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»Dawes?«

»Was?«

»Es hätte auch gar keinen Sinn. Ist Ihnen das denn nicht klar? Sie können einen Menschen töten oder ein Denkmal in die Luft jagen oder ein wichtiges Kunstwerk zerstören wie dieser Kerl, der mit einem Hammer auf die Pietä losgegangen ist. Möge ihm die Nase deswegen verrotten. Aber Sie können keine Straße oder kein Gebäude in die Luft sprengen. Das ist es ja, was diese Nigger nicht kapieren wollen. Wenn sie den Gerichtshof in die Luft sprengen, wird der Staat zwei neue bauen - einen, um den alten zu ersetzen, und einen weiteren, um jedes einzelne von diesen schwarzen Arschlöchern zu verknacken, das seine Nase zur Tür hereinstreckt. Wenn man rumläuft und die Bullen abknallt, werden sie sechs neue Bullen für jeden getöteten anheuern. Und jeder dieser Bullen ist auf der Jagd nach schwarzer Haut. Sie können nicht gewinnen, Dawes. Ob weiß oder schwarz. Wenn Sie sich dieser Straße in den Weg stellen, werden Sie mitsamt Ihrem Haus und Ihrer Wäscherei untergepflügt werden.«

»Ich muß jetzt gehen«, sagte er heiser.

»Ja, Sie sehen gar nicht gut aus. Sie müssen sich das aus dem Kopf schlagen. Ich kann Ihnen eine alte Hure beschaffen, wenn Sie wollen. Sie ist alt und dumm, und Sie können sie kräftig zusammenschlagen, wenn Ihnen das hilft. Werden Sie das Gift los. Irgendwie mag ich Sie, deshalb …«

Er rannte, rannte blindlings durch die Tür, durch das Vorzimmer und in den Schnee hinaus. Draußen stand er zitternd und atmete in großen Zügen die kalte Schneeluft ein. Er hatte Angst, daß Magliore plötzlich herausgerannt käme und ihn am Kragen wieder in sein Büro ziehen würde, um bis ans Ende aller Zeiten auf ihn einzureden. Wenn Gabriel in seine Posaune blies, würde er immer noch dastehen und ihm geduldig die Unverletzlichkeit des Systems und den Nutzen einer alten Hure erklären.

Als er nach Hause kam, lag der Schnee schon fast zwanzig Zentimeter hoch. Der Schneepflug war schon vorbeigefahren, und er mußte den Wagen durch einen Wall am Straßenrand steuern, um in seine Auffahrt zu gelangen. Der LTD schaffte das ohne Mühe. Es war ein guter, schwerer Wagen.

Das Haus war dunkel. Er öffnete die Tür und trat auf der Fußmatte den Schnee von den Schuhen. Drinnen war alles still. Merv Griffin plauderte heute abend nicht mit seinen Be-rühmtheiten.

»Mary?« rief er, erhielt aber keine Antwort. »Mary?«

Er hätte gern geglaubt, daß sie nicht zu Hause sei, doch da hörte er ihr unterdrücktes Schluchzen aus dem Wohnzimmer. Er zog seinen Mantel aus und hängte ihn auf einen Bügel in der Garderobe. Unter den Bügeln stand eine kleine Schachtel. Sie war leer. Mary stellte sie jeden Winter dort auf, um die Tropfen aufzufangen. Er hatte sich des öfteren gefragt, wem ein paar Tropfen in der Garderobe etwas ausmachen könnten. Heute fiel ihm die Antwort darauf ein, einfach und deutlich. Mary machte es etwas aus. Das genügte.

Er ging ins Wohnzimmer. Sie saß im Dunkeln vor dem blinden Bildschirm. Sie kauerte auf dem Sofa und weinte.

Sie benutzte kein Taschentuch, und ihre Hände lagen ruhig in ihrem Schoß. Früher hatte sie nur heimlich geweint. Sie war entweder ins Schlafzimmer gerannt und hatte sich in ihrem Bett verkrochen, oder sie hatte das Gesicht in den Händen beziehungszweise in einem Taschentuch versteckt, wenn es sie überraschend traf. Als er sie jetzt so vor sich sah, kam ihm ihr Gesicht nackt und obszön vor. Das Gesicht des Opfers eines Flugzeugabsturzes. Es zerriß ihm das Herz.

»Mary«, sagte er leise.

Sie weinte vor sich hin und blickte nicht einmal zu ihm auf. Er setzte sich neben sie.

»Mary. So schlimm ist es doch gar nicht. Nichts kann so schlimm sein.« Aber da war er sich selbst nicht so sicher.

»Es ist das Ende«, schluchzte sie, und die Worte klangen verzerrt durch ihr Weinen. Seltsamerweise breitete sich gerade in diesem Augenblick des Zusammenbruchs eine Schönheit auf ihrem Gesicht aus, die es vorher nie gehabt hatte. Es leuchtete richtig. In diesem Augenblick der Katastrophe war sie eine begehrenswerte Frau.

»Wer hat es dir gesagt?«

»Jeder hat es mir gesagt!« rief sie. Sie sah ihn immer noch nicht an, aber sie ballte eine Hand zur Faust und schlug damit ziellos in die Luft. Dann ließ sie sie wieder in den Schoß fallen. »Tom Granger hat mich angerufen. Dann hat Ron Stones Frau bei mir angerufen. Danach hat Vincent Mason angerufen. Alle wollten wissen, was mit dir los ist. Und ich hab’s nicht gewußt. Ich hatte keine Ahnung, daß etwas nicht in Ordnung war.«

»Mary«, sagte er und versuchte, ihre Hand zu fassen. Sie zog sie weg, als ob er eine ansteckende Krankheit hätte.

»Willst du mich bestrafen?« fragte sie und sah ihn nun endlich an. »Ist es das, was du vorhast? Willst du mich bestrafen?«

»Nein«, antwortete er bestürzt. »Oh, Mary, nein.« Am liebsten hätte er auch geweint, aber das wäre falsch gewesen.

Das wäre jetzt völlig fehl am Platz.

»Weil ich dir ein totes Kind geboren habe und danach ein Kind mit einem angeborenen Selbstzerstörungsmechanismus? Glaubst du, daß ich deinen Sohn umgebracht habe? Ist das der Grund?«

»Mary, es war unser Sohn …«

»Es war dein Sohn!« schrie sie ihn an.

»Nicht, Mary. Bitte nicht.« Er versuchte, sie zu umarmen, aber sie riß sich los.

»Faß mich nicht an!«

Sie starrten sich gegenseitig an, entsetzt, denn sie entdeckten beide zum ersten Mal, daß es zwischen ihnen mehr gab, als sie je vermutet hätten - riesige weiße Flecken auf ihrer inneren Landkarte.

»Mary, ich konnte nicht anders handeln. Bitte, glaube mir.« Aber das konnte auch eine Lüge sein. Trotzdem stürzte er sich in die Erklärung. »Vielleicht hatte es etwas mit Charlie zu tun. Ich habe ein paar Dinge getan, die ich selbst nicht verstehe. Ich … ich habe mir im Oktober meine Lebensversicherung auszahlen lassen. Das war das erste, meine erste reale Handlung, aber mir sind schon lange vorher solche Dinge durch den Kopf gegangen. Es kam mir eben einfacher vor, etwas zu tun› als darüber zu reden. Kannst du das verstehen, Mary? Kannst du es wenigstens versuchen?«

»Was wird nun aus mir, Barton? Ich habe nichts anderes gelernt, als deine Frau zu sein. Was soll nun aus mir werden?«

»Ich weiß es nicht.«

»Es ist, als ob du mich vergewaltigt hättest.« Sie fing wieder an zu weinen.

»Mary, bitte, hör auf. Bitte … versuch, damit aufzuhören.«

»Hast du auch nur ein einziges Mal an mich gedacht, als du all diese Dinge getan hast? Hast du einmal daran gedacht, daß ich von dir abhängig bin?«

Er konnte nicht antworten. Auf eine seltsame Art kam es ihm vor, als stünde Magliore wieder vor ihm und redete auf ihn ein. Es war, als hätte Magliore ihn nach Hause geschleift, sich mit Marys Kleidern verkleidet und sich ihre Maske aufgesetzt. Was kam als nächstes? Das Angebot mit der alten Hure?

Sie stand auf. »Ich geh’ nach oben und leg’ mich ins Bett.«

»Mary …« Sie fiel ihm nicht ins Wort, aber er stellte fest, daß er nichts mehr zu sagen wußte.

Sie ging aus dem Zimmer, und er hörte sie die Treppe hin-aufgehen. Kurze Zeit darauf hörte er ihr Bett quietschen, als sie sich hinlegte. Danach hörte er sie wieder weinen.

Er stand auf, schaltete den Fernseher ein und drehte den Ton auf volle Lautstärke, um alles andere zu übertönen.

Merv Griffin plauderte wieder mit seinen Berühmtheiten.

Zweiter Teil

DEZEMBER

Ach, Geliebte, laß uns doch ehrlich zueinander sein! Diese Welt, die wie ein Land von Träumen vor uns liegt, so vielfältig, so neuartig und schön, hat doch keine Liebe für uns, keine Freude und kein Licht, keine Gewißheit, keinen Frieden und keinen Trost für unser Leid. Wir sind wie auf einer finsteren Ebene, heimgesucht von verwirrten Armeen in Kampf und Flucht, Armeen, die bei Nacht blind aufeinanderstoßen.