Jetzt befand er sich auf der Route 16, die durch die Außenbezirke zwischen Innenstadt und Stadtgrenze führte. Er kam an einem McDonalds vorbei, dann an Sheakey’s und Nino’s Steakhaus. Er kam an einer Eisdiele vorbei und am Noddy-Time-Motel, das für diese Saison schon geschlossen hatte. Dann folgte das Nortoner Autokino, dessen riesige Anzeigentafel verkündete:
Frei - Sam - Sonn
RASTLOSE FRAUENZIMMER
EINIGE KAMEN GERANNT PORNO
EIGHT-BALL
Er kam an einer Bowlingbahn vorbei und an einem Golfplatz, der ebenfalls schon geschlossen hatte. Tankstellen - zwei davon hatten Schilder aufgestellt:
TUT UNS LEID, KEIN BENZIN MEHR
Es dauerte noch vier Tage, bis sie ihre Dezemberrationen bekamen. Er empfand kein Mitleid für dieses Land als Ganzes, das in diese Science-fiction-artige Ölkrise geschliddert war - dieses Land hatte seine Benzinvorräte zu lange vergeudet, um von ihm noch Sympathie erwarten zu können -, aber die kleinen Leuten taten ihmn leid, die sich ihren Schwanz plötzlich in der großen Drehtür eingeklemmt hatten.
Eine Meile weiter fand er endlich Magliores Gebrauchtwagenhandlung. Er wußte nicht, was er erwartet hatte, aber irgendwie war er enttäuscht. Der Ort erinnerte ihn an miese Nacht-und-Nebel-Geschäfte. Die Wagen standen aufgereiht mit den Motorhauben zur Straße unter durchhängenden Leinen, an denen bunte Fähnchen - rot, gelb, blau, grün - im Wind flatterten. Die Leinen waren zwischen Laternenpfo-sten gespannt, die den Platz nachts beleuchteten. Die Windschutzscheiben waren mit den Preisen und Werbelogans beschmiert:
795$
LÄUFT NOCH GUT
UND
55$
GUTER TRANSPORTER! und ein staubiger, alter Valiant mit flachen Reifen und zerbrochener Windschutzscheibe:
75$
SONDERANGEBOT
Ein Verkäufer in einem graugrünen Overall stand vor einem Jungen mit einer roten Seidenjacke und nickte und lächelte unverbindlich, während der Kleine auf ihn einredete. Sie verhandelten über einen blauen Mustang, dessen Kotflügel von Krebs zerfressen war. Der Junge wurde heftig und schlug mit der flachen Hand gegen die Fahrertür.
In kleinen Wolken wirbelten Staub und Rost auf. Der Verkäufer zuckte die Achseln und lächelte weiter unverbindlich. Der Mustang stand einfach da und wurde noch ein bißchen älter.
In der Mitte des Platzes befand sich eine Kombination von Garage und Büro. Er parkte den Wagen davor und stieg aus. In der Garage entdeckte er eine Hebebühne, auf der sich im Augenblick ein alter Dodge mit gigantischen Kotflügeln befand. Unter ihm trat gerade ein Mechaniker hervor, der vorsichtig den Auspuff in beiden ölverschmierten Händen hielt, als handelte es sich um einen Kelch.
»Mr., da können Sie nicht parken. Sie stehen direkt in der Ausfahrt.«
»Wo kann ich ihn dann abstellen?«
»Fahren Sie ihn ums Haus herum, wenn Sie ins Büro wollen.«
Er fuhr den LTD auf den Hinterhof, wobei er sich vorsichtig einen Weg zwischen der Wellblechwand der Garage und den abgestellten Wagen bahnte. Hinter der Garage schaltete er wieder den Motor ab und stieg aus. Ein kalter, scharfer Windstoß ließ ihn zusammenfahren. Er kniff die Augen zu sammen, um die Tränen zurückzuhalten.
Hier hinten befand sich der Autofriedhof. Er erstreckte sich meilenweit und bot einen merkwürdigen Anblick. Die meisten Wagen waren ausgeschlachtet und standen auf den nackten Radhalterungen oder auf ihren Achsen. Sie wirkten wie die Opfer einer schrecklichen Seuche, noch zu ansteckend, um in ein Massengrab geworfen zu werden.
Die Fenster starrten ihn mit ihren leeren Scheinwerferfas-sungen verzückt an.
Er ging wieder nach vorn. Der Mechaniker baute gerade den neuen Auspuff ein. Zu seiner Rechten balancierte eine offene Colaflasche auf einem Stapel Autoreifen.
