»Ich weiß es nicht«, antwortete er schließlich.
»War es Charlie?«
Hilflos erwiderte er: »Wenn das ein Teil davon war, wie konntest du dann nur so blind für den Rest sein?«
»Ich vermisse ihn auch, Bart. Immer noch. Jeden Tag.«
Wieder empfand er Auflehnung. Dann hast du aber eine komische Art, es zu zeigen.
»So hat es keinen Sinn«, sagte er endlich. Die Tränen ran-nen ihm die Wange hinunter, aber er versuchte krampfhaft, sich nichts anmerken zu lassen. Meine Herren, ich glaube, wir haben die Sache im Griff, dachte er und hätte fast darüber gelacht. »Nicht am Telefon. Ich wollte dir vorschlagen, daß wir uns am Montag zum Lunch treffen. Bei Handy Andy’s!«
»Gut. Um welche Zeit?«
»Ist mir egal. Ich kann mir von der Arbeit freinehmen.« Der Witz verpuffte wirkungslos.
»Um eins?« schlug sie vor.
»Gut. Ich besorg’ uns einen Tisch.«
»Laß lieber einen reservieren. Du brauchst nicht schon um elf dazusein und dich zu betrinken.«
»Das werde ich nicht«, entgegnete er demütig, aber wahrscheinlich würde er gerade das tun.
Eine Pause entstand. Offenbar gab es nichts mehr zu sagen. Im Rauschen des Äthers unterhielten sich geisterhafte Stimmen über geisterhafte Dinge. Und dann sagte sie etwas, das ihn vollkommen überraschte.
»Bart, du solltest zu einem Psychiater gehen.«
»Zu einem, was?«
»Psychiater. Ich weiß, es klingt komisch, wenn ich dich einfach so damit überfalle, aber ich möchte dir sagen, daß ich nicht zu dir zurückkommen werde, egal, was wir beschlie-
ßen, wenn du nicht bereit bist, einen aufzusuchen.«
»Wiedersehen Mary«, sagte er langsam. »Bis Montag.«
»Bart. Du brauchst Hilfe, die ich dir nicht geben kann.«
Darauf bedacht, ihr das Messer so schmerzhaft in die Brust zu stechen, wie es über zwei Meilen Entfernung möglich war, sagte er: »Das wußte ich sowieso schon, Mary. Auf Wiedersehen.«
Er legte auf, bevor er ihre Reaktion hören konnte, und er freute sich. Spiel, Satz, Sieg. Er warf einen Plastikbecher durch die Küche und bedauerte es, nichts Zerbrechliches erwischt zu haben. Er öffnete den Küchenschrank und schmiß die beiden ersten Gläser, die er zu fassen kriegte, auf den Boden. Sie zerbrachen.
Baby, du verdammtes, beschissenes Baby! schrie er sich selbst an. Du Narr! Halt doch einfach die Luft an und warte, bis du endlich BLAU bist!
Er schlug mit der Faust gegen die Wand, um die schreiende Stimme abzutöten, und schrie dann erst recht vor Schmerzen auf. Er hielt sich die verletzte Rechte mit der linken Hand und stand zitternd in der Küche. Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, nahm er eine Schaufel und einen Besen und kehrte die Scherben zusammen. Er fühlte sich ängstlich, seiner selbst überdrüssig und verkatert.
9. Dezember 1973
Er bog auf die Autobahn ein, fuhr hundertfünfzig Meilen und kehrte wieder um. Er wagte es nicht weiterzufahren.
Heute war der erste autofreie Sonntag, und alle Autobahntankstellen waren geschlossen. Und er hatte keine Lust zu laufen. Siehst du? sagte er sich. Auf diese Art kriegen sie auch so kleine Scheißer wie dich zu fassen, Georgie.
Fred? Bist du das wirklich? Was verschafft mir die Ehre deines Besuches, Freddy?
Ach, laß mich in Ruhe.
