5. Dezember 1973
Er trank seinen Privatdrink, Seven-up und Southern Comfort, und sah sich eine Fernsehsendung an, deren Titel er vergessen hatte. Der Held war entweder ein V-Mann oder ein Privatdetektiv. Er hatte gerade eins über den Schädel gekriegt. Auf diese Art kam der V-Mann (oder Privatdetektiv) auf die Idee, daß er einer heißen Sache auf der Spur sei. Bevor er aber sagen konnte, um was es ging, wurde er von der Reklame unterbrochen. Der Reklamemensch stellte eine synthetische Bratensoße vor, die man nur mit warmem Wasser mischen mußte. Er fragte das Fernsehpublikum, ob die Masse in der roten Schüssel nicht genau wie Bratensoße aussähe. Barton George Dawes fand, daß sie eher wie Durchfall aussähe, den jemand in einen roten Hundenapf geschissen hätte. Dann ging der Film weiter. Der Privatdetektiv (oder V-Mann) fragte einen schwarzen Barkeeper aus, der eine Latte von Vorstrafen hatte. Der Barkeeper sagte hau ab. Der Barkeeper sagte verpiß dich. Der Barkeeper nannte ihn einen Idioten.
Es war ein sehr salopper Barkeeper. Aber Barton George Dawes dachte, na gut, so hat der Privatdetektiv (oder V-Mann) wenigstens seinen Auftritt gehabt.
Er war ziemlich betrunken und saß nur in seiner Unterhose vor dem Fernseher. Im Haus war es sehr warm. Er hatte den Thermostat auf 28° hochgedreht, als Mary ihn verlassen hatte, und da war er seitdem geblieben. Energiekrise? Was für eine Energiekrise? Ich scheiß’ auf dich, Dick. Und auf das Pferd, auf dem du immer angeritten kommst. Und ich scheiß’ auch auf Checkers. Nachdem er auf die Autobahn eingebogen war, hatte er den Wagen auf hundert beschleunigt und allen Autofahrern, die ihn angehupt hatten, damit er langsamer fahre, bedeutet, sie sollten ihn sonstwo lecken. Die vom Präsidenten eingesetzte Verbraucherexpertin, eine Frau, die aussah, als wäre sie in den dreißiger Jahren einer von diesen Kinderstars gewesen, bevor sie sich in eine hermaphroditische Politikerin verwandelt hatte, war vor zwei Abenden im Fernsehen erschienen und hatte über die Möglichkeiten!! gesprochen. DU & ICH können überall im Haus Elektrizität sparen!! Sie hieß Virginia Knauer und machte unheimlich viel Getue um die verschiedenen Möglichkeiten, wie DU & ICH Energie sparen könnten, denn die Krise sei ein schreckliches Unglück und wir seien alle davon betroffen. Als ihr Auftritt vorbei war, war er sofort in die Küche gegangen und hatte den elektrischen Mixer angestellt, denn Mrs. Knauer hatte gesagt, daß Küchenmixer die zweitgrößten Stromverschwender von allen Kleingeräten seien. Er hatte den Mixer die ganze Nacht laufen lassen, und als er am nächsten Morgen aufgewacht war - das war gestern morgen gewesen -, war der Motor durchgebrannt. Die größten Stromverschwender waren nach Mrs. Knauer diese kleinen elektrischen Heizgeräte. Leider hatte er keines, aber er spielte mit dem Gedanken, sich extra eines zu besorgen, damit er es Tag und Nacht laufen lassen könnte, bis auch da der Motor durchbrannte. Vielleicht verbrannte der ihn gleich mit, wenn er betrunken genug war, um die Besinnung zu verlieren. Das würde diesem ganzen unglückseligen Selbstmitleidtheater endlich ein Ende bereiten.
Er goß sich noch einen Drink ein und verfiel in ein trauriges Brüten über die alten Fernsehprogramme, die damals gelaufen waren, als er und Mary noch jungverheiratet waren und sich eine brandneue RCA-Fernsehtruhe geleistet hatten-der gute alte Schwarzweißfernseher. Da hatte es noch was zu glotzen gegeben. Das Jack Benny Program zum Beispiel, oder Amos and Andy, die beiden originellen, schlitzohrigen Nigger. Da gab es noch Dragnet, das originale Dragnet mit Ben Alexander als Joe Fridays Partner und nicht mit diesem neuen Typ, diesem Harry sonstwie. Da hatte es noch High-way Patrol gegeben mit Broderick Crawf ord, der in sein Auto-mikrophon brummte, und alle Leute waren in den alten Buicks herumgefahren, die mit den Bullaugen an den Seiten.
Your Show of Shows. Your Hit Parade mit Gisele MacKenzie, die damals solche Lieder wie Green Door und Stranger in Paradise gesungen hatte. Diese Sendung hatte der Rock ‘n’ Roll aus dem Weg geräumt. Und dann die alten Quizsendungen. Ja, was war damit? Tic-Tac-Dough und Twenty One jeden Montag abend mit Jack Berry als Quizmaster. Leute, die in schalldichte Kabinen geführt wurden, wo sie sich Kopfhörer wie bei den UNO-Versammlungen aufsetzten und unglaubliche Fragen gestellt bekamen, für die sie die Antworten vor der Sendung erfahren hatten. The 64000 Question mit Hal March.
Leute, die mit Armen voller Nachschlagewerke von der Bühne stolperten. Dotto mit Jack Narz. Und dann die Sonn-abendvormittagssendungen wie Annie Oakley, die ihren kleineren Bruder Tag immer aus fürchterlichen Situationen retten mußte. Er hatte sich des öfteren gefragt, ob das Balg nicht in Wirklichkeit ihr Sohn wäre. Oder Rin-Tin-Tin, der vom Fort Apache aus operierte. Sergeant Preston, der vom Yukon aus operierte - er hatte so eine Art Späheraufgabe. Range Rider mit Jock Mahoney. Wild Bill Hickok mit Guy Mason und Andy Fevine als Jingles. Mary hatte immer zu ihm gesagt, Bart, wenn die Leute wüßten, daß du dir all diese Sendungen ansiehst, würden sie dich für schwachsinnig halten. Ehrlich, ein Mann in deinem Alter! Aber er hatte ihr darauf immer geantwortet, ich will mich mal mit meinen Kindern unterhalten können, Kindchen. Nur, daß es dann keine Kinder gegeben hatte - keine richtigen. Das erste war bloß ein toter Klumpen gewesen, und das zweite war Charlie, an den er lieber nicht denken sollte. Wir sehen uns später, wenn ich träume, Charlie. Er und sein Sohn trafen sich jetzt fast jede Nacht in dem einen oder anderen Traum. Barton George Dawes und Charles Frederick Dawes, wiedervereint durch die Wunder des persönlichen Unterbewußtseins. Und hier sind wir wieder, liebe Freunde, auf geht’s zur neuesten Disney-World-Reise, ein Ausflug in das Land des Selbstmitleids. Sie können hier auf dem Kanal der Tränen gondeln, das Museum der Alten Schnappschüsse besuchen oder sich von Fred MacMurray in seinem wundervollen Nostalgiemobil durch die Gegend fahren lassen. Die letzte Station dieser Reise ist diese wunderbare Nachbildung der Crestallen Street West. Sie steckt gleich hier, in der Southern-Comfort-Flasche, wo sie für alle Zeiten aufbewahrt wird. Ja, so ist es richtig, Madam, Sie müssen den Kopf ein bißchen einziehen, wenn Sie durch den engen Hals schlüpfen, aber es wird gleich weiter. Und dies ist das Haus von Barton George Dawes, dem letzten Anwohner der Crestallen Street. Sie können gleich hier durchs Fenster gucken. Wart einen Augenblick, mein Sohn, ich heb’ dich gleich hoch. Ja, genau, da sehen Sie George, wie er in Unterhosen vor seinem Farbfernseher sitzt, einen Drink kippt und heult. Er heult? Natürlich, was sollte er im Land des Selbstmitleids denn sonst tun? Er heulte die ganze Zeit.
Sein Tränenstrom wird von unserem WELTBERÜHMTEN
INGENIEURSTEAM gesteuert. Am Montag tröpfelt es nur ein bißchen, da ist hier nicht soviel los. Aber an den anderen Wochentagen heult er so richtig los. An den Wochenenden fließt er richtig über, und zu Weihnachten spülen wir ihn vielleicht ganz weg. Sicher, er ist vielleicht ein bißchen abstoßend, aber er ist einer der meistgefragten Einwohner im Selbstmitleidsland, gemeinsam mit unserer King-Kong-Nachbildung, die Sie gleich hier auf der Spitze des Empire-State-Gebäudes sehen. Er…