«Ich möchte, daß Sie versuchen, sich an etwas zu erinnern.«
«Schießen Sie los. «Sie tippte weiter, die Augen auf dem Bildschirm.
«Hm«, sagte ich,»im vorigen August. «Ich hielt inne, wartete darauf, daß sie besser zuhörte.
«Was war denn vorigen August?«fragte sie nebenher, immer noch tippend.»Im August fahren Sie weg.«
«Ja, ich weiß. Als ich vorigen August fort war, was hat Jogger da in der Schmiergrube gefunden?«
Sie hörte auf zu tippen und sah mich verwirrt an.
«Was haben Sie gesagt?«fragte sie.
«Was hat Jogger in der Grube gefunden? Irgend etwas Totes. Was hat er tot in der Grube gefunden?«
«Aber Jogger… der lag doch tot in der Grube, oder nicht?«»Vorigen Sonntag lag Jogger tot in der Grube, ja. Aber im vorigen August hat er anscheinend da etwas anderes gefunden, das tot war — einen toten Cousin, sagte er, aber ein toter Cousin kann’s ja wohl nicht gewesen sein. Wissen Sie also noch, was er gefunden hat? Hat er es Ihnen gesagt? Überhaupt wem gesagt?«
«Oh. «Nachdenkliche Falten traten auf ihre Stirn, als sie die Augenbrauen hochzog.»Ich erinnere mich zwar dunkel dran, aber das war nichts, womit man Sie hätte behelligen müssen. Ich meine, es war bloß lächerlich.«
«Was hat er gefunden?«
«Ich glaube, ein Kaninchen war’s.«
«Ein Kaninchen?«
«Ja. Ein totes Kaninchen. Er sagte, es wimmle von Maden oder so, und hat es auf den Müll geworfen. Das war alles.«
«Sind Sie sicher?«fragte ich zweifelnd.
Sie nickte.»Er wußte nicht, was er sonst damit anfangen sollte, und hat’s auf den Müll geworfen.«
«Ich meine, ob es bestimmt ein Kaninchen war?«
«Denk ich mal. Ich hab’s nicht gesehen. Jogger meinte, es müsse da irgendwie reingehüpft sein, und als es erst mal in der Grube war, kam es natürlich nicht mehr raus.«
«Genau«, stimmte ich zu.»Wissen Sie noch, was für ein Tag das war?«
Sie schüttelte entschieden den Kopf.»Wenn Sie davon nichts wissen, muß es zu der Zeit gewesen sein, als Sie weg waren.«
Automatisch wandte sie sich dem PC zu, und wieder huschte die schon bekannte Enttäuschung über ihr Gesicht.»Es stand vielleicht in den Daten, die wir verloren haben, obwohl ich nicht recht daran glaube. Ich wüßte nicht, daß ich so was mal eingegeben habe.«
«Hat irgend jemand anders Joggers Kaninchen gesehen?«
«Ich weiß es wirklich nicht mehr. «Ihrem Gesicht war anzusehen, daß sie sich nicht denken konnte, wozu das wichtig sein sollte.
«Also gut. Jedenfalls vielen Dank«, sagte ich.
Sie lächelte arglos und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Cousins, dachte ich. Cousins und Cousinen. Cousins und Vettern… Cousins und Kusinchen.
Joggers Worte.»Nehmen Sie mal die Cousins unters Ta-tü. Letztes Jahr im August lag einer in der Grube, der war tot und hat gewimmelt.«
Die einzigen Kaninchen, die er meines Erachtens damit meinen konnte, waren die von den Watermead-Kindern, aber selbst wenn eins davon irgendwie entschlüpft und in der Schmiergrube gelandet war, konnte es kaum von Maden gewimmelt haben — sofern es nicht schon tagelang dort gelegen hatte, als Jogger es fand. Das alles erschien völlig bedeutungslos… aber Jogger war es so wichtig vorgekommen, daß er es mir — auf seine vertrackte Art — sieben Monate danach erzählt hatte.
Ich sah auf meine Uhr. Bald neun. Was hatte ich um neun noch mal vor? Die schlaftrunkene Verabredung mit Marigold English fiel mir wieder ein.
Ich sagte Isobel, wo ich hinwollte, setzte hinzu, sie könne mich vorläufig übers Autotelefon erreichen, und fuhr zu Marigold.
Sie war mit ihrer Strickmütze draußen auf dem Hof und kam mir mit einer Schüssel Preßfutter entgegengeeilt, als ich eintraf.