Er rief dem Mechaniker z.u: »Ist Mr. Magliore da?« Wenn er mit Werkstattleuten sprach, fühlte er sich immer wie ein Arschloch. Er hatte sich vor vierundzwanzig Jahren seinen ersten Wagen gekauft, und doch fühlte er sich immer noch wie ein pickeliger Teenager, wenn er mit Mechanikern verhandelte.
Der Mann blickte über seine Schulter, während er weiter mit dem Schraubenzieher hantierte: »Ja, Mansey und er. Sind beide im Büro.«
»Danke.«
»Bitte.«
Er ging ins Büro. Die Wände waren mit Fichtenholzimitation getäfelt, und der Boden war mit schmuddeligen, abwechselnd roten und weißen Linoleumplatten ausgelegt. Zwei alte Stühle standen herum, zwischen denen sich zerfledderte Zeitschriften stapelten - Outdoor Life, Field and Stream, True Argosy. Auf den Stühlen saß niemand. Er entdeckte eine weitere Tür, die vermutlich ins eigentliche Büro führte, und rechts daneben eine kleine Kabine, die wie eine Kinokasse aussah. Drinnen saß eine Sekretärin und arbeitete an einer Rechenmaschine. Sie hatte einen gelben Bleistift im Haar stecken, und vor ihrem flachen Busen baumelte eine Brille, die an einer Kette aus Rheinkieseln hing. Er ging auf sie zu.
Mittlerweile war er nervös geworden und fuhr sich einmal mit der Zunge über die Lippen, bevor er sprach.
»Entschuldigung.«
»Ja, bitte?« Sie blickte auf.
Er spürte plötzlich eine verrückte Eingebung, einfach zu sagen: Ich will den einäugigen Sally sprechen, Puppe, setz mal deinen süßen Arsch in Bewegung.
Statt dessen sagte er: »Ich habe eine Verabredung mit Mr. Magliore.«
»So, haben Sie das?« Sie musterte ihn einen Augenblick mißtrauisch und durchwühlte dann einen Stapel von Zetteln neben ihrer Rechenmaschine. Einen der Zettel zog sie daraus hervor. »Heißen Sie Dawes? Barton Dawes?«
»Ja, richtig.«
»Sie können gleich reingehen.« Sie verzog kurz den Mund zu einem schiefen Lächeln und fing wieder an, auf die Maschine einzuhacken.
Jetzt war er sehr nervös. Bestimmt wußten sie längst, daß er sie angeschmiert hatte. Sie unterhielten hier ein zwielichtiges Geschäft mit’nicht ganz astreinen Wagen, soviel hatte er schon der Art entnehmen können, wie Mansey gestern mit ihm am Telefon gesprochen hatte. Und sie wußten, daß er es wußte. Vielleicht wäre es doch das beste, wenn er auf dem Absatz kehrtmachte und schnurstracks zu Monohans Büro fuhr, bevor dieser dichtmachte und nach Alaska oder Timbuktu oder Gott weiß wohin fuhr.
Na endlich, schaltete Freddy sich ein. Der Mann wird langsam vernünftig.
Er überhörte Freddy, ging zur Tür, öffnete sie und betrat das innere Büro. Drinnen waren zwei Männer. Der eine, ein fetter Kerl mit dicken Brillengläsern, saß hinterm Schreibtisch. Der andere, dünn wie eine Bohnenstange, trug einen lachsfarbenen Sportanzug und erinnerte ihn an Vinnie Mason. Er beugte sich über den Schreibtisch. Die beiden betrachteten einen J.-C.-Whitney-Katalog.
Sie blickten zu ihm auf, und Mr. Magliore lächelte freundlich. Die dicken Brillengläser ließen seine Augen trübe und enorm groß wirken, sie sahen aus wie das Gelb von poschierten Eiern.
»Mr. Dawes?«
»Ja.«
»Schön, daß Sie vorbeikommen konnten. Würden Sie bitte die Tür schließen?«
»Natürlich.«
Er machte die Tür zu. Als er sich umdrehte, lächelte Magliore nicht mehr. Desgleichen Mansey. Sie sahen ihn einfach an, und die Zimmertemperatur schien um zwanzig Grad gesunken zu sein.
»Also gut«, sagte Magliore. »Was soll der Quatsch?«
»Ich wollte mit Ihnen reden.«
»Reden ist umsonst. Aber nicht für so kleine Schnüffler wie Sie einer sind. Sie haben Pete angerufen und ihm irgendeinen Mist über zwei Eldorados vorgequatscht.« Er sprach es wie ›Eldoreedos‹ aus. »Jetzt reden Sie mit mir, Mister. Jetzt werden Sie mir sagen, worauf Sie hinauswollen.«