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Hygienisch!

»Ja, ganz plötzlich. Sie hat sich schon lange ein bißchen schwach gefühlt, aber sie dachte, das käme noch von den Wechseljahren. Doch es war Krebs. Sie haben sie aufge-schnitten, einen Blick hineingeworfen, und sie gleich wieder zugenäht. Drei Wochen später war sie tot. Für Ellen ist das ganz schön hart. Ich meine, sie ist ja nur zwanzig Jahre jünger.«

»Ja.«

»Jetzt bleibt sie erst mal ‘ne Weile in Cleveland.«

»Ja.«

»Ja, ja.«

Sie sahen sich an und lächelten betreten bei dem Gedanken an den Tod.

»Wie ist es denn so da draußen in Northside?« fragte er.

»Ach, ich will dir die Wahrheit sagen, Bart. Die Leute sind nicht gerade freundlich.«

»Nicht?«

»Du weißt doch, daß Ellen in der Bank arbeitet?«

»Ja, klar.«

»Na ja, die Mädchen hatten früher eine Fahrgemeinschaft - Ellen hat jeden Donnerstag meinen Wagen gekriegt, an dem Tag war sie mit Fahren dran. In Northside gibt es ebenfalls eine Fahrgemeinschaft, aber die Frauen gehören alle einem bestimmten Club an. Und Ellen darf diesem Club erst beitreten, wenn sie mindestens ein Jahr in Northside gewohnt hat.«

»Mensch, Jack, das hört sich ja verdammt nach Diskriminierung an.«

»Ach, ich scheiß’ auf sie«, stieß Jack ärgerlich hervor. »Ellen würde diesem verdammten Club nicht beitreten, wenn sie auf Händen und Knien angekrochen kämen und sie darum bäten. Ich hab’ ihr einen eigenen Wagen gekauft, einen gebrauchten Buick. Sie ist ganz begeistert davon. Hätte ich schon vor zwei Jahren tun sollen.«

»Und wie ist das Haus?«

»Ganz in Ordnung.« Jack seufzte. »Aber der Elektrizitätsverbrauch ist groß. Du solltest mal unsere Stromrechnung sehen. Gar nicht so leicht für Leute, die ein Kind auf dem College haben.«

Sie traten unruhig von einem Fuß auf den anderen. Jacks Ärger war verflogen, und das betretene Lächeln kroch wieder in sein Gesicht. Er spürte, daß Jack wahnsinnig froh dar-

über war, jemanden aus der alten Nachbarschaft getroffen zu haben, und den Augenblick so lange wie möglich auskosten wollte. Plötzlich stellte er sich vor, wie Jack allein in dem neuen Haus umherschlich und den Fernseher laut auf-drehte, um wenigstens eine Art von Gesellschaft zu haben, während seine Frau sich über tausend Meilen entfernt um die Beerdigung ihrer Mutter kümmern mußte.

»Hör mal, warum kommst du nicht auf einen Sprung zu mir nach Hause?« fragte er. »Wir könnten ein paar Bierdosen aufmachen und uns anhören, was Howard Cosell über die nationale Football-Liga zu meckern hat.«

»He, das war’ großartig.«

»Ich will nur schnell Mary Bescheid sagen, wenn wir hier rauskommen.«

Er rief Mary an, und sie war einverstanden. Sie wollte sogar einen gefrorenen Kuchen in den Ofen stellen und sich dann ins Bett legen, damit sie Jack nicht mit ihrer Erkältung ansteckte.

»Wie gefällt es ihm da draußen?« fragte sie.

»Och, ich glaube, ganz gut, Mary. Ellens Mutter ist gestorben. Sie ist zur Beerdigung nach Cleveland geflogen. Krebs.«

»Oh, nein.«

»Deshalb hab’ ich mir gedacht, Jack könnte etwas Gesellschaft gebrauchen …«

»Ja, natürlich.« Sie zögerte einen Augenblick. »Hast du ihm gesagt, daß wir vielleicht bald wieder Nachbarn sein werden?«

»Nein«, antwortete er. »Das hab’ ich ihm nicht gesagt.«

»Das solltest du tun. Wird ihn vielleicht etwas aufmuntern.«

»Du hast recht. Wiedersehen, Mary.«

»Wiedersehen.«

»Nimm ein Aspirin, bevor du dich hinlegst!«

»Ja, mach’ ich.«

»Tschüs!«

»Tschüs! George.« Sie legte auf.

Er starrte auf das Telefon, und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. George nannte sie ihn nur, wenn sie sehr zufrieden mit ihm war. Fred-und-George war eigentlich ein Spiel, das Charlie sich ausgedacht hatte.

Er fuhr mit Jack nach Hause, und sie sahen sich das Spiel an. Sie tranken eine Menge Bier, aber es schmeckte ihnen nicht so recht.

