Magliore musterte ihn erstaunt. Lange. Dann warf er plötzlich den Kopf in den Nacken und lachte. Sein riesiger Bauch wackelte, und seine Gürtelschnalle hüpfte darauf auf und ab wie ein Holzstück auf einem Wellenkamm. Sein Lachen war laut und voll und herzlich. Er lachte, bis ihm die Tränen über die Wangen kullerten,.und dann zog er aus irgendeiner Tasche ein großes, reichlich komisch wirkendes Taschentuch und wischte sich damit die Augen ab. Er stand einfach da und sah zu, wie Magliore lachte, und plötzlich war er sich sicher, daß dieser fette Mann mit den dicken Brillengläsern ihm den Sprengstoff verkaufen würde. Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht. Das Lachen machte ihm nichts aus. An einem Tag wie heute tat es sogar ganz gut.
»Mann, Sie sind mir vielleicht einer«, kicherte Magliore, als er sich wieder etwas beruhigt hatte. »Ich wünschte, Pete wäre da, um sich das anzuhören. Das wird er mir niemals glauben. Gestern noch haben Sie mich einen Knallkopf genannt und heute … heu-heute …« Und wieder brüllte er vor Lachen und wischte sich mit dem riesigen Taschentuch übers Gesicht.
Als der Anfall vorüber war, fragte er: »Und wie wollen Sie dieses kleine Abenteuer finanzieren, Mr. Dawes? Jetzt, da Sie nicht mehr erwerbstätig sind?«
Er fand das eine lustige Formulierung. Nicht mehr erwerbstätig. Wenn man es so ausdrückte, klang es richtig echt. Er war arbeitslos. Und das alles hier war kein Traum.
»Ich habe mir letzten Monat meine Lebensversicherung auszahlen lassen«, erklärte er. »Ich habe über zehn Jahre lang für eine Zehntausend-Dollar-Police gezahlt. Im Augenblick besitze ich um die dreitausend Dollar.«
»Tragen Sie diesen Plan wirklich schon so lange mit sich herum?«
»Nein«, antwortete er aufrichtig. »Als ich mir die Versicherung auszahlen ließ, wußte ich noch nicht so genau, was ich damit anfangen wollte.«
»Damals haben Sie sich wohl noch alle Möglichkeiten offengehalten, was? Sie haben sich gedacht, Sie könnten die Straße verbrennen oder sie mit einem Maschinengewehr zusammenschießen. Oder wollten Sie sie vielleicht erwürgen?«
»Nein. Ich wußte einfach nicht, was ich tun würde. Aber jetzt weiß ich’s.«
»Na gut, aber ohne mich.«
»Was?« Er blinzelte und starrte Magliore verblüfft an. Das stand nicht in seinem Drehbuch. Magliore sollte es ihm schon schwermachen, auf eine gewisse väterliche Art, aber zuletzt sollte er ihm doch den Sprengstoff verkaufen. Und dann sollte er sich aus der Affäre ziehen, etwa folgendermaßen: Wenn Sie sich erwischen lassen, werde ich leugnen, je von Ihnen gehört zu haben.
»Was haben Sie gesagt?«
»Ich sagte nein. N-e-i-n - und das heißt nein.« Er beugte sich vor. In seinen Augen war keine Spur von Humor mehr zu sehen. Sie waren klar und wirkten trotz der Vergrößerung durch die Brillengläser plötzlich klein. Es waren nicht mehr die Augen eines fröhlichen neapolitanischen Weihnachtsmannes.
»Hören Sie«, sagte er zu Magliore. »Wenn man mich erwischt, werde ich leugnen, je von Ihnen gehört zu haben. Ich werde niemals Ihren Namen erwähnen.«
»Einen Dreck werden Sie tun. Sie werden Ihr ganzes Herz ausschütten, und man wird Sie für unzurechnungsfähig erklären. Und ich wäre für den Rest meines Lebens geliefert.«
»Nein, hören Sie …«
»Nein, Sie hören mir jetzt mal zu«, sagte Magliore scharf.
»Bis zu einem gewissen Punkt sind Sie ja ganz komisch, aber dieser Punkt ist jetzt erreicht. Ich habe nein gesagt, und ich meine nein. Keine Waffen, kein Sprengstoff, kein Dynamit, gar nichts. Warum? Weil Sie ein Spinner sind, und ich bin Geschäftsmann. Jemand hat Ihnen erzählt, daß Sie bei mir solches Zeug kriegen können. Das stimmt, ich kann eine Menge Dinge beschaffen. Ich habe schon viele Sachen für viele Leute besorgt. Aber ich habe mir dabei auch selbst etwas eingehandelt. 1946 bekam ich eine Zweihundertfünfzig-Dollar-Strafe wegen heimlichen Tragens einer Waffe aufgebrummt. Das waren zehn Monate Gefängnis. 1952 bekam ich eine Verschwörungsklage an den Hals, die ich abwenden konnte.
