«Ich bin überall zu Hause«, sagte ich.
«Donnerwetter. Die universale Geborgenheit.«
«Du hättest wohl keine Lust, Michael zu verlassen?«
«Und vier Kinder? Und ein geordnetes Leben? Und außerdem bin ich älter als du.«
Das Schönste an dem Spiel, dachte ich, war die Gewißheit, daß ich es nicht gewinnen würde. Sie trank gutgelaunt aus — mein Verlangen nach ihr war für sie ein ebenso prickelndes Vergnügen wie der Schampus. Ein Ehebruch aus Gelegenheit hätte nur die Zukunft verdorben, und dafür war sie zu nett. Sie setzte ihr Glas ab und stand lächelnd auf.
«Wenn du etwas brauchst, laß es uns wissen.«
«Ja«, sagte ich.
«Also bis Sonntag.«
Ich ging mit hinaus zu ihrem Wagen und bekam einen herzlichen, leidenschaftslosen Kuß und ein unbekümmertes Winken, als sie wendete und losfuhr. Enthaltsamkeit, dachte ich auf dem Rückweg ins Haus, konnte zu lange dauern, und zu lange war jetzt ein Jahr. Je älter ich wurde, desto klarer sah ich die Folgen meines Tuns voraus, und um so wichtiger war es mir, genau wie Maudie, nicht um eines flüchtigen Vergnügens willen Unheil anzurichten. Manchmal blickte ich entsetzt auf die Vergangenheit zurück. Nach der Trennung von Susan Palmerstone hatte ich etliche Beziehungen geknüpft und wieder fallenlassen, ohne mir klarzumachen, daß ich vielleicht viel tiefere Gefühle geweckt hatte, als ich selbst empfand; und ich war mehr als einem nach mir geworfenen Teller ausgewichen und hatte darüber gelacht, Furchtbar lange hatte ich gebraucht, um mit dem Streunen aufzuhören. Trotzdem. ich seufzte.
Ich ging ins Wohnzimmer, um zu sehen, was sich aus dem Chaos retten ließ, und blieb vor dem Anrufbeantworter stehen, der entzweigehackt war, so daß seine Eingeweide in Gestalt schwarzen Tonbands sich über den Boden ergossen.
Auf dem Tonband, dachte ich, war Joggers Stimme.
Ich hatte am Ende doch nicht aufgeschrieben, was er gesagt hatte, und obwohl ich es noch mehr oder weniger gut wußte, war ich mir nicht sicher, ob der Wortlaut genau stimmte. Kein noch so umfassendes Reimlexikon würde mir nützen, wenn ich von den falschen Wörtern ausging. Ich kramte in der Küche nach einem Kreuzschraubenzieher und anderem Werkzeug und schälte die zerschlagene Kassette vorsichtig aus dem Anrufbeantworter, um das Band nicht zu zerreißen, stellte aber fest, daß die Axt eine der Spulen getroffen und dabei viele Meter Band in kleinste Stücke zerlegt hatte.
Fluchend suchte und fand ich eine alte Kassette mit unwichtigem Inhalt, nahm sie auseinander und entfernte das Tonband. Dann löste ich behutsam das längste Stück Band von der unbeschädigten Spule des Anrufbeantworters und rollte es der Länge nach auf eine der freigewordenen Spulen. Das Endstück klemmte ich in die zweite freie Spule ein, drückte beide wieder in das Kassettengehäuse und schraubte es zusammen.
Dann suchte ich im ganzen Haus nach einem selten benutzten Taschenrecorder, der noch irgendwo herumliegen mußte, doch als ich ihn endlich aufstöberte, waren natürlich die Batterien leer.
Es gab eine kurze Verzögerung, während ich ein anderes Gerät mit gleich großen Batterien plünderte, aber mit einer Art Stoßgebet drückte ich schließlich auf» Stan «und hielt den Atem an.
«Ich kann den blöden Apparat nicht leiden«, sagte Joggers Stimme.»Wo stecken Sie denn, Freddie?«
Laut und deutlich. Halleluja!
Seine ganze Nachricht war drauf, wenn auch etwas verzerrt, weil ich das Band nicht ganz gleichmäßig aufgerollt hatte. Als ich es zurückspulte und von vorn laufen ließ, war das Leiern verschwunden. Ich nahm ein Blatt Papier und schrieb Wort für Wort auf, was er gesagt hatte, mit
Pünktchen für seine Sprechpausen, aber was er mir sagen wollte, verstand ich immer noch nicht.
Ein toter Cousin in der Schmiergrube, im vorigen August.