Als Jack um Viertel nach zwölf in seinen Wagen stieg, um wieder nach Hause zu fahren, lächelte er trostlos zu ihm auf und sagte: »Es ist diese verdammte Autobahn. Die hat das alles kaputtgemacht.«

»Ja, das hat sie.« Er bemerkte, daß Jack plötzlich sehr alt aussah, und es machte ihm angst. Jack war ungefähr so alt wie er.

»Wir bleiben in Verbindung, Bart.«

»Ja, machen wir.«

Sie lächelten sich traurig zu, ein wenig betrunken, ein wenig krank. Er sah Jacks Wagen nach, bis die Rücklichter hinter dem kurvigen Hügel verschwanden.

27. November 1973

Er fühlte sich unausgeschlafen und hatte einen kleinen Kater von seinem gestrigen Gelage mit Jack. Das Rattern der Wäscheschleudern hallte laut in seinen Ohren wider, und beim Zischen der Hemdenpressen zuckte er jedesmal zusammen.

Aber Freddy war noch schlimmer. Er setzte ihm heute zu wie der Teufel selbst.

Nun hör mir mal zu, mein Junge, sagte Freddy zu ihm.

Heute ist deine letzte Chance. Du hast immer noch den ganzen Nachmittag Zeit, um Monohan in seinem Büro aufzusuchen. Aber wenn du bis fünf Uhr wartest, ist es natürlich zu spät.

Die Option läuft erst um Mitternacht aus.

Stimmt schon, aber gleich nach der Arbeit wird Monohan plötzlich das dringende Bedürfnis verspüren, einige Verwandte zu besuchen. In Alaska. Für ihn bedeutet das nämlich den Unterschied zwischen einer Fünfundvierzigtausend-Dollar-Kommission und fünfzigtausend Dollar sichere Einnahmen - der Preis für ein neues Auto. Für diese Art von leichtverdientem Geld braucht man keinen Taschenrechner.

Für diese Art von Geld würde man plötzlich Verwandte im Abwässersystem von Bombay entdecken.

Aber das war nun auch egal. Alles hatte sich schon zu weit entwickelt. Er hatte die Maschine schon zu lange ohne seine Aufsicht laufen lassen. Gebannt wartete er auf die unvermeidliche Explosion, ja, er war ganz begierig darauf. In seinem Bauch brummte und gurgelte es.

Den größten Teil des Nachmittags verbrachte er unten im Waschraum und sah zu, wie Ron Stone und Dave neue Waschmittel testeten. Es war ungeheuer laut hier unten, und der Lärm setzte seinem zarten Schädel ganz schön zu, aber es hielt ihn davon ab, auf seine Gedanken zu hören.

Nach der Arbeit holte er seinen Wagen vom Parkplatz - Mary hatte ihm den Wagen für den einen Tag gern überlassen, da er sich ihr neues Haus in Northside ansehen wollte - und fuhr durch die Stadt hindurch nach Norton hinaus.

In Norton waren viele Schwarze auf der Straße, die in Gruppen vor den Bars und an den Ecken herumlungerten.

Die Restaurants priesen verschiedene Arten von Soul-Essen an. Kinder hüpften und tanzten zwischen den Kreisen und Rechtecken hin und her, die sie mit Kreide auf den Bürgersteig gemalt hatten. Er beobachtete einen Protzwagen - einen riesigen, pinkfarbenen Eldorado -, der vor einem unauffälligen Apartmenthaus hielt. Der Mann, der ausstieg, war ein hochgewachsender Schwarzer mit einem weißen Pflanzerhut und einem weißen Anzug, der mit Perlmuttknöpfen geschmückt war. Dazu trug er flache schwarze Schuhe mit riesigen Goldschnallen an den Seiten, und in der Hand hielt er einen Malakka-Stock mit einem großen Elfenbeinknauf. Langsam und majestätisch schritt er um die Motorhaube seines Wagens herum, auf der ein Karibuge-weih aufmontiert war. Er hatte einen kleinen Silberlöffel an einer Kette um den Hals hängen, der in der schwachen Herbstsonne aufblinkte. Im Rückspiegel beobachtete er, wie die Kinder auf diesen Mann zurannten, um Süßigkeiten zu erbetteln.

Neun Häuserblocks weiter wurde die Besiedelung dünner. Er fuhr an morastigen, unbebauten Feldern vorbei, wo der Boden immer noch weich und matschig war. Zwischen Erdhaufen standen ölige Pfützen, auf deren Oberfläche sich ein trüber Regenbogen widerspiegelte. Zu seiner Linken entdeckte er ein Flugzeug am Horizont, das gerade zur Landung ansetzte.