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»Ich kann mir die Nummer von der Auskunft geben lassen, wenn ich sie brauche. Aber vielleicht ist es das beste, wenn ich es nicht tue.«

»Warum?«

»Ich weiß nicht. Ich mag dich, aber es kommt mir so vor, als hätte dich jemand mit einem rätselhaften Leiden geschlagen.

Ich kann das nicht weiter erklären. Ich habe das Gefühl, als würdest du bald etwas ganz Wahnsinniges tun.«

»Du hältst mich also für einen Spinner«, murmelte er.

»Scheiße.«

Sie wurde steif und stieg aus dem Wagen. Er beugte sich hinüber. »Olivia …«

»Vielleicht heiße ich gar nicht so.«

»Vielleicht aber doch. Bitte, ruf mich an.«

»Sei vorsichtig mit dem Zeug«, warnte sie ihn, auf das Aluminiumpäckchen zeigend. »Du spazierst ebenfalls frei im Weltraum herum.«

»Wiedersehen. Paß auf dich auf.«

»Aufpassen? Was ist das?« Wieder war das bittere Lächeln da. »Auf Wiedersehen, Mr. Dawes. Und vielen Dank. Sie sind verdammt gut im Bett, darf ich Ihnen das sagen? Es stimmt. Auf Wiedersehen.«

Sie knallte die Tür zu, überquerte die Route 7 und stellte sich am Fuß der Auffahrtsrampe auf. Er beobachtete, wie sie ein paar vorbeikommenden Wagen den Daumen entgegen-streckte. Keiner hielt. Dann war die Straße frei, und er kehrte den Wagen in einem großen Bogen. Als er wieder an ihr vorbeifuhr, hupte er noch mal kurz. Im Rückspiegel sah er ihre immer kleiner werdende Gestalt, die ihm nachwinkte.

Dumme Pute, lachte er. Total eingebildet und voll der seltsamsten Vorurteile in dieser Welt. Doch als er die Hand ausstreckte, um das Radio einzuschalten, merkte er, wie sie zitterte.

Er fuhr durch die Stadt zurück und wieder auf die Staatsautobahn, auf der er gut zweihundert Kilometer mit Tempo hundert dahinraste. Einmal hätte er das kleine Aluminiumpäckchen fast aus dem Fenster geworfen. Ein anderes Mal war er versucht, sich das Zeug in den Mund zu stecken. Schließlich ließ er es einfach in seine Manteltasche gleiten.

Als er nach Hause kam, war er müde und leer, er empfand keine Gefühle mehr für sie. Der Ausbau der 784 war diesen Tag zügig vorangegangen. In einer Woche war die Wäscherei dran. Sie hatten schon alle schweren Maschinen rausgeräumt. Tom Granger hatte es ihm bei einem seltsam gespreizten Telefongespräch vor drei Abenden erzählt. Er wollte rausfahren und den ganzen Tag dabei zusehen, wie sie sie einrissen. Er würde sich sogar ein Picknick mitnehmen.

Von Marys Bruder in Jacksonville war ein Brief gekommen. Dann wußte er also noch nichts von ihrer Trennung.

Er legte ihn zerstreut auf den Stapel mit der anderen Post für Mary; er vergaß immer wieder, sie ihr nachzusenden.

Er schob sich ein TV-Dinner in den Herd und überlegte, ob er sich einen Drink machen sollte. Dann beschloß er, das heute abend nicht zu tun. Er wollte lieber an die sexuelle Begegnung mit dem Mädchen denken, sie noch einmal ausko-sten, die verschiedenen Nuancen erforschen. Wenn er sich dabei betrank, würde das Erlebnis die unnatürlichen, übertriebenen Farben eines Sexfilmes annehmen, und er wollte nicht in dieser Weise an sie denken.

Aber die Erinnerung wollte nicht kommen, jedenfalls nicht so, wie er sich das vorstellte. Er konnte das Gefühl ihrer festen Brüste nicht mehr empfinden, und auch der delikate Geschmack ihrer Brustwarzen fiel ihm nicht mehr ein.

Er wußte nur noch, daß der eigentliche Akt des Geschlechtsverkehrs mit ihr schöner gewesen war als mit Mary. Olivias Scheide hatte ihn enger umfaßt, und einmal war er mit einem hörbaren Geräusch herausgerutscht, wie der Korken aus dem Hals einer Champagnerflasche. Er konnte aber nicht mehr genau sagen, was denn nun eigentlich schöner gewesen war. Statt sich hineinzufühlen, hatte er plötzlich das Bedürfnis, sich selbst zu befriedigen. Der Wunsch ekelte ihn an. Schlimmer noch, sein Ekel stieß ihn ab. Schließlich war sie keine Heilige, versicherte er sich, als er sich mit dem Essen vor den Fernseher setzte. Sie war nichts weiter als eine Tramperin unterwegs. Noch dazu nach Las Vegas. Er spürte in sich den Wunsch, den ganzen Vorfall durch Magliores zynische Augen sehen zu können, und das ekelte ihn am meisten.

