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«So, so, so, da haben wir also eine Zecke. Na, was meinen Sie, was die wohl überträgt?«

«Ehm«, sagte ich, doch anscheinend war die Frage Gug-genheims rhetorisch.

«Wenn sie von einem Pferd kommt«, sagte er vergnügt,»dann sollten wir vielleicht nach Ehrlichia risticii Ausschau halten. Was meinen Sie? Fällt einem da nicht sofort Ehrlichia risticii ein?«

«Mir nicht«, sagte ich.

Guggenheim blickte gutmütig von seinem Mikroskop auf.»Ist das Pferd krank?«fragte er.

«Das Pferd steht still und sieht deprimiert aus, wenn sich das nicht zu blumig anhört.«

«Depression ist ein klinischer Befund«, sagte er.»Sonst noch was? Fieber?«

«Seine Temperatur habe ich nicht gemessen. «Ich dachte an Petermans Verhalten an diesem Morgen zurück.»Er mochte nicht fressen«, sagte ich.

Guggenheim sah zufrieden aus.»Depression, Appetitlosigkeit und Fieber«, sagte er.»Die klassischen Symptome. «Er schaute Lizzie, Quipp und mich an.»Warum geht ihr drei nicht ein bißchen spazieren? Gebt mir eine Stunde. Ohne es versprechen zu wollen, vielleicht finde ich was raus. Wir haben starke Mikroskope hier, und Organismen an der Grenze zur Sichtbarkeit sind unser Fach. Jedenfalls… eine Stunde.«

Wir zogen uns wie angewiesen zurück und ließen unsere Laborkittel im Vorraum. Quipp fuhr uns zu seiner Wohnung, die maskulin und voller Bücher war, eindeutig aber auch Spuren von Lizzies Anwesenheit aufwies, wenngleich ihre Miene mir verbot, etwas dazu zu sagen. Sie kochte Kaffee. Quipp nahm seine Tasse mit dem leisen Dankeschön der Gewohnheit entgegen.

«Was macht mein kleiner Robinson?«fragte mich Lizzie.

«Steht er da immer noch?«

«Montag kommt ein Tieflader und bringt ihn hier herauf.«

«Sag ihnen, sie sollen vorsichtig sein!«

«Du bekommst ihn in Watte verpackt.«

«Sie müssen die Rotorkette auseinandernehmen…«

Wir tranken den Kaffee stark und schwarz.

Ich rief Isobel an. Alles in Butter, meldete sie.

«Was ist eigentlich die McPherson-Stiftung?«fragte ich Quipp.

«Das Werk eines schottischen Menschenfreundes«, sagte er kurz und bündig.»Außerdem ein kleines Hochschulsti-pendium. Wenig öffentliche Mittel. Sie hat die neuesten Elektronenmikroskope und derzeit zwei im Institut wohnende Genies, eins haben Sie eben kennengelernt. Ihr Ziel ist es, die Grenzen der Erkenntnis zu erweitern, damit die Menschen in gottverlassenen Gegenden der Erde nicht mehr an Gott weiß was für Krankheiten sterben. «Er trank Kaffee.»Guggenheims Spezialgebiet ist die Bestimmung der Vektoren von Ehrlichiae

«Diese Sprache ist mir nicht geläufig«, sagte ich.

«Aha. Dann werden Sie auch nicht verstehen, daß er, als ich ihn nach Zecken fragte, die auf Pferde gehen, ziemlich von den Socken war. Es besteht entfernt die Möglichkeit, daß Sie die Lösung eines Rätsels für ihn gefunden haben. Etwas Geringeres hätte ihn von Murrayfield nicht abgebracht.«

«Tja… und was sind diese Ehrlichs — was ist damit?«

«Ehrlichiae? Das sind«, sagte er mit einem Hauch von Übermut,»pleomorphe Organismen, die symbiotisch mit Arthropoda zusammenleben und von ihnen als Vektoren übertragen werden. So in der Richtung.«

«Quipp!« mischte sich Lizzie ein.

Er gab nach.»Es sind von Zecken übertragene Schmarotzer. Die bekanntesten Arten machen Hunde und Vieh krank. Guggenheim hat in Amerika schon über Ehrlichiae bei Pferden gearbeitet. Das muß er Ihnen selbst erzählen. Ich weiß nur, daß er von einer neuen Krankheit redet, die erst Mitte der achtziger Jahre entstanden ist.«

«Eine neue Krankheit?«rief ich aus.

«Die Natur entwickelt sich laufend weiter«, sagte Quipp.

«Das Leben steht nie still. Krankheiten kommen und gehen. Aids ist neu. Etwas noch Verheerenderes lauert vielleicht schon an der nächsten Ecke.«

«Wie grausig«, protestierte Lizzie stirnrunzelnd.

«Liebe Liz, du weißt, daß es möglich ist. «Er sah mich an.

«Guggenheim ist der Ansicht, daß die Dinosaurier nicht durch katastrophale Klimaveränderungen ausgestorben sind, sondern durch von Zecken verbreitete, rickettsienartige Krankheitserreger — und bevor Sie fragen, das sind parasitäre Mikroorganismen, die fiebrige Erkrankungen wie Typhus hervorrufen. Guggenheim glaubt, die Zecken und ihre Parasiten sind zusammen mit den Wirtstieren ausgestorben, ohne eine Spur zu hinterlassen.«

Ich überlegte.»Könnte man diese, ehm — Erreger in Virustransportmedium befördern? Dem Zeug in den Glasröhrchen?«

Er sah einen Moment lang verblüfft aus, schüttelte aber entschieden den Kopf.»Nein. Ausgeschlossen. Ehrlichiae sind keine Viren. Soviel ich weiß, bleiben sie in keinem Medium, keinem Nährsubstrat am Leben, was die Erforschung schwierig macht. Nein. Ganz gleich, was in Ihrem Transportmedium war, von Zecken kam es sicher nicht.«

«Womit so langsam«, sagte ich geknickt,»alle Klarheiten beseitig wären.«

«Lizzie ist eine Astrophysikerin«, sagte er,»die den kosmischen Schwingungen vom Anbeginn des Universums lauscht, und Guggenheim schaut in Elementarkörperchen hinein, die nur in millionenfacher Vergrößerung unter einem Strahl von Elektronen statt Licht zu erkennen sind. Äußere Weiten und innere Tiefen, beides stellt unseren armseligen Intellekt, der es zu verstehen sucht, vor unglaubliche Rätsel. «Er lächelte abschätzig.

«Die schmähliche Wahrheit ist, daß wir mit all unseren Entdeckungen erst am Anfang der Erkenntnis stehen.«

«Aber aus praktischer Sicht«, sagte ich,»brauchen wir doch nur zu wissen, daß Arsen gegen Syphilis hilft.«

«Sie sind kein Wissenschaftler!«hielt er mir vor.»Wir brauchen unsere Guggenheimer, um herauszufinden, daß Arsen gegen Syphilis hilft.«

Ende der Diskussion, stellte ich fest. Lizzie klopfte mir tröstend auf die Schulter.

«Es ist Ihnen wahrscheinlich nicht bekannt«, sagte Quipp,»daß Ehrlich selber, nach dem die Ehrlichiae benannt sind, die syphilishemmende Wirkung von synthetischem Arsen nachgewiesen hat.«

«Nein«, sagte ich erstaunt.»Ich habe noch nie von Ehrlich gehört.«

«Deutscher Naturwissenschaftler. Nobelpreisträger. Schöpfer der Immunologie, Pionier der Chemotherapie. Starb 1915. Den vergessen Sie jetzt nicht mehr.«

1915, dachte ich, gewann Pommern das Derby der Kriegszeit. Endlos, die Launen des Lebens.

Nach einer Stunde fuhr Quipp uns zurück zur McPher-son-Stiftung, und wir fanden Guggenheim blaß und zitternd, offenbar vor Erregung.

«Wo kommen diese Zecken her?«fragte er, sobald wir in unserer weißen Kluft erschienen.»Aus Amerika?«

«Ich glaube, die sind jetzt aus Frankreich gekommen.«

«Wann?«

«Am vorigen Montag. Auf einem Kaninchen.«

Er sah mich abschätzend an.»Ja. Ja. Sie könnten von einem Kaninchen befördert worden sein. Auf Seife halten sie sich nicht lange. Überträgt man sie aber mit Seife von einem Pferd auf ein Karnickel… es besteht kein Grund, warum sie sich darauf nicht halten sollten… Das Kaninchen wäre für die Pferde-Ehrlichiae nicht empfänglich… es könnte die lebenden Zecken transportieren, ohne selbst Schaden zu nehmen.«

«Und dann könnte man die Zecken auf ein anderes Pferd übertragen?«fragte ich.

«Das ginge. Ja, ja, spricht nichts dagegen.«

«Spricht aber auch nichts dafür«, sagte Lizzie.»Warum sollte das jemand tun?«

«Zu Forschungszwecken«, sagte Guggenheim bestimmt.

Lizzie sah mich zweifelnd an, verfolgte es aber nicht weiter.

«Weil nämlich«, sagte er zu mir,»die Ehrlichiose beim Pferd vor allem in Amerika bekannt ist. Ich habe sie in Maryland und Pennsylvania gesehen, aber es ist eine ganz neue Krankheit. Noch keine zehn Jahre alt. Selten. Steckt Ehrlichia risticii dahinter, wird sie als Potomac-Pferdefieber bezeichnet, da sie hauptsächlich in der Nähe großer Flüsse wie dem Potomac auftritt. Wie sind diese Zecken nach Frankreich gekommen?«