Auf dem Heimweg hörte er die Nachrichten im Radio:
›Sie machen sich also auch Sorgen wegen des Benzinmangels und Sie wollen sichergehen, daß Sie und Ihre Familie in diesem Winter nicht zu kurz kommen. Und jetzt sind Sie also auf dem Weg zu der nächsten Tankstelle in Ihrer Nachbarschaft und wollen sich Ihr Dutzend Zwanzigliterkanister auffüllen lassen. Wenn Sie sich wirklich Sorgen um Ihre Familie machen, dann kehren Sie lieber gleich wieder um und fahren Sie nach Hause zurück. Denn die unsachgemäße Lagerung von Benzin ist gefährlich. Sie ist außerdem illegal, aber das ist im Augenblick nicht so wichtig. Aber denken Sie daran: Wenn Benzindunst an die Luft kommt und sich mit ihr vermischt, wird er explosiv. Ein Zwanzigliterkanister Benzin hat die Explosionskraft von zwölf Stäben Dynamit. Denken Sie mal darüber nach, bevor sie die Kanister auffüllen lassen. Und denken Sie auch an Ihre Familie. Sie sehen also, wir wollen, daß Sie überleben.
Dies war eine Durchsage der WLDM. Die Musikfirma möchte Sie daran erinnern, die Benzinaufbewahrung denen zu überlassen, die etwas davon verstehen und die die richtige Ausrüstung dafür haben.‹
Er stellte das Radio ab, bremste den Wagen auf 60 Stundenkilometer ab und ordnete sich in die rechte Spur ein. »Zwölf Stäbe Dynamit«, sagte er. »Mann, das ist ja erstaunlich.«
Wenn er jetzt in den Rückspiegel geblickt hätte, hätte er gesehen, daß er grinste.
10. Dezember 1973
Er kam um kurz nach halb zwölf zu Handy Andy’s, und der Oberkellner gab ihm einen Tisch neben den wie Fledermaus-flügel gestalteten Schwingtüren, die zum Hinterzimmer führten. Es war kein besonders guter Tisch, aber einer der wenigen, die noch frei waren. Das Restaurant war um diese Zeit ziemlich voll. Handy Andy’s hatte sich auf Steaks, Koteletts und Andyburger spezialisiert, eine Art Hamburger, der mit einem ›Chefsalat‹ garniert zwischen zwei Sesambrötchenhälften steckte, die von einem Zahnstocher zusammengehalten wurden. Wie alle großen Restaurants im Geschäftsviertel der Stadt hatte auch dieses seine bestimmten ›In‹- und ›Out‹-Zeiten, die in undefinierbaren Zyklen wechselten. Er hätte vor zwei Monaten um die Mittagszeit hier aufkreuzen und sich den Tisch nach seinem Geschmack wählen können, und in zwei Monaten könnte es wieder genauso sein. Für ihn war es eins der kleineren Geheimnisse des Lebens wie die Ereignisse in den Büchern von Charles Fort oder wie der Instinkt der Schwalben, der sie immer wieder nach Capistrano zurückfliegen ließ.
Der Kellner stand sofort neben ihm. »Einen Drink, Sir?«
»Ja bitte, einen Scotch on the Rocks.«
»Sehr wohl, Sir.«
Er blieb bis zwölf beim ersten Drink, trank bis halb eins noch zwei weitere und bestellte sich dann aus reiner Sturheit einen Doppelten. Er war gerade beim letzten Tropfen angekommen, als er Mary entdeckte. Sie blieb im Windfang vor der Glastür zum Restaurant stehen und sah sich suchend nach ihm um. Einige Köpfe drehten sich nach ihr um, und er dachte: Mary, du solltest mir eigentlich dankbar sein - du bist wunderschön. Er hob die rechte Hand und winkte ihr zu.
Sie winkte zurück und kam an seinen Tisch, Sie hatte ein knielanges, graugemustertes Wollkleid an, und ihr Haar war zu einem Zopf geflochten, der ihr bis auf die Schulter reichte.
Er hatte diese Frisur noch nie bei ihr gesehen (was wohl auch der Grund war, warum sie ihn heute trug). Sie wirkte viel jünger, und plötzlich durchzuckte ihn der Gedanke an Olivia, mit der er in dem Bett geschlafen hatte, das er so lange mit Mary geteilt hatte.
»Hallo, Bart«, begrüßte sie ihn.
»Hallo. Du siehst fantastisch aus.«
»Danke.«
»Möchtest du einen Drink?«
»Nein … nur einen Andyburger. Wie lange bist du schon hier?«
»Oh, nicht allzulange.«
Die meisten Mittagsgäste waren inzwischen gegangen, und so kam der Kellner sofort zu ihnen. »Möchten Sie jetzt bestellen, Sir?«