Höchst unwahrscheinlich. Egal, wessen Cousin, das hätte mir jemand erzählt, auch wenn ich den August zum großen Teil in Frankreich (beim Pferderennen in Deauville) und in Amerika (bei den Rennen in Saratoga) verbracht hatte.
Was reimte sich auf Cousin? Gobelin, Kretin, Mannequin, Ragout fin…
Nichts da. Was ging mit Cousin zusammen?
Cousin und Cousine.
Cousine. Apfelsine, Beduine, Biene, Blondine, Brah-mine, Gardine, Kabine, Lawine, Maschine, Pelerine, Sardine, die Delphine.
Ein toter Delphin? Tote Sardinen? Toter Brahmine? Toter Beduine? Eine Lawine von toten Bienen?
Ich würde den Text Nina geben, dachte ich, und das Kollektivgehirn der Sicherheitsleute des Jockey-Clubs darauf loslassen. Wobei es ebensogut sein konnte, daß die Nachricht, falls wir den Code knackten, sich als belanglos erwies. Jogger hatte offensichtlich nicht geahnt, daß er sterben würde. Er hatte mir keine ungeheuer wichtige Nachricht hinterlassen im Gefühl, es könnte seine letzte sein.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit dem neuen Computer zu und hoffte, als ich ihn einschaltete, daß es nicht gleich mit Blitzen und Gezisch zu einem neuen Festplatteninfarkt kam. Wundersamerweise aber hatte der Experte mir das volle Computerleben wiedergeschenkt, und alles funktionierte wie vorher. Ich rief Isobels Bürogerät auf, um zu sehen, was sie und Rose seit heute früh schon eingegeben und gespeichert hatten.
Sie waren beide fleißig gewesen. Schnell, gewissenhaft, großzügig mit ihrer Zeit. Ich hatte ihnen gesagt, sie sollten mit den Buchungen vom Tage anfangen und zwischendurch, wenn ihre andere Arbeit es erlaubte, langsam zurückgehen, auf keinen Fall aber weiter als bis zum Monatsanfang.
«Lassen Sie es erst mal auf Papier«, sagte ich.
«Aber die Tabellenkalkulation…«:, sagte Rose.
«Die kann warten.«
«Wenn Sie meinen«, stimmte sie zweifelnd zu.
«Wir sind doch selbst schuld, daß wir alles verloren haben«, sagte Isobel traurig.
«Schwamm drüber. «Ich sagte ihnen immer noch nicht, daß ich vielleicht mit vollständigen Sicherungskopien aufwarten konnte, wenn erstens der Schlosser sie beim Öffnen des Safes nicht irgendwie beschädigte und wenn zweitens Michelangelo, der Virus, sie nicht bereits ausradiert hatte. Außerdem wollte ich keinen Zweitangriff auf mich oder mein Eigentum provozieren, falls jemand hörte, daß die Kopien existierten und annehmen mußte, daß sie brisante Informationen ans Licht bringen könnten. Auch wenn die Schwellung an meinem Kopf zurückging, mein Wagen und mein Wohnzimmer erinnerten mich nach wie vor daran, daß eine Woge melodramatischer Ereignisse in Pixhill durch meine Tür gerollt war und sich nicht unbedingt schon erschöpft hatte.
Vom Bildschirm las ich die Transportaufträge für den nächsten Tag ab. Nicht übel für die Woche: Hindernispferde nach Wolverhampton und Lingfield Park. Zuchtstuten für drei Gestüte. Irische Pferde zum Flughafen Bristol, auf dem Rückweg von Cheltenham.
Die Vorauspläne für Samstag sahen gut aus. Ich rief das Inhaltsverzeichnis auf, um zu sehen, was Isobel und Rose
sonst noch eingegeben hatten, und entdeckte eine ungewöhnliche Datei:»Besucher«.
«Besucher«, so zeigte sich, war die von mir gewünschte Liste der Personen, die ihres Wissens in jüngster Zeit zum Bauernhof gekommen waren.
Die Lieben, dachte ich erfreut. Hilfsbereiter als man verlangen konnte.
Die Liste lautete:
Alle Fahrer bis auf Gerry und Pat, die Grippe haben.
(Nächste Woche oder kurz darauf wollen beide wieder
antreten.)
Vic und seine Frau (beide haben jetzt Grippe).
Tessa Watermead (wollte zu Nigel oder Lewis).
Jericho Rich (wegen seiner Pferde).
Wachtmeister Smith (wegen des Toten).
Dr. Farway (wegen des Toten).
Mr. Tigwood (Sammelbüchse).
Betsy (Mr. Watermeads Sekretärin).
Brett Gardner (bei seiner Kündigung).
Mrs. Williams (Putzfrau).