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Ihre Nasenspitze war ganz rot, und neben dem linken Nasenloch hing ein Wassertropfen. Ihr Haar war kurzgeschnitten, aber es war ein schlechter Schnitt. Eine Pfusch-arbeit. Es hatte eine schöne kastanienbraune Farbe. Viel zu schade, um es zu schneiden, schlimmer noch, es so schlecht schneiden zu lassen. Wie war noch mal diese Weihnachtsgeschichte von O’Henry? ›Das Geschenk der Drei Weisen.‹ Für wen hast du eine Uhrkette gekauft, kleine Vagabundin?

»Die durchgehende grüne Linie fängt wieder an einem Ort an, der Landy heißt«, sagte sie. »Wie weit ist das von der Stelle entfernt, an der sie aufhört?«

»Zirka dreißig Meilen.«

»Verdammt.«

Sie beugte sich wieder über die Karte. Die Ausfahrt 15 flog an ihnen vorbei.

»Und wie ist die Umgehungsstraße?« fragte sie nach einer Weile. »Sie kommt mir ziemlich chaotisch vor.«

»Route 7 wird für Sie das beste sein«, antwortete er. »Es ist die letzte Ausfahrt, sie heißt Westgate.« Er zögerte. »Aber es wäre wohl am besten, wenn Sie’s für heute abend aufgeben.

Es gibt dort ein Holiday Inn. Wir werden kaum vor dem Dunkelwerden da sein, und Sie wollen doch bestimmt nicht im Dunkeln trampen.«

»Warum nicht?« Sie sah ihn an. Ihre Augen waren von einem verwirrenden Grün; eine Farbe, von der man mal liest, die man aber selten zu sehen bekommt.

»Es ist eine Stadtumgehung«, erklärte er und bog auf die linke Spur, um mehrere Wagen zu überholen, die nur sechzig fuhren. Einige hupten wütend. »Vier breite Spuren mit einem schmalen Mittelstreifen. Zwei führen westwärts nach Landy, zwei nach Osten in die Stadtmitte. Eine Menge Einkaufszentren, Hamburgerbuden, Bowlingbahnen und all das. Die Leute fahren nur kurze Strecken und halten gar nicht erst an.«

»Ja«, seufzte sie. »Fährt vielleicht ein Bus nach Landy?«

»Es gab da mal einen Bus, aber die Firma ist pleite gegangen. Vielleicht fährt der Greyhound.«

»Ach, Scheiße.« Sie knüllte die Karte zusammen und steckte sie in die Manteltasche zurück. Dann starrte sie müde und etwas besorgt vor sich auf die Straße.

»Können Sie sich kein Motelzimmer leisten?«

»Mister, ich hab’ gerade dreizehn Dollar bei mir. Ich könnte mir nicht mal ‘ne Hundehütte mieten.«

»Sie können bei mir übernachten, wenn Sie wollen.«

»Ja, und vielleicht lassen Sie mich gleich hier aussteigen.«

»Vergessen Sie’s, ich ziehe das Angebot zurück.«

»Außerdem, was würde Ihre Frau davon halten?« Sie blickte herausfordernd auf den Ehering an seinem Finger.

Der Blick schien anzudeuten, daß sie ihn für einen von den Kerlen hielt, die sich nachmittags in den Schulhöfen herumdrücken, wenn der Hausmeister gegangen ist.

»Meine Frau und ich leben getrennt.«

»Seit kurzem?«

»Ja. Seit dem ersten Dezember.«

»Und jetzt haben Sie all diese Komplexe, bei denen Sie Hufe gebrauchen könnten«, sagte sie. In ihrer Stimme lag Verachtung, aber es war ein altes Gefühl, das sich nicht speziell gegen ihn richtete. »Besonders die von einem jungen Küken.«

»Ich habe nicht die Absicht, jemanden aufs Kreuz zu legen«, erwiderte er wahrheitsgemäß. »Ich glaube nicht mal, daß ich ihn hochkriegen würde.« Ihm fiel auf, daß er zwei Ausdrücke gebraucht hatte, die er noch nie in Gegenwart einer Frau gesagt hatte, aber es schien ganz in Ordnung zu sein. Weder gut noch schlecht, einfach ganz in Ordnung.

Wie ein Gespräch über das Wetter.

»Soll das eine Herausforderung sein?« fragte sie und nahm einen tiefen Zug an ihrer Zigarette. Wieder vernebelte der Rauch die Scheibe.