1955 eine Klage wegen Steuerhinterziehung. Ich kam auf Kaution frei. 1959 wurde ich wegen Hehlerei gefaßt, und diesmal kam ich nicht mit einer Kaution davon. Das bedeutete achtzehn Monate in Castleton, aber der Kerl, der mich an die Grand Jury verpfiffen hat, liegt jetzt unter der Erde. Seit 1959 habe ich noch dreimal vor Gericht gestanden. Zweimal wurde die Anklage fallengelassen, einmal kam ich mit einer Kaution frei. Die würden mich gerne wieder zu fassen kriegen, denn wenn sie mir was Richtiges anhängen können, gehe ich diesmal für zwanzig Jahre in den Knast. Keine vor-zeitige Entlassung wegen guter Führung. Für einen Mann in meiner Verfassung heißt das, daß von mir höchstens noch die Nieren wieder rauskommen, die dann vielleicht irgendeinem Nigger in Norton eingepflanzt werden. Im Zuge des Wohlfahrtsprogramms für die Schwarzen. Für Sie mag das alles ein Spiel sein. Ein bißchen verrückt zwar, aber ein Spiel.
Für mich ist es bitterer Ernst. Sie glauben zwar, Sie sagen die Wahrheit, wenn Sie behaupten, daß Sie den Mund halten würden. Aber Sie lügen. Sie belügen nicht mich, sondern sich selbst. Also, die Antwort heißt schlicht und einfach - nein.« Er warf die Hände hoch. »Wenn es sich um eine Mieze gehandelt hätte, mein Gott, ich hätte Ihnen gleich zwei besorgt, meinetwegen auch umsonst, wegen der Vorstellung, die Sie gestern hier abgezogen haben. Aber auf solche Sachen lasse ich mich nicht ein.«
»Schon gut«, flüsterte er. Sein Magen rebellierte. Er hatte das Gefühl, daß er sich gleich übergeben würde.
»Dieses Büro ist sauber«, fuhr Magliore fort. »Ich weiß, daß es sauber ist. Außerdem weiß ich, daß Sie sauber sind, aber Sie werden es wohl kaum bleiben, wenn Sie tatsächlich Ihren Plan durchführen wollen. Ich will Ihnen mal was erzählen.
Vor ungefähr zwei Jahren kam einer von diesen Niggern hierher zu mir und verlangte Sprengstoff. Er wollte nicht so etwas Harmloses wie eine Straße in die Luft jagen, er hatte es gleich auf den staatlichen Gerichtshof abgesehen.«
Erzählen Sie mir nichts mehr, dachte er. Ich werde mich gleich übergeben. Sein Magen fühlte sich an, als wäre er voller Federn, die ihn fürchterlich kitzelten.
»Ich hab’ ihm das Zeug verkauft«, sagte Magliore. »Ein biß-
chen hiervon, ein bißchen davon. Wir haben miteinander ge-feilscht. Er hat mit seinen Leuten geredet, ich mit meinen.
Geld wechselte die Hände. Viel Geld. Er nahm das Zeug mit.
Die Bullen haben ihn und zwei von seinen Kumpanen geschnappt, bevor sie überhaupt in die Nähe des Gerichtshofs gekommen sind. Gott sei Dank. Aber ich habe lange Zeit kein Auge zugetan aus Sorge, was er den Bullen oder dem Staats-anwalt oder dem EFF-BIE-EI alles erzählen würde. Und wissen Sie warum? Weil er mit einem Haufen von Spinnern zusammen war, Negerspinnern, und das ist die schlimmste Sorte. Und wenn davon ein ganzer Haufen zusammen ist, ist das noch schlimmer. Ein einzelner Verrückter wie Sie kann nicht viel anrichten. Er brennt einfach aus wie ‘ne Glühbirne.
Aber wenn da dreißig Kerle zusammen sind und drei von ihnen geschnappt werden, versiegeln sie plötzlich alle ihre Lippen und schieben jemand anderem die Schuld in die Schuhe.«
»Schon gut«, sagte er wieder. Seine Augen brannten.
»Sehen Sie«, sagte Magliore etwas ruhiger, »mit dreitausend Dollar hätten Sie das Zeug sowieso nicht bezahlen können. Das hier ist so etwas wie ein Schwarzmarkt, verstehen Sie? Um die Menge Sprengstoff zu kaufen, die Sie benötigen, müssen Sie drei- bis viermal soviel ausgeben.«
Er schwieg. Er konnte nicht gehen, bevor Magliore ihn wegschickte. Es war wie in einem Alptraum, nur daß dies kein Alptraum war. Er mußte immer wieder an sich halten, um nicht vor Magliores Augen irgend etwas Dämliches zu tun. Zum Beispiel sich in den Arm kneifen, um wach zu werden.