«Sagen Sie ihnen, in zwanzig Minuten. War der Computermann da?«
«Er ist gerade hier. Noch eine halbe Stunde, sagt er.«
«Schön.«
«Nina Young hat angerufen. Sie und Nigel haben das Springpferd für Jericho Rich abgeholt und sind jetzt auf dem Rückweg. Keine Zwischenfälle, soll ich Ihnen ausrichten.«
«Okay.«
Ich fuhr zurück und ließ die Polizei warten, während ich mit dem jungen Computerfachmann in Isobels Büro sprach. Ja, bestätigte er, er habe wie gewünscht ein Ersatzterminal für meine Wohnung mitgebracht und werde gleich mitkommen, um es anzuschließen.
Wenn ich mit der Polizei gesprochen hätte, sagte ich.
Er sah auf seine Uhr und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.»Ich muß noch zum Rennstall von Michael Watermead. Der gleiche Salat wie hier. Ich fahre erst zu ihm, dann komme ich zu Ihnen.«
«Michael?«fragte ich überrascht.
Er lächelte.»Direkt passend zu Michelangelo, aber er fand das gar nicht komisch.«
«Kann ich mir vorstellen.«
Bevor ich die Nachricht vom Ausfall der Watermead-schen Festplatte, geschweige denn ihre Bedeutung noch richtig verarbeitet hatte, ging ich nach nebenan in mein Büro, wo die Polizisten warteten.
Es waren die beiden, deren Benehmen bei ihrem Besuch am Montag so schnell meinen Widerstand hervorgerufen hatte. Sandy zuliebe entschloß ich mich, hilfsbereit zu sein, und beantwortete ihre Fragen wahrheitsgemäß, höflich und kurz. Sie trieften vor Argwohn und Feindseligkeit, wofür ich keinen Grund sah, und sie stellten die meisten Fragen vom Montag noch einmal.
Sie müßten Proben von dem Schmutz in und um die Schmiergrube entnehmen, erklärten sie. Bitte sehr, sagte ich. Sie teilten mir mit, daß sie dabei seien, sich bei meinem Personal zu erkundigen, wieso Jogger am Sonntag morgen zum Bauernhof gekommen war.
Schön.
Hatte ich ihn angewiesen, dort am Sonntag morgen zu erscheinen?
Nein.
Hatte ich etwas dagegen, daß er an einem Sonntag morgen dorthin ging?
«Nein. Wie ich schon sagte, kann das ganze Personal auf dem Bauernhof ein und aus gehen, wann es will.«
Wieso?
«Betriebsgrundsatz«, sagte ich und fühlte mich nicht geneigt zu erklären, daß der Besitzerstolz der Fahrer sie ver-anlaßte, ihre Wagen ein wenig persönlich zu gestalten, und daß sie dazu hauptsächlich den Sonntag benutzten. Sonntags wurden die Gardinen aufgehängt, die Sitze und Matratzen bezogen, der Boden mit Teppich ausgelegt. Frauen halfen ihren Männern, das Haus auf Rädern herauszuputzen. Metall- und Möbelpolitur gingen mit dem Stolz einher. Loyalität und Zufriedenheit gediehen an Sonntagen.
Kam Jogger normalerweise sonntags zum Bauernhof?
Ich sagte, daß Pferdetransportunternehmen immer sonntags arbeiteten, wenn auch nicht so viel wie an anderen Tagen. Für Jogger sei es bestimmt ganz normal gewesen, an einem Sonntag zum Bauernhof zu kommen.
Getreu der Vorhersage Sandys fragten sie, was ich an diesem Sonntag morgen gemacht hatte. Ich sagte es ihnen. Sie schrieben es skeptisch auf. Sie haben in Ihrem Garten Osterglocken gepflückt und sie Ihren Eltern aufs Grab gelegt, sagen Sie? Ja. Tun Sie das gewohnheitsmäßig? Hin und wieder bringe ich Blumen hin, sagte ich. Wie oft? Fünf oder sechs Mal im Jahr.
Ich schloß aus ihrer Haltung allgemein und aus dem engen Rahmen ihrer Fragen, daß man sich bei der Polizei noch immer nicht darüber einig war, wie Joggers Tod nun anzusehen sei — als Unfall oder Schlimmeres.
Der Rost, dachte ich, würde den Ausschlag geben.
Ich ging mit ihnen und sah zu, wie sie rings um die Grube Proben entnahmen. Sie steckten die Abschabsel in kleine Plastiktüten, verschlossen sie und gaben auf dem Etikett jeweils den Herkunftsbereich an. Grubenboden Nord… Ost, West, Süd. Grubeninnenwand Nord… Ost, West, Süd. Grubenrand Nord… Ost, West, Süd.
Sie waren gründlich und unparteiisch. Rost oder nicht, jetzt würde es sich zeigen.
Schließlich fuhren sie und ließen mich mit meinen gemischten Gefühlen und zwei bestürzten Sekretärinnen allein.