«Steigen Sie nicht aus«, befahl sie.»Fahren Sie mich zu Peterman.«
Also folgte ich ihren Anweisungen, die uns holterdipol-ter über einen grasigen Feldweg zu einer fernen Koppel hinter ihrem Haus brachten. Die Koppel fiel zu einem Bach hin ab und war von hohen Weidenbäumen gesäumt, die alten Pferden vorzüglich Schatten spenden würden, wenn erst die Blätter herauskamen.
Peterman stand oben, nicht weit vom Gatter, und sah elend aus. Er hielt die Nase an die Futterwürfel, die Marigold ihm anbot, und drehte wie beleidigt den Kopf weg.
«Sehen Sie?«sagte sie.»Er frißt nicht.«
«Was sind das für Würfel?«fragte ich.
Sie nannte eine anerkannte Marke, die weit verbreitet war.
«Die mögen alle Pferde, da gibt’s nichts.«
Ich sah verwirrt auf Peterman.»Was hat er denn dann?«
Marigold zögerte.»Ich hab meinen alten Tierarzt bei Salisbury angerufen, aber der meinte nur, ich soll dem alten Knaben Zeit lassen zum Eingewöhnen. Dann war ich gestern abend noch mal hier, und vielleicht wissen Sie noch, wie schön sonnig es da war. Die Sonne stand tief und schien gelb auf das Pferd, und da konnte man sie sehen.«
«Was denn?«
«Die Zecken.«
Ich starrte sie an.
«Zeckenbisse«, sagte sie.»Ich glaube, das ist es, woran er leidet. Vor noch nicht einer halben Stunde hab ich John Tigwood angerufen, damit er was dagegen unternimmt, und er hat gesagt, das sei Blödsinn, ganz unmöglich, und außerdem hätten Sie, Freddie, als die Pferde am Dienstag in Pixhill eintrafen, den Tierarzt kommen lassen und auf einer Untersuchung bestanden, und der Tierarzt habe den Tieren die beste Gesundheit bescheinigt, sogar schriftlich, er könne mir den Schein gern zeigen, und ich muß sagen, sein Ton gefiel mir gar nicht — ich hätte ihm beinah gesagt, er soll das Pferd zurücknehmen, aber da hatte ich Sie ja schon gebeten, es sich anzusehen, und weil Ihnen sein Wohl doch so am Herzen liegt… na ja, dachte ich, warte ich erst mal, bis Sie kommen, und frage Sie nach Ihrer Meinung. «Sie hielt inne, da ihr die Luft ausging.»Was meinen Sie?«
«Ehm. wo waren die Zecken?«
«An seinem Hals.«
Ich schaute auf den Hals von Peterman, konnte aber nur sein braunes, noch winterdickes Haarkleid sehen. Das würde er jetzt, wo es wärmer wurde, bald zugunsten des kürzeren, feineren Sommerhaares abstoßen.
«Wie sahen sie aus?«fragte ich Marigold.
«Winzige braune Dinger. Die gleiche Farbe wie sein Fell. Ich hätte sie überhaupt nicht gesehen ohne die Sonne, und wenn eine sich nicht bewegt hätte.«
«Wie viele waren es?«
«Weiß ich nicht… sieben oder acht vielleicht. Ich konnte sie nicht so gut sehen.«
«Aber, Marigold…«
«Sie meinen, ich hab sie nicht alle? Was ist denn dann mit den Bienen?«
«Äh…«
Sie sagte ungeduldig:»Bienen, Freddie. Bienen. Varroa jacobsoni.«
«Erzählen Sie mal von Anfang an«, bat ich.
«Das sind Milben«, sagte sie.»Sie schmarotzen von Bienen. Sie bringen sie nicht um, sie saugen ihnen nur das Blut aus, bis die Bienen nicht mehr fliegen können.«»Ich wußte gar nicht, daß Bienen Blut haben.«
Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu.»Mein Bruder hat panische Angst vor dem Varroa-jacobsoni-Befall«, sagte sie.»Er ist Obstzüchter, und die Hälfte seiner Bäume tragen nicht, weil die Bienen zu schwach zum Befruchten sind.«
«Ach so. Ja, verstehe.«
«Deshalb schmaucht er ihnen ein Pfeifchen.«
«Um Himmels willen.«
«Pfeifenrauch ist so ungefähr das einzige, was diese Milbenart umbringt. Wenn man Pfeifenrauch in einen Bienenstock bläst, fallen die ganzen Milben tot vom Hok-ker.«
«Hm«, sagte ich.»Starker Tobak, aber was hat das mit Peterman zu tun?«
«Seien Sie doch nicht so begriffsstutzig«, schnappte sie.»Zecken übertragen Krankheiten, oder? Kann ich vielleicht riskieren, daß die Zecken von Peterman auf meine Zweijährigen hüpfen?«