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Er lief hinter Vinnie her. Etwas an seinem Gesichtsausdruck hatte ihm verraten, daß er doch zu ihm durchgedrun-gen war, trotz seiner abweisenden Haltung. Lieber Gott, bitte, laß ihn mich anhören.

»Laß mich in Ruhe, Bart. Hau ab!«

»Gib den Job auf«, wiederholte er. »Wenn du bis zum nächsten Sommer wartest, könnte es schon zu spät sein. Der Arbeitsmarkt wird so eng wie ein Keuschheitsgürtel werden, wenn das mit der Energiekrise so weitergeht, Vinnie. Es könnte deine letzte Chance sein. Es …«

Vinnie fuhr herum. »Ich sage es dir zum letzten Mal, Bart!«

»Du spülst deine wertvolle Zukunft im Klo hinunter, Vinnie. Dazu ist das Leben zu kurz. Was wirst du deiner Tochter sagen, wenn du …«

Vinnie schlug ihn direkt aufs Auge. Ein greller Schmerz durchzuckte ihn, und er stolperte mit rudernden Armen zurück. Die Kinder, die dem Weihnachtsmann gefolgt waren, fielen über die Spielsachen, die er gekauft hatte - Puppen, GI Joe, Schachspiel - und die jetzt in hohem Bogen durch die Luft flogen. Er fiel in ein Regal mit Spieltelefonen, die sich über den Boden verstreuten. Ein kleines Mädchen schrie auf wie ein verwundetes Tier, und er dachte: Weine nicht, meine Kleine, es ist nur der alte George, der fällt auch zu Hause öfter mal um. Jemand anderer, vielleicht der liebe, gute Weihnachtsmann, fluchte und rief nach dem Hausdetektiv. Dann lag er auf dem Boden inmitten von Plastikgehäusen, Telefondrähten, herausgefallenen Batterien und losen Hörern. Aus einem sagte eine Stimme wieder und wieder in sein Ohr: Möchtest du mit mir in den Zirkus gehen? Möchtest du mit mir in den Zirkus gehen? Möchtest du …‹

17. Dezember 1973

Das Schrillen des Telefons riß ihn aus einem unruhigen Mittagsschlaf. Er hatte geträumt, daß ein junger Wissenschaftler die Möglichkeit entdeckt hätte, durch eine Änderung der chemischen Zusammensetzung von Erdnüssen unbegrenzte Mengen von umweltfreundlichem Benzin zu erzeugen. Das schien sämtliche Probleme zu lösen, die nationalen wie die persönlichen, und der Traum hatte ihn in eine Stimmung von aufkeimender Freude versetzt. Das Telefon hatte allmählich einen Kontrapunkt dazu gebildet, der ihm immer mehr ins Bewußtsein gedrungen war, bis der Traum sich schließlich aufgejöst und der unwillkommenen Realität Platz gemacht hatte.

Er rappelte sich von der Couch auf, schlurfte zum Apparat hinüber und nahm den Hörer ab. Sein Auge tat nicht mehr weh, aber im Spiegel konnte er immer noch das Veilchen erkennen.

»Hallo?«

»Hallo Bart, hier ist Tom.«

»Oh, Tom. Wie geht es dir?«

»Ganz gut. Hör mal, Bart, ich dachte, du würdest es gern wissen. Sie reißen morgen das Blue Ribbon ab.«

Er riß die Augen weit auf. »Morgen? Das kann doch nicht sein. Sie … Himmel, es ist doch bald Weihnachten.«

»Gerade darum.«

»Aber sie sind doch noch gar nicht soweit.«

»Es ist das letzte Geschäftsgebäude, das ihnen noch im Weg steht. Sie wollen es noch wegräumen, bevor sie in die Weihnachtsferien gehen.«

»Bist du sicher?«

»Ja, sie habe es heute morgen in den lokalen Nachrichten gebracht.«

»Wirst du dir das ansehen?«

»Sicher. Ich hab’ zu viele Jahre meines Lebens in den alten Mauern verbracht, um mir das entgehen zu lassen.«

»Dann sehe ich dich wohl morgen.«

»Das nehme ich an.«

Er zögerte einen Augenblick. »Hör mal, Tom, ich möchte mich bei dir entschuldigen. Ich glaube nicht, daß sie das Blue Ribbon wieder aufmachen werden, weder in Waterford noch sonstwo. Wenn ich dein Leben völlig durcheinandergewor-fen habe …«

»Nein, nein, mir geht es gut. Ich bin jetzt Techniker bei den Brite-Kleen-Leuten. Kürzere Arbeitszeit, bessere Bezahlung. Ich hab’ wohl die Rose auf dem Misthaufen gefunden.«