Isobel sagte entrüstet:»Die haben uns gefragt, wie Sie und Jogger miteinander ausgekommen sind! Wieso fragen die das? Jogger ist doch in die Grube gefallen, oder nicht?«
«Das müssen sie eben rausfinden.«
«Aber… aber.«
«M-hm«, sagte ich,»hoffen wir, daß er gefallen ist.«
«Die Fahrer meinen doch alle, er muß gefallen sein. Die ganze Woche haben sie das gesagt.«
Weil sie es glauben wollten, dachte ich.
Ich fuhr nach Hause, wo der Computerspezialist bald zu mir stieß. Er blieb breitbeinig in der Mitte meines verwüsteten Wohnzimmers stehen, und die Hand kam aus den Haaren nicht mehr raus.
«Ja«, sagte ich in sein verblüfftes Schweigen.»Dazu hat schon ein bißchen Kraft und sehr viel Lust gehört.«
«Lust?« Er dachte darüber nach.»Ja, wahrscheinlich.«
Er setzte das Wrack des alten Computers auf eine der wenigen freien Stellen des Teppichs und schloß dafür das neue Gerät an die Telefonverbindung zu dem Rechner in Isobels Büro an. Obwohl ich weiterhin an meinen Bleistifttabellen festhalten würde, war es doch beruhigend, die Direktverbindung zum Geschäft wieder auf dem Bildschirm erblühen zu sehen.
«Ich garantiere Ihnen, daß die neue Platte sauber ist«, sagte der Experte.»Und ich verkaufe Ihnen ein Programm, mit dem Sie die Sauberkeit überprüfen können. «Er zeigte mir, wie man die Platte» durchcheckt«.»Wenn Sie darauf einen Virus entdecken, rufen Sie mich bitte sofort an.«
«Bestimmt. «Ich schaute seinen fleißigen Fingern zu und stellte ein paar Fragen.»Wenn jemand Michelangelo in den Rechner im Büro einschleust, würde dann auch der Rechner hier infiziert?«»Ja, sobald Sie die Programme vom Büro auf Ihren Bildschirm rufen. Und umgekehrt. Wenn jemand hier den Virus einschleust, überträgt er sich aufs Büro. Und greift von dort auf alle Rechner über, die mit ihm vernetzt sind.«
«Wie der von Rose?«
«Ist Rose die andere Sekretärin? Klar, auf den im Handumdrehen.«
«Und, ehm… wenn wir Sicherungskopien anlegen, geht der Virus dann da auch rein?«
Er sagte ernst:»Falls Sie Sicherungskopien haben, lassen Sie mich die bitte prüfen, bevor Sie sie benutzen.«
«Ja.«
«Aber Ihre Mädchen sagten ja, sie hätten schon ewig keine mehr gemacht.«
«Ich weiß. «Ich hielt inne.»Hat Michael Watermeads Sekretärin Kopien angelegt?«
Er zögerte.»Weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen sollte.«
«Berufsethos?«
«So ungefähr.«
«Isobel wird sie’s ohnehin sagen.«
«Na ja, dann… äh… ja, sie hat, und auf der Diskette, die sie zuletzt dafür benutzt hat, ist Michelangelo. Ich muß ihr ganzes System säubern.«
«Können Sie die Daten retten?«
«Sehr wahrscheinlich.«
Er schloß die Anlage fertig an und warf mir einen vergnügt-mitleidigen Blick zu.»Sie brauchen Nachhilfe«, sagte er.»Vor allem müssen Sie mal über Schreibschutz und Startdisketten Bescheid wissen. Ich könnt’s Ihnen beibringen, wenn Sie auch nicht mehr der Jüngste sind.«
«Wie lange arbeiten Sie schon mit Computern?«fragte ich.
«Gespielt habe ich damit schon, bevor ich einen Griffel halten konnte.«
So wie ich reiten gelernt hatte, dachte ich.
«Ich werde Unterricht bei Ihnen nehmen«, sagte ich.
«Wirklich? Na, prima. Gebongt.«
Nachdem er gegangen war, hielt ich mich wach, um das ganze Tagesprogramm von Cheltenham zu sehen, und erlebte mit bittersüßer Genugtuung, wie ein Pferd, das ich eingesprungen und sein Metier gelehrt hatte, den Gold Cup gewann.
Ich hätte ihn reiten sollen. Wenn ich gewollt hätte… Nun, es mußte genügen, sich an seinen ersten Triumph zu erinnern, eine Zweimeilenhatz über die Hürden. Oder an seine erste Steeplechase, ein hochklassiges Sieglosenren-nen, bei dem er die Konkurrenz leicht hinter sich gelassen hatte, um dann beinah doch noch überrollt zu werden, als er auf den letzten hundert Metern ins Schwimmen kam. Insgesamt achtmal hatte ich ihn als Ersten ins Ziel gebracht, und jetzt, als neunjähriger Star, ging er hier in Cheltenham die Einlaufgerade entlang wie ein Pfeil, mit aller Eleganz und allem Mut, den ein Jockey sich erhoffen konnte.