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Lachend streckte sie ihm ihre Hände entgegen, und zum ersten Mal bemerkte er die Hornhaut an ihren Fingerkuppen, die ihn an die harten Fingerkuppen eines Profigitarristen erinnerten.

»O Himmel, Mary«, sagte er heiser. »Sieh dir bloß mal deine Hände an.«

»Meinen Händen geht es gut«, sagte sie, und in ihren dunklen Augen tanzte ein fröhliches Licht. »Und du hast da oben auf deinem Gerüst unheimlich niedlich ausgesehen. Ich wollte mir schon eine Schleuder besorgen und mal sehen, ob es mir gelingt, dich auf den Hintern zu treffen …«

Er war brüllend aufgesprungen und hatte sie durchs Wohnzimmer ins Schlafzimmer gejagt. Wo wir dann den ganzen Nachmittag geblieben sind, wenn ich mich recht erinnere, Fred, alter Junge.

Sie stellten fest, daß sie nicht nur genug für ein Tischmodell zusammengebracht hatten; wenn sie vierzig Dollar drauflegten, konnten sie sich eine Fernsehtruhe leisten. Der Besitzer von John’s Fernsehgeschäft in der Innenstadt erzählte ihnen, daß RCA in diesem Jahr den Anschluß verpaßt hätte und langsam auf den Bankrott zuschlidderte. (Das Geschäft lag jetzt auch schon lange unter der 784-Autobahn begraben, genauso wie das Grand und all die anderen schönen Gebäude.) Er würde ihnen die Truhe gerne überlassen, wenn sie zehn Dollar wöchentlich …

»Nein«, sagte Mary entschieden.

John sah sie gequält an. »Lady, es handelt sich nur um vier Wochen. Bei solch geringen Raten riskieren Sie wohl kaum Ihren Hals.«

»Einen Augenblick«, sagte Mary und führte ihn in die vorweihnachtliche Kälte hinaus, die von der Weihnachtsmusik sämtlicher benachbarter Läden erfüllt war.

»Mary, er hat recht«, sagte er. »Es ist ja nicht so, daß …«

»Bart, das erste, was wir uns auf Kredit anschaffen, wird unser eigenes Haus sein.« Die schmale Falte zwischen ihren Augenbrauen war wieder erschienen.

Sie waren in den Laden zurückgegangen, und er hatte John gebeten: »Können Sie ihn für uns zurückstellen?«

»Ich denke schon - für eine Weile. Aber denken Sie daran, dies ist unsere Hauptgeschäftszeit, Mr. Dawes. Wie lange?«

»Nur übers Wochenende. Wir kommen Montag abend wieder.«

Dieses Wochenende hatten sie auf dem Land verbracht, in dicke Mäntel eingepackt, um sich gegen die Kälte und den Schnee, der dann doch nicht fiel, zu schützen. Sie waren langsam über die Feldwege gefahren, ein Sechserpack Bier für ihn and eine Flasche Wein für sie auf dem Rücksitz, hatten die Flaschen aufbewahrt und noch etliche mehr gesammelt. Säcke voller Bierflaschen, Sodaflaschen und so weiter.

Die kleinen brachten zwei Cents, die großen jeweils einen Nickel ein. Das ist ein verdammt schönes Wochenende gewesen, dachte Bart jetzt - Mary hatte ihr langes Haar offen hängen lassen, und es flatterte über den Kragen ihres Mantels ans Lederimitation. Ihre Wangen waren herrlich gerötet gewesen. Er sah sie immer noch vor sich, wie sie durch einen Graben voller Herbstlaub stiefelte und auf der Suche nach leeren Flaschen die Bläter aufwirbelte. Es hörte sich an wie das Prasseln eines Buschfeuers … dann das Klick, wenn der Stiefel gegen eine Flasche stieß, die sie dann triumphierend in die Höhe hob, ihm damit über die Straße zuwinkte und fröhlich lachte wie ein kleines Mädchen.

Heute gibt es leider keine Pfandflaschen mehr, George.

Heute heißt das Motto: Ex und hopp.

Am Montag haben sie dann Flaschen im Werte von einunddreißig Dollar zurückgegeben. Sie waren in vier verschiedene Supermärkte gegangen, um den Reichtum gerecht zu verteilen. Zehn Minuten vor Ladenschluß hatten sie dann wieder in Johns Geschäft gestanden.

»Ich habe immer noch neun Dollar zuwenig«, hatte er zu John gesagt.

John hatte schlicht einen Stempel BEZAHLT auf die Rechnung gedrückt und diese an die Fernsehtruhe geklebt.

