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Verdammt.

Ich schüttelte das öde, selbstmitleidige Bedauern ab. So langsam solltest du darüber hinweg sein, sagte ich mir. Nichts gegen eine angemessene Trauerzeit, aber wer blickt denn nach drei Jahren immer noch zurück? Etwas unbehaglich stellte ich mir vor, daß ich die Nostalgie vielleicht erst überwand, wenn auch das letzte von mir gerittene Pferd reif für Kentauros war. Oder auch dann noch nicht, wenn viele so wie Peterman plötzlich vor meiner Tür standen.

In dem Moment, als ich den Fernseher ausschaltete, klingelte das Telefon, und ich hörte Lizzies überraschte Stimme.

«Hallo! Ich dachte, ich kriege deinen Anrufbeantworter. Ich dachte, du wärst in Cheltenham.«

«Bin nicht hingefahren.«

«Scheint so. Warum nicht? Was macht dein Kopf?«

«Kein Grund zur Sorge. Ich könnte nur immer schlafen.«

«Völlig natürlich. Hör auf die Natur.«

«Ja, gnä’ Frau.«

«Danke, daß du mir Aziz mitgegeben hast. Ein faszinierender junger Mann.«

«So?«

«Zu klug für seinen Job, würde ich sagen.«

«Wie kommst du darauf? Ich brauche kluge Fahrer.«

«Die meisten Fernfahrer können sich aber nicht über chemische Elemente auslassen, schon gar nicht auf französisch.«

Ich lachte.

«Denk mal drüber nach. Jedenfalls«, sagte sie,»hab ich einen Bericht über deine Röhrchen.«

Es dauerte ein paar Sekunden, bis mir aufging, welche Röhrchen sie meinte — bezeichnend für mein auf Sparflamme arbeitendes Gehirn.

«Röhrchen«, sagte ich.»Ah ja, prima.«

«Beide Gläser haben je 10 Kubikzentimeter Virustransportmedium enthalten.«

«Zehn Kubikzentimeter was?«

«Genaugenommen setzt der Inhalt der Gläser sich zusammen aus Rinderalbumin, Glutaminsäure, Sucrose und einem Antibiotikum namens Gentamicin, alles in sterilem Wasser mit einem ausgewogenen pH-Wert von 7,3.«

«Äh…«, sagte ich und griff nach einem Stift.»Buchstabier das alles noch mal langsam.«

Lachend wiederholte sie es.

«Aber wozu ist das gut?« fragte ich.

«Für Virustransporte, wie ich gesagt habe.«

«Aber was für ein Virus?«Ich dachte unwillkürlich an Michelangelo, und das war Unsinn. Michelangelo brauchte Röhren anderer Art.

«Jedes beliebige«, sagte Lizzie.»Viren sind etwas sehr Rätselhaftes und selbst unter dem Elektronenmikroskop kaum sichtbar. Normalerweise bekommt man nur ihre Wirkung zu sehen. Und man entdeckt die Antikörper, die der befallene Organismus entwickelt, um sich zu wehren.«

«Aber…«, ich ordnete schnell ein paar wirre Gedanken,»war denn ein Virus in den Röhrchen?«

«Läßt sich unmöglich feststellen. Es hat den Anschein, da die Gläser ja sorgfältig versiegelt waren und im Dunkeln in einer Thermosflasche transportiert wurden — und die Thermosflasche hätte man übrigens gebraucht, um die Röhren nicht warm, sondern kühl zu lagern, bei etwa vier Grad —, aber du sagtest, du hattest die Gläser schon tagelang, ja?«

«Sie sind heute vor einer Woche in einem meiner Transporter befördert worden.«

«Hatte ich doch recht. Also, Viren überdauern außerhalb eines lebenden Organismus nur ganz kurze Zeit. Virustransportmedium benutzt man, um infiziertes Gewebe in ein Labor zu schaffen, damit es untersucht oder seine Wirkung auf einen anderen Organismus erforscht werden kann, aber Viren halten sich nicht lange in Medien oder Kulturen.«

«Wie lange denn?«

«Es kommt drauf an. Die widerstreitenden Meinungen hier an der Uni reichen von gerade mal fünf Stunden bis zu achtundvierzig. Danach wäre jedes Virus unwirksam.«»Aber Lizzie.«

