«Das erspart wahrscheinlich viel Papierkram«, sagte ich.
«Tonnenweise. Hunderte von Tonnen. Sechzig Millionen weniger Formulare. «Die Vorteile milderten seinen finsteren Blick.
«Es spart auch Zeit — spart Tage und Monate. «Er suchte kurz nach einer Broschüre, fand sie und schob sie mir über den Schreibtisch zu.»Die meisten geltenden Bestimmungen sind hier aufgelistet. Es gibt kaum eine Einfuhrbeschränkung bei Alkohol, Tabak und Waren für den persönlichen Verbrauch. Eines Tages fällt die ganz weg. Aber die Zölle und Einfuhrbeschränkungen für Güter von außerhalb der EG bleiben natürlich erhalten.«
Ich ergriff die Broschüre und dankte ihm.
«Wir jonglieren immer ellenlang mit der Mehrwertsteuer herum«, sagte er.»Der Satz schwankt ja von einem EG-Staat zum anderen.«
«Mich würde interessieren«, sagte ich leise,»was man auch jetzt noch nicht vom Kontinent hereinbringen und… äh, was man nicht ausführen darf.«
Seine Augenbrauen schoben sich hoch.»Nicht ausführen?«
«Was nicht unter den freien Warenverkehr fällt.«
Er schürzte die Lippen.»Für einiges braucht man einen Erlaubnisschein«, sagte er.»Verstoßen Ihre Fahrer gegen das Gesetz?«
«Das wollte ich eben herausfinden.«
Sein Interesse nahm deutlich zu, als sei ihm plötzlich aufgegangen, daß ich nicht nur aus normaler Neugierde dort war.
«Ihre Pferdetransporte kommen und gehen über Portsmouth, ja?«
«Manchmal.«
«Und sie werden nie kontrolliert.«
«Nein.«
«Und Sie haben natürlich die erforderliche Genehmigung, lebende Tiere über den Kanal zu schaffen.«
«Das alles erledigt eine Agentur für uns.«
Er nickte. Er dachte nach.»Wenn Ihre Transporter andere Tiere als Pferde beförderten, würden wir es wahrscheinlich nie herausfinden. Die Leute führen doch wohl keine Katzen oder Hunde ein?«Sein Tonfall war streng und besorgt.»Wir haben schließlich unsere Quarantänevorschriften. Die Tollwutgefahr lauert überall.«
Ich sagte beruhigend:»Daß sie Katzen oder Hunde mitbringen, habe ich noch nie gehört, und bei uns im Dorf verbreiten sich Neuigkeiten wie ein Lauffeuer, da wüßte das jeder.«
Er entspannte sich ein wenig, ein Mann um die Vierzig, mit zurückgehendem Haaransatz und feinen weißen Händen.
«Eigentlich ist dank der Impfstoffe in Europa seit dreißig Jahren keiner mehr an Tollwut gestorben, aber trotzdem möchten wir die Krankheit hier nicht haben.«
«Hm«, sagte ich,»und wofür braucht man einen Erlaubnisschein?«
«Für alles mögliche. Aus Ihrer Sicht wären wohl Arzneimittel für Tiere interessant. Da würden Sie für jede Warenbewegung eine gesonderte Erlaubnis brauchen — einen
Arzneimittelschein von der tiermedizinischen Abteilung des Landwirtschaftsministeriums. Aber der Stoff würde bei der Ankunft hier in Portsmouth nicht kontrolliert. Für die Einhaltung der Einfuhrbestimmungen wäre das LM allein zuständig.«
Das LM? Oh, das Landwirtschaftsministerium. Anklänge an Jogger.
«Tja«, sagte ich,»was sonst darf man nicht ein- und ausführen?«
«Schußwaffen«, sagte er.»Gegen die Ausfuhr gibt es da ja noch die Gepäckkontrollen auf Flughäfen. Einfuhrkontrollen bei uns aber nicht. Sie könnten einen ganzen Pferdetransporter voller Gewehre an Land setzen. Den Schmuggel im alten Sinn gibt es innerhalb der EG nicht mehr.«
«Scheint so.«
«Dafür gibt es das geistige Eigentum oder Urheberrecht«, sagte er.»Da geht’s um die Verletzung bestehender Patente innerhalb der Mitgliedstaaten.«
«Ich glaube nicht, daß meine Fahrer sich an geistigem Eigentum vergreifen.«
Er lächelte kurz, eine rasche Bewegung der Lippen.»Ich fürchte, ich habe Ihnen nicht viel helfen können.«
«O doch, Sie waren sehr freundlich«, versicherte ich ihm.
