geln würde, und er mußte über eine Menge Dinge nachdenken. Ganze Bände von Dingen.
Außerdem war er sicher, daß die Leute ihn insgeheim beobachteten. Mary mußte die Nachricht verbreitet haben. Ich mache mir Sorgen. Bart hat Meskalin geschluckt. Sie wanderte jetzt von Gruppe zu Gruppe. Sie würden weiter so tun, als ob sie tanzten, tränken oder sich miteinander unterhielten, aber in Wirklichkeit beobachteten sie ihn heimlich und tuschelten hinter vorgehaltenen Händen. Er konnte es sehen. Es war krrrristallklar.
Ein Mann mit einem riesigen Drink kam mit leicht schwankenden Schritten an ihm vorbei. Er packte ihn an seiner Sportjacke und fragte mit heiserer Stimme: »He, was reden die da über mich?«
Der Mann lächelte betrunken und blies ihm seine warme Scotchfahne ins Gesicht. »Ich werd’s Ihnen aufschreiben«, sagte er und ging weiter.
Endlich fand er Walters Bibliothek (er hatte keine Ahnung, wie lange das gedauert hatte), und als er die Tür hinter sich schloß, wurde der Lärm abgeschnitten. Gesegnete Ruhe. Er bekam große Angst. Der Trip hatte seinen Höhepunkt noch nicht erreicht; die Eindrücke wurden immer stärker. Er schien das Wohnzimmer im Laufe eines Lidschlages durchquert zu haben; nur einen weiteren Augenaufschlag hatte es gedauert, das Schlafzimmer zu untersuchen, in dem die Mäntel abgelegt waren; mit dem dritten Augenaufschlag war er durch den Flur gewandert. Die normale Kette der Ereignisse, wie man sie im Wachsein erlebt, war durchgeschnitten, und die Perlen der Realität waren in alle Richtungen verstreut. Es gab keine Kontinuität mehr, und sein Zeitgefühl war völlig zerstört. Wenn er nun niemals runterkam? Wenn es ewig so bleiben würde? Vielleicht sollte er sich auf dem Sofa zusammenrollen und den Trip ausschlafen, aber er war nicht sicher, ob er das könnte. Und wenn er es tat, Gott weiß, was für Träume er dann haben würde. Die leichtherzige, spontane Art, mit der er die Pille geschluckt hatte, stieß ihn jetzt ab. Dies war ganz anders als betrunken zu sein. Es gab keinen letzten