«Ja?«

«Ich meine… ich verstehe nicht ganz.«

«Das geht noch mehr Leuten so«, sagte sie.»Man kennt bisher ungefähr sechshundert verschiedene Viren; wahrscheinlich gibt es mindestens doppelt so viel, aber sie sind eben schwer sichtbar zu machen. Im Unterschied zu Bakterien können Viren nicht unabhängig existieren. Sie bestehen aus einer — meist zylindrischen oder vielflächigen — Eiweißhülle und einem Nukleinsäurefaden. Viren dringen in lebendes Gewebe ein, da sie sich nur mit Hilfe von Wirtszellen, sei es im Tier oder im Menschen, vermehren können. So erzeugen sie Grippe, Schnupfen, Kinderlähmung, Pocken, Masern, Tollwut, Aids; die Auswahl ist groß. An der Wirkung kennt sie jeder. Niemand weiß, wie sie entstanden sind. Manche, wie die Grippeviren, ändern sich immer wieder.«

Schweigend dachte ich über das nach, was sie mir erzählt hatte, bis sie schließlich fragte:»Freddie? Bist du noch da?«

«Ja«, sagte ich.»Soll das heißen«, fragte ich langsam,»daß man jemandem ein Grippevirus entnehmen, es meilenweit transportieren und jemand anders damit anstecken könnte, ohne daß die Leute sich auch nur begegnen?«

«Sicher könnte man das. Aber warum sollte man?«

«Aus Bosheit?«tippte ich an.

«Freddie!«

«Es ginge doch, oder?«

«Wenn ich es recht verstehe, brauchte man dazu ein beträchtliches Inokulat in einer geringen Menge Nährlösung, das Virus müßte überaus pathogen sein und der Rezeptor überaus empfänglich.«

«Ist das O-Ton Professor Quipp?«

Sie sagte bissig:»Da du schon fragst, ja.«

«Lizzie«, sagte ich entschuldigend,»ich hätte es nur gern noch mal in einfachen Worten.«

«Ach so. Ja, dann — also, es bedeutet, daß man dazu ein sehr aktives Virus braucht, und zwar in möglichst hoher Konzentration im Verhältnis zur Nährlösung, und die Zielperson müßte anfällig sein. Es wäre zwecklos, jemandem die gerade umgehende Grippe anhängen zu wollen, der dagegen geimpft ist. Du könntest keinen mit Kinderlähmung infizieren, der die Schluckimpfung gemacht hat, und keinen mit Masern oder Pocken, der dagegen geimpft ist. Es gibt noch keinen bewährten Impfstoff gegen Aids, und Aids ist deshalb so gefährlich, weil es sich möglicherweise wie Grippe verändert, obwohl auch das noch nicht erwiesen ist.«

«Wenn in den Röhrchen ein Grippevirus wäre«, sagte ich nachdenklich,»würde man das injizieren?«

«Nein. Grippe wird durch Tröpfchen aus den Atemwegen oder durch Speichel übertragen. Man müßte jemandem die Flüssigkeit in die Nase spritzen. Das könnte gehen.«

«Oder ihm die Cornflakes damit besprenkeln?«

«Nicht ganz zuverlässig. Ein Tröpfchenvirus muß durch die Atemwege gehen, nicht durch den Verdauungstrakt. Von der Nase oder der Lunge aus könnte es das ganze System angreifen, aber es hätte vielleicht keine Wirkung, wenn man es in einen Muskel oder direkt in die Blutbahn injizierte. «Sie schwieg.»Du hast wirklich schauerliche Gedanken.«

«Es war eine schauerliche Woche.«

Der Einschätzung stimmte sie zu.»Ist mein lieber kleiner Hubschrauber immer noch da, wo ich ihn gelassen habe?«»Ja. Was soll ich mit ihm machen?«

«Meine Partner schlagen vor, daß wir ihn auf einen Tieflader verfrachten und nach Hause holen.«

«Glaubst du, der ist noch zu retten?«Ich hörte mich wahrscheinlich überrascht an, doch sie meinte, verschiedene Teile an ihm sähen unbeschädigt aus. Der Heckrotor etwa und die Kette des Hauptrotors, das Teuerste am Getriebe. Hubschrauber ließen sich instand setzen. Er müsse allerdings bleiben, wo er sei, sagte sie, bis der Flugsicherungsdienst ihn sich angesehen und ein Gutachten erstellt habe. Auch Unfälle am Boden bedurften offenbar genauester Prüfung.

«Apropos Viren«, sagte ich,»wir hatten ein Prachtexemplar davon im Computer.«