»Wie ist es da?«

Tom seufzte durch die Leitung. »Nicht sehr schön. Aber ich bin schon über fünfzig, da ist es schwierig, sich umzugewöhnen. In Waterford wäre es wohl dasselbe gewesen.«

»Tom, was ich getan habe …«

»Ich will nichts davon hören, Bart. Das ist eine Sache zwischen dir und Mary und geht mich nichts an.«

»In Ordnung.«

»Eh … kommst du zurecht?«

»Klar. Ich hab’ da so einiges in Aussicht.«

»Freut mich zu hören.« Tom schwieg, bis die Stille belastend wurde, und er wollte ihm schon für den Anruf danken und auflegen, als Tom plötzlich weitersprach: »Steve Ordner hat mich deinetwegen angerufen. Direkt hier bei mir zu Hause.«

»Oh, tatsächlich? Wann?«

»Letzte Woche. Er ist verdammt sauer auf dich, Bart. Er hat immer wieder gefragt, ob einer von uns etwas davon gewußt hat, daß du das Waterford-Geschäft platzen lassen wolltest.

Aber das war nicht alles. Er wollte alles mögliche wissen.«

»Was denn zum Beispiel?«

»Ob du mal was aus dem Geschäft mit nach Hause genommen hättest, Büromaterial oder was weiß ich. Ob du jemals Geld aus der Kasse genommen hast, ohne einen Beleg hin-einzutun, oder ob du deine Privatwäsche auf Geschäftskosten gewaschen hast. Er hat mich sogar gefragt, ob du mit einigen Motels vielleicht Extra vertrage gehabt hast.«

»Dieser Hurensohn«, sagte er nachdenklich.

»Wie ich schon sagte, dieser Mistkerl sucht nach einem dicken Kolben, mit dem er dir das Maul stopfen kann, Bart.

Ich glaube, er hofft, dir was Kriminelles anhängen zu können, um dich dranzukriegen.«

»Das wird ihm nicht gelingen. Es bleibt alles in der Familie. Und die ist auseinandergebrochen.«

»Sie ist schon vor langer Zeit kaputtgegangen«, sagte Tom gelassen. »Als Ray Tarkington gestorben ist. Ich kenne sonst niemanden, der sauer auf dich ist, außer eben Ordner. Diese Kerle in der Verwaltung … für die zählen nur Dollars und Cents. Sie haben keinen blassen Schimmer vom Wäschereigeschäft, und sie wollen auch gar nichts davon wissen.«

Darauf fiel ihm nichts zu sagen ein.

»Also …« Tom seufzte. »Ich dachte, das solltest du wissen. Sag mal, hast du das von Johnny Walkers Bruder gehört?«

»Arnie? Nein, was ist mit ihm?«

»Er hat sich umgebracht.«

»Was?«

Tom machte ein Geräusch, als würde er Luft durch seine Vorderzähne saugen. »Er hat einen Schlauch vom Auspuffrohr durch das Fenster seines Wagens geführt und alles dichtgemacht. Der Zeitungsjunge hat ihn gefunden.«

»Heiliger Jesus«, flüsterte er und dachte an Arnie, wie er auf dem Krankenhausstuhl gekauert und gezittert hatte.

»Das ist ja schrecklich.«

»Ja …« Tom machte wieder dieses saugende Geräusch.

»Wir sehen uns dann morgen, Bart.«

»Klar. Danke, daß du angerufen hast.«

»Bitte, bitte. Wiedersehen.«

Er legte langsam den Hörer auf und dachte immer noch an Arnie und an das hohe, wimmernde Weinen, in das Arnie ausgebrochen war, als er den Priester gesehen hatte.

Jesus, er hat seine Hostien dabei, haben Sie das gesehen?

»Das ist eine Schande«, sagte er ins leere Wohnzimmer, und die Worte hallten tot von den Wänden zurück. Dann ging er in die Küche und mixte sich einen Drink.

Selbstmord.

Das Wort hatte einen zischenden, bedrängenden Klang wie eine Schlange, die sich durch einen engen Spalt windet.

Es schlüpfte wie ein entfliehender Sträfling zwischen der Zunge und dem Gaumen hervor.

Selbstmord.

Seine Hand zitterte, als er den Southern Comfort ins Glas schüttete, und der Flaschenhals klapperte gegen den Glasrand. Warum hat er das getan, Freddy? Sie waren doch nur zwei alte Kumpel, die eine gemeinsame Wohnung hatten. Jesus Christus, warum tut jemand so was?

Aber er glaubte, daß er den Grund kannte.