Später am Abend betrank er sich doch, trotz seiner guten Vorsätze, und gegen zehn Uhr quälte ihn wieder der vertraute, sentimentale Drang, Mary anzurufen. Statt dessen masturbierte er vor dem Fernseher und kam in dem Augenblick, als ein Ansager dem Publikum klarmachte, daß Anacin mit Abstand das beste und stärkste Schmerzmittel von allen sei.

8. Dezember 1973

Am Samstag fuhr er nicht auf die Autobahn hinaus. Statt dessen wanderte er ziellos im Haus herum und schob alles vor sich her, was eigentlich dringend erledigt werden mußte. Schließlich rief er bei seinen Schwiegereltern an.

Lester und Jean Calloway, Marys Eltern, gingen beide auf die Siebzig zu. Ein paar seiner früheren Anrufe hatte Jean (Charlie nannte sie immer ›Mamma Jean‹) beantwortet, und ihre Stimme war jedesmal zu Eis gefroren, wenn sie festgestellt hatte, daß er am anderen Ende war. Für sie und zweifellos auch für Lester war er so etwas wie ein wildes Tier, das plötzlich durchgedreht war und ihre Tochter gebissen hatte. Und jetzt rief dieses Tier immer wieder bei ihnen an, heulte ihnen betrunken etwas vor und wollte ihr kleines Mädchen zurück, damit es sie wieder beißen konnte.

Doch diesmal war Mary selbst am Telefon: »Hallo?«, und er war so erleichtert, daß er mit normaler Stimme sagen konnte:

»Mary? Ich bin’s.«

»Oh, Bart. Wie geht es dir?« Ihre Stimme verriet ihm nichts.

»Einigermaßen.«

»Und? Reichen deine Southern-Comfort-Vorräte noch aus?«

»Mary, ich bin nicht betrunken.«

»Und, bist du da besonders stolz darauf?« Ihre Stimme war kalt, und das gab ihm einen Stich. In ihren Augen stand er denkbar schlecht da. Konnte ihm ein Mensch, den er so lange gekannt hatte und von dem er geglaubt hatte, ihn wirklich gut zu kennen, so schnell entgleiten?«

»Ich glaube, so ist es«, antwortete er gedehnt.

»Ich habe gehört, daß die Wäscherei schließen mußte«, sagte sie.

»Wahrscheinlich nur vorübergehend«, wandte er ein. Er hatte plötzlich das unangenehme Gefühl, als würde er sich mit einer Fremden in einem Fahrstuhl unterhalten, die seine Konversation ausgesprochen langweilig fand.

»Das ist aber nicht das, was Tom Grangers Frau mir erzählt hat.« Endlich, der Vorwurf. Vorwürfe waren besser als gar nichts.

»Für Tom ist das überhaupt kein Problem. Die Konkurrenz ist schon seit Jahren hinter ihm her. Die Brite-Kleen-Leute.«

Er glaubte, sie seufzen zu hören. »Warum hast du mich angerufen, Bart?«

»Ich finde, daß wir uns mal sehen sollten«, antwortete er vorsichtig. »Wir müssen endlich mal darüber sprechen, Mary.«

»Du meinst, über die Scheidung?« fragte sie. Ihre Stimme klang zwar ruhig, aber er vermeinte nun bei ihr einen Anflug von Panik zu hören.

»Willst du denn eine?«

»Ich weiß nicht, was ich will.« Ihre Ruhe war verschwunden, und sie klang plötzlich verärgert und ängstlich. »Ich hatte gedacht, alles wäre in Ordnung. Ich war glücklich, und ich dachte, du wärst es auch. Und dann, auf einmal, war alles verändert.«

»Du hast gedacht, alles wäre in Ordnung?« wiederholte er aufgebracht. Plötzlich war er wütend auf sie. »Dann mußt du ziemlich blöd gewesen sein. Hast du etwa geglaubt, ich schmeiße meine Arbeit einfach aus Spaß hin wie ein Highschool-Junge, der eine Stinkbombe in die Schultoilette wirft?«

»Aber was war es dann, Bart? Was ist geschehen?«

Seine Wut fiel in sich zusammen wie ein schmutziger Schneehaufen im Frühling, und er entdeckte, daß sich darunter Tränen verbargen. Er kämpfte grimmig dagegen an und fühlte sich irgendwie betrogen. So etwas durfte nicht passieren, wenn er nüchtern war. Wenn man nüchtern war, sollte man, verdammt noch mal, in der Lage sein, sich zu beherrschen. Aber da stand er nun und hatte den einzigen Wunsch, ihr sein ganzes Leid zu klagen und sich in ihrem Schoß auszuheulen wie ein kleines Kind mit einem kaputten Rollschuh und einem aufgeschlagenen Knie. Er konnte ihr nicht sagen, was schiefgelaufen war, denn er wußte es ja selbst nicht, und ohne Grund zu heulen erweckte den Eindruck, daß er reif fürs Irrenhaus sei.