, daß mir das nicht entgangen wäre.«
«Ich glaube, das war Zerstörung als Selbstzweck. Das hat denen Spaß gemacht.«
Ich seufzte.»Ja.«
«Erst vorige Woche«, sagte er,»hat dreimal jemand auf dem Parkplatz eines Supermarkts in Newbury einen Einkaufswagen in ein Auto gerammt. Regelrecht die Seiten von den Autos eingedrückt, das Blech lädiert, den Lack zerkratzt. Nur so, um mal richtig hinzulangen. Die Leute entdecken den Schaden, wenn sie wiederkommen, und ihre Verärgerung ist das schlimmste daran. Der Supermarkt läßt den Parkplatz bewachen, aber bis jetzt hat noch nie-mand den Rowdy erwischt. Gegen diese Art Vandalismus kommt man nicht an. Und wenn er eines Tages auf frischer Tat ertappt wird, kriegt er bloß Bewährung.«
«Wahrscheinlich ist es ein Teenager.«
Sandy nickte.»Das sind die schlimmsten. Aber denken Sie an Brandstifter, die sind meistens schon etwas älter. Und ich glaub nicht, daß es ein Teenager war, der hier eingedrungen ist.«
«Was meinen Sie, wie alt?«
Sandy schürzte die Lippen.»In den Zwanzigern, vielleicht auch Dreißigern. Nicht viel älter als vierzig. Danach geht dieser Trieb zurück. Es gibt keine Sechzigjährigen, die so was machen. Die kommen eher wegen Betrug vor den Kadi.«
Ich dachte über einiges nach und sagte:»Wissen Sie, daß Joggers Werkzeug aus seinem Wagen gestohlen wurde?«