»Fröhliche Weihnachten, Mr. Dawes. Ich hol’ nur schnell meinen Karren und helf’ Ihnen, das Ding hinauszuschaffen.«

Sie waren nach Hause gefahren, und ein aufgeregter Dick Keller aus dem ersten Stock hatte ihnen geholfen, die Truhe nach oben zu tragen. Dann hatten sie die ganze Nacht vor dem Fernseher gesessen, bis auch auf dem letzten Kanal die Nationalhymne gespielt wurde, und danach hatten sie sich vor dem Testbild geliebt. Beide mit rasenden Kopfschmerzen, weil ihre Augen völlig überanstregt waren.

Fernsehen war seitdem nie wieder so schön gewesen.

Mary kam herein und sah ihn mit dem leeren Scotchglas dasitzen und auf den Bildschirm starren.

»Dein Abendessen ist fertig, Bart«, sagte sie. »Möchtest du hier drinnen essen?«

Er blickte zu ihr hoch und fragte sich, wann er eigentlich das letzte Mal dieses herausfordernde Lächern auf ihren Lippen gesehen hatte … vor allem, seit wann diese schmale Falte zwischen ihren Augenbrauen sich als Dauergast eingestellt hatte, eine Runzel, eine Narbe, die ihr fortschreitendes Alter verkündete.

Man fragt sich ständig Dinge, deren Antwort man, um Himmels willen, niemals erfahren möchte, dachte er.

Warum, zum Teufel, ist das so?

»Bart?«

»Gehen wir ins Eßzimmer«, sagte er, stand auf und schaltete den Fernseher ab.

»Gut.«

Sie setzten sich, und er blickte trübe auf das Essen in seiner Aluminiumschachtel. Sechs kleine Abteile, die jeweils mit einer zusammengepreßten Masse gefüllt waren. Das Fleisch-stück war mit Sauce bedeckt. Er hatte den Eindruck, daß das Fleisch von TV-Dinners immer mit Sauce bedeckt sein mußte. Ohne würde es sich wohl nackt fühlen, dachte er und erinnerte sich an den Witz über Lome Green, der absolut unsinnig gewesen war: Junge, eines Tages erwisch’ ich dich mit einer Glatze.

Aber diesmal amüsierte er ihn nicht. Er jagte ihm eher Angst ein.

»Worüber hast du vorhin im Wohnzimmer gelächelt, Bart?« fragte Mary. Ihre Augen waren gerötet und ihre Nase war von der Erkältung ganz wund.

»Ich weiß es nicht mehr«, antwortete er und dachte einen Augenblick lang: Gleich werde ich schreien. Wegen all dieser verlorenen Dinge. Wegen deines Lächelns. Mary. Verzeih mir, wenn ich den Kopf in den Nacken werfe und lauthals schreie, weil ich nie wieder dein herausforderndes Lächeln sehen werde.

»Du hast sehr glücklich ausgesehen«, sagte sie.

Gegen seinen Willen - denn es war sein Geheimnis, und er glaubte, heute abend seine kleinen Geheimnisse zu brauchen, denn seine Gefühle waren so wund wie Marys Nase -, gegen seinen Willen erzählte er ihr also: »Ich dachte gerade daran, wie wir damals aufs Land gefahren sind und all die alten Flaschen aufgesammelt haben, um den Fernseher zu bezahlen. Die alte RCA-Truhe.«

»Ach das«, sagte Mary und schneuzte sich über ihrem Abendessen ins Taschentuch.

Im Supermarkt traf er zufällig Jack Hobart. Jacks Einkaufswagen war voller Konservendosen, eingefrorener Mahlzeiten und Bierflaschen. Eine Menge Bierflaschen.

»Jack!« sagte er. »Was machst du denn hier, so weit von zu Hause weg?«

Jack lächelte verlegen. »Ich habe mich noch nicht an den neuen Laden gewöhnt, deshalb dachte ich … dachte ich …«

»Wo ist Ellen?«

»Sie mußte nach Cleveland fliegen«, antwortete er. »Ihre Mutter ist gestorben.«

»Oh, das tut mir leid, Jack. Ging es so plötzlich?«

Sie standen im kalten Neonlicht inmitten der anderen Kunden, die einen Bogen um sie machen mußten. Aus versteck-ten Lautsprechern erklang sanfte Musik, altbekannte Schlager, die man doch nie richtig erkennen konnte. Eine Frau quetschte ihren vollen Einkaufswagen an ihnen vorbei. Sie zog ein schreiendes dreijähriges Kind in einem blauen Parka hinter sich her, dessen Ärmel mit Rotz und Tränen verschmiert war.

»Ja, ganz plötzlich«, sagte Jack Hobart. Er lächelte ausdruckslos und blickte in seinen Einkaufswagen hinab auf einen großen, gelben Sack mit der Aufschrift:

KATZENSTREU

Einmal gebrauchen und dann wegwerfen!