«Negative Antworten sind oft genauso nützlich wie positive.«
Ich dachte aber, als ich mit der Binnenmarkt-Broschüre neben mir auf dem Sitz zurück nach Pixhill fuhr, daß ich genausowenig wie vorher verstand, wieso irgend jemand meinte, Verstecke unter meinen Lastwagen einrichten zu müssen. Wenn Schmuggeln aus der Mode war, wozu dann das Ganze?
Zu Hause setzte ich mich in meinen armen grünen Ledersessel mit den Axtlöchern, aus denen die Füllung quoll, und gab der Reihe nach meine sauberen Disketten und ihre Informationen in den neuen Computer ein. Dann setzte ich meine alten, schwerfälligen grauen Zellen auf meine alten Computerbücher an, da die Nachhilfe bei dem jungen Genie leider noch warten mußte, und knobelte aus, wie sich die vorhandenen Daten sowohl chronologisch als auch geographisch nach verschiedenen Kriterien ordnen ließen.
Ich ging Fahrer für Fahrer die Arbeit der letzten drei Jahre durch und wußte nicht, wonach ich suchte. Ein Muster? Etwas, wofür es sich lohnte, meine Daten zu vernichten, falls das zufällig doch nicht das Werk von Isobels Bruder war. Ich bezweifelte eigentlich, daß Paul dahintersteckte, denn einmal war er eher faul als klug, und zweitens hätte Isobel ihn niemals im Büro herumspielen lassen.
Die Muster, die ich suchte, waren definitiv vorhanden, sagten mir aber nichts, was ich nicht schon wußte. Jeder Fahrer fuhr am häufigsten zu den bevorzugten Rennplätzen der Trainer, für die er hauptsächlich eingeteilt wurde. Lewis beispielsweise fuhr in schöner Regelmäßigkeit jeden Sommer nach Newbury, Sandown, Goodwood, Epsom, Salisbury und Newmarket, den renommierten Zielen Michael Watermeads. Zu anderen Zeiten fuhr er nach Lingfield, Fontwell, Chepstow, Cheltenham, Warwick und Worcester, wohin Benjy Usher seine Springer schickte. Seine Auslandsfahrten, vorwiegend für Michael, hatten ihn stets nach Italien, Irland oder Frankreich geführt.
Obwohl es Pferderennen überall in Europa gab, schickten britische Trainer ihre Pferde selten woandershin als nach Italien, Irland und Frankreich. Die Tiere reisten häufig auf dem Luftweg (und mußten zu den Flughäfen gebracht werden), doch Michael ließ sie lieber die ganze Strecke über Land reisen, was mir nur recht war.
Nigel hatte die meisten Auslandsfahrten absolviert, aber nur, weil ich es wegen seiner extremen Ausdauer für angebracht hielt. Harve hatte auf seinen wie auf meinen Wunsch nur wenige Fahrten aufs Festland unternommen. Dave etliche Dutzend als Beifahrer und Pferdebegleiter, öfter mit Zuchtstuten als mit Rennern.
Alles in allem waren die Kategorien zwar aufschlußreich, brachten mir aber keine Überraschung, und nach etwa einer Stunde schaltete ich so ratlos wie zuvor das Gerät aus.
Ich rief Nina an, die mit ihrem Transporter auf dem Rückweg von Lingfield sein mußte, und sie meldete sich sofort.
«Rufen Sie mich an, wenn Sie nach Pixhill kommen«, sagte ich kurz.
«Mach ich.«
Ende des Gesprächs.
Ich rief Isobel zu Hause an. Auf der Arbeit sei nichts Ungewöhnliches vorgefallen, versicherte sie mir. Sie habe Lewis gesagt, daß Nina ihm folge, und alle Usher-Pferde seien in Lingfield in den richtigen Rennen gestartet. Aziz und Dave seien mit ihren Stuten in Irland angekommen. Harve und Phil hätten je einen Sieger nach Wolverhampton gebracht, ein Grund zum Feiern. Keiner der anderen Fahrer sei auf Schwierigkeiten gestoßen.
«Prima«, sagte ich.»Ehm… Ihr Bruder Paul…«
«Er weiß, daß er mich auf der Arbeit nicht stören soll. «Sie klang schuldbewußt, als müsse sie sich verteidigen.
«Ja, gut, aber was versteht er von Computern?«
«Von Computern?«
Ich erzählte ihr von der Spielvirustheorie des Experten.
«Ach was«, sagte sie entschieden,»dem würde ich nie erlauben, Ihren Computer anzufassen, und er wüßte ehrlich gesagt auch nicht, wie man da was eingibt.«»Sind Sie sicher?«
«Hundertprozentig.«
Wieder eine gute Theorie beim Teufel.
«Hat sonst irgend jemand die Möglichkeit gehabt«, fragte ich,»am vorigen Freitag eine Diskette in den Computer zu laden?«