Welche Zweifel sie auch anfangs gehabt haben mochte, zum Schluß waren sie verflogen.
«Als wir die Behälter entdeckt hatten«, sagte ich,»bat ich Jogger gleich, nicht darüber zu reden. Aber natürlich hat er es noch am selben Samstag abend in der Kneipe ausposaunt. Ich nehme an, er hat viel darüber nachgedacht. Und wie er sich das so durch den Kopf gehen ließ, hat er sich wohl auch an das Kaninchen erinnert, das ihm damals vorgekommen sein muß, als wär’s vom Himmel gefallen, und da hat er sich vielleicht gedacht, es könnte aus so einem Behälter gekullert sein, nämlich dem unter Phils Wagen, weil an diesem Behälter der Schraubverschluß fehlte. Ich weiß nicht, ob jemand in der Kneipe genau verstanden hat, wovon Jogger sprach. Es könnte sein. Jedenfalls rief er mich am nächsten Morgen an und hinterließ mir die Nachricht… leicht verschlüsselt… von den Kaninchen und Zecken und von Benjy Ushers verendetem Pferd.«
Sie schwieg einige Augenblicke und fragte dann:»Hat Lewis Ihnen auch den Wagen und das Haus demoliert?«
«Ich weiß es nicht. Mit Sicherheit war er einer von denen, die mich in Southampton ins Wasser geworfen haben. Derjenige, der gesagt hat: >Wenn er davon nicht die Grippe kriegt, weiß ich’s auch nicht. < Seine Stimme war belegt, weil er den Schnupfen hatte, und in meiner Erinnerung hallte sie etwas nach, weil ich bewußtlos war, aber er war’s bestimmt. Ob er mich für die anderen Sachen genug haßt… weiß ich nicht.«
«Das ist ja furchtbar.«
«M-hm.«
«Wie geht’s also weiter?«
«Morgen«, sagte ich,»fährt Lewis mit dem SuperSechser nach Mailand in Italien, um für Benjy Usher einen
Hengst heimzuholen, der ein schlimmes Bein hat. Es ist eine Dreitagetour, hauptsächlich durch Frankreich.«
Sie wurde ganz still. Dann sagte sie:»Ich fahre mit. Habe Fallschirm, reise gern.«
«Sie sollen nichts weiter tun«, erklärte ich.»Ich möchte nicht, daß Sie ihn beunruhigen. Er soll reichlich Gelegenheit haben, eine neue Kaninchenladung Zecken aufzunehmen, denn wenn die ganze Fracht vom letzten Wochenende auf Peterman war und mit ihm gestorben ist, hätten sie jetzt vielleicht die Chance, Ersatz heranzuschaffen. Diese Zecken gehen leicht ein und sind außerdem schwer zu finden. Ich schätze, die brauchen noch welche. Sie sollen sich nur merken, wo sie langfahren. Die Route nach Italien, die Lewis nimmt, führt durchs Rhönetal, da war er auch am letzten Wochenende. Er müßte eigentlich durch den Mont-Blanc-Tunnel von Frankreich nach Italien fahren, aber sagen Sie nichts, falls er eine andere Strecke nimmt. Wenn er irgendwo anhalten will, lassen Sie ihn. Stellen Sie keine Fragen. Stimmen Sie all seinen Vorschlägen zu. Achten Sie auf nichts. Beobachten Sie ihn nicht. Gähnen Sie, schlafen Sie, stellen Sie sich dumm.«
«Er will mich bestimmt nicht dabeihaben.«
«Ich weiß, daß er glaubt, Sie werden leicht müde. Ermüden Sie also. Diesmal ist er vielleicht froh drüber.«
«Und unter den Transporter schauen soll ich wohl auch nicht?«
«Nein. Selbst wenn alles voller Salatblätter und Kaninchendreck ist, sehen Sie drüber weg.«
Sie lächelte.
«Seien Sie vorsichtig«, bat ich.»Ich würde ja selbst mitfahren, aber dann liefe nichts. Ich möchte lediglich wissen, wohin Lewis fährt.«»In Ordnung.«
«Sie müssen nicht.«
«Meine Mutter mußte auch nicht.«
«Lewis könnte genauso gefährlich sein.«
«Ich verspreche Ihnen«, sagte sie mit Nachdruck,»daß ich so blind sein werde wie eine Fledermaus. «Sie hielt in-ne.»Nur eins noch.«
«Ja?«
«Ich möchte Patrick Venables sagen, wohin ich fahre.«
«Meinen Sie, er hält Sie zurück?«
«Eher das Gegenteil.«
«Daß er nur nichts unternimmt«, sagte ich besorgt.»Er soll bloß niemand verscheuchen. «Mein Instinkt war dagegen, daß der Jockey-Club zu schnell zu viel erfuhr, aber vielleicht konnte ich mir bei diesem riskanten Unternehmen den Rük-ken nur freihalten, wenn Venables vorab informiert war.