»Nein«, antwortete er. »Es ist wohl eher eine Floskel, wenn Sie so wollen. Ich nehme an, daß ein Mädchen, das allein durch die Gegend trampt, ständig auf so was gefaßt ist.«

»Und jetzt kommt wohl Nummer drei«, sagte sie. Immer noch lag Feindseligkeit und Verachtung in ihrer Stimme, aber sie schien auch eine gewisse, müde Belustigung über ihn zu empfinden. »Wie kommt so ein nettes Mädchen wie Sie in einen Wagen wie diesen?«

»Ach, zum Teufel«, rief er. »Sie sind unmöglich.«

»Ja, das bin ich.« Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und rümpfte plötzlich die Nase. »Nun sehen Sie sich das an. Voller Bonbonpapier, Cellophan und was weiß ich noch alles. Warum besorgen Sie sich nicht eine Mülltüte?«

»Weil ich nicht rauche. Wenn Sie mich vorher angerufen und mit gesagt hätten, Bart, alter Junge, ich werde heute an der Autobahn stehen, du wirst mich doch sicher mitnehmen, oder? Und, übrigens, ich habe die Absicht zu rauchen, also leer vorher deinen Aschenbecher aus, klar? - dann hätte ich ihn sicher vorher geleert. Schmeißen Sie das Zeug doch einfach aus dem Fenster.«

Sie lächelte. »Sie haben einen netten Sinn für Humor.«

»Das liegt an meinem traurigen Leben.«

»Wissen Sie, wie lange es dauert, bis Zigarettenkippen biologisch abgebaut sind? Zweihundert Jahre. Bis dahin sind Ihre Enkelkinder schon tot.«

Er zuckte die Achseln. »Es macht Ihnen nichts aus, mir mit Ihren ausgeatmeten Krebserregern meine Lunge zu verderben, aber Sie wollen nicht einen einzigen Zigarettenfilter auf die Autobahn hinauswerfen. Mir soll’s recht sein.«

»Was soll das denn nun wieder heißen?«

»Nichts.«

»Hören Sie, wollen Sie, daß ich aussteige?«

»Nein«, sagte er. »Lassen Sie uns einfach über neutrale Themen reden. Den Stand des Dollars. Den Zustand der Union. Den Staat Arkansas.«

»Ich würde lieber ein bißchen schlafen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Sieht so aus, als ob ich die ganze Nacht auf den Beinen sein werde.«

»Auch gut.«

Sie zog sich die Mütze über die Augen, verschränkte die Arme und wurde ruhig. Nach einer Weile hörte er ihre langen, gleichmäßigen Atemzüge. Er warf ihr immer wieder einen kurzen Blick zu und versuchte, sich ein Bild von ihr zu machen. Sie hatte enge Blue Jeans an. Sie waren verblichen und sehr dünn. Sie schmiegten sich so dicht an ihre Beine, daß er sehen konnte, daß sie keine langen Unterhosen oder noch eine Jeans drunter trug. Ihre Beine, die sie im Augenblick bequem unter dem Armaturenbrett verstaut hatte, waren lang und mußten jetzt krebsrot sein und fürchterlich jucken. Er wollte sie schon fragen, ob ihre Beine juckten, machte sich dann aber klar, daß sich das im Moment etwas seltsam anhören würde. Bei der Vorstellung, daß sie sich die ganze Nacht an der Route 7 rumtreiben, ab und zu eine kurze Mit-fahrgelegenheit aufgabeln oder auch sitzenbleiben würde, fühlte er sich unwohl. Nacht, dünne Jeans, Temperaturen um minus zehn Grad. Na ja, das war ihre Sache. Wenn es ihr zu kalt wurde, konnte sie ja irgendwo hingehen und sich aufwärmen. Kein Problem.

Sie fuhren an den Ausfahrten 14 und 13 vorbei. Er hörte damit auf, sie immer wieder zu betrachten, und konzentrierte sich auf die Straße. Die Tachonadel blieb stur auf hundert, und er blieb stur immer auf der Überholspur. Des öfteren wurde er angehupt. Als sie an der Ausfahrt 12 vorbeikamen, hupte ein Kombiwagen mit einem ›FAHREN SIE IMMER 60‹-Aufkleber energisch und blinkte mit der Lichthupe. Er zeigte dem Fahrer den Mittelfinger.

Mit geschlossenen Augen sagte sie: »Sie fahren zu schnell. Deshalb hupen sie alle.«

»Ich weiß, warum sie das tun.«

»Und es ist Ihnen egal?«

»Ja.«

»Und wieder einer unserer besorgten Bürger, die ihren Teil dazu beitragen, Amerika aus der Energiekrise zu retten.«

»Ich scheiß’ auf die Energiekrise.«

»Ja, ja, das behaupten sie alle.«

»Ich bin auf der Autobahn immer achtzig gefahren. Nicht mehr und nicht weniger. Das war für meinen Wagen die beste Verbrauchsgeschwindigkeit. Aber jetzt protestiere ich gegen diese Hundedressurethik. Darüber haben Sie doch sicher in Ihren Soziologiekursen gehört. Oder liege ich da falsch? Ich gehe davon aus, daß Sie Studentin sind.«