«Ich möchte nicht, daß man mir nachher anhängt«, sagte sie halb im Scherz,»ich hätte versucht, die besten Hengste von Pixhill lahmzulegen.«
«Niemand hängt Ihnen was an. Ich — «Ich schwieg abrupt, da mich mit atemberaubender Wucht eine Erkenntnis traf.»Verdammt noch mal!«
«Was ist denn?«
«Ach, nichts. Wenn Sie am Mittwoch zurückkommen, gibt es einen Empfang. Machen Sie sich über nichts Gedanken, nur jagen Sie Lewis keine Angst ein.«
Wir aßen im Speiseraum und erörterten zunächst die Fahrt, kamen aber bald auf unser Leben allgemein zu sprechen. Ich war gern mit ihr zusammen. Du wirst Maudie untreu, dachte ich ironisch. Ich fragte Nina, wie alt ihr ältestes Kind war.
«Vierundzwanzig. «Sie lächelte auf ihre Spaghetti nieder.
«Viel jünger als Sie.«
«Bin ich so leicht zu durchschauen?«
«Sie sind kein Jüngelchen«, sagte sie.
«Das sähen Ihre Kinder vielleicht anders.«
«Ihre Schwester ist auch älter als ihr Professor, nicht wahr?«
«Ja«, sagte ich leicht überrascht.»Wer hat Ihnen das erzählt?«
«Aziz.«
«Aziz?«
«Ihre Schwester hat es ihm gesagt. Er hat es mir gesagt. Na ja, wir Fahrer stecken halt zusammen.«
«Sie brauchen gar nicht so treuherzig zu lächeln.«
Das Lächeln wurde jedoch intensiver. Ich dachte an all die leeren Zimmer oben im Hotel. Ich dachte an das einjährige Zölibat und verspürte den starken Wunsch, es zu beenden. Sie wußte sicher, was in mir vorging. Sie wartete einfach.
Ich seufzte.»Ich könnte mir etwas Besseres vorstellen«, sagte ich,»aber ich fahre nach Hause.«
Sie sagte ruhig:»In Ordnung.«
Ich rieb mir die Augen.»Wenn das hier vorbei ist.«
«Ja. Wir werden sehen.«
Gemeinsam gingen wir, wie schon einmal, zu unseren getrennten Wagen. Sie war mit ihrem Mercedes gekommen.
Ich küßte sie auf den Mund, nicht auf die Wange. Sie zog den Kopf weg, und ihre Augen schimmerten in der Parkplatzbeleuchtung. Ich sah, daß ich sie nicht verstimmt hatte. Es wäre so einfach gewesen… so einfach…
«Freddie…«Ihre Stimme war sanft, unverbindlich, überließ die Entscheidung mir.
«Ich muß… ich muß wirklich gehen«, sagte ich fast verzweifelt.»Ich schicke Sie nicht ohne angemessene Vorkehrungen nach Frankreich. Bringen Sie morgen früh Ihr Handgepäck mit und holen Sie im Büro noch eine Dokumententasche ab. Sie enthält Geld, Telefonnummern und ein paar Tips gegen Diebstahl. Lewis nimmt auch immer eine mit. «Ich schwieg. Über Dokumententaschen wollte ich jetzt nicht reden. Ich küßte sie wieder und spürte, wie meine Entschlossenheit dahinschmolz.
«Packen Sie die Tasche morgen«, schlug sie vor.
«O Gott.«
«Freddie.«
«Ich sage Ihnen morgen, warum ich gehen muß.«
Ich küßte sie heftig, wandte mich dann ab und ging zu dem Fourtrak hinüber, wobei ich mir unbeholfen vorkam und mich über mich selbst ärgerte, weil ich so weit gegangen war und mich dann ohne Erklärung zurückgezogen hatte. Es schien ihr nichts auszumachen. Ihr Lächeln, als sie in den roten Wagen stieg, wirkte nicht so, als wäre sie verletzt oder fühlte sich zurückgestoßen.
«Tschüs«, sagte sie durch das sich öffnende Fenster und ließ den Motor an.
«Gute Nacht.«
Mit einem Winken fuhr sie los, so selbstbeherrscht wie immer. Ich sah ihren Rücklichtern lange nach und bemühte mich, meinen Puls zu beruhigen. Die natürlichen Triebe waren doch verdammt stark. Und dabei hatte ich geglaubt, der Rummel sei ausgestanden, was nur wieder bestätigt, daß schlummernde Vulkane genau dies und nichts anderes sind — ein Feuer, das vorübergehend schläft.
Achteinhalb Jahre. Waren sie von Bedeutung? Ich wußte es nicht und hatte den Eindruck, sie wußte es auch nicht. Sie fühlte sich zu mir hingezogen, das stand fest. Und mir schien, sie war auf eine merkwürdige Weise zurückhaltend, als wollte sie nicht, daß ich mich von ihr gedrängt fühlte. Sie ließ mir Zeit zu überlegen, ob das, was ich empfand, eine vorübergehende Erregung oder etwas von Dauer war. Ich raste mit dem Fourtrak nach Hause, stellte alle Entscheidungen für die Nacht zurück und zog mir weiche schwarze Schuhe und die dunkelste Kleidung an, die ich finden konnte. Während meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, ging ich dann zum Bauernhof hinüber, schloß das Vorhängeschloß am Tor auf und sperrte wieder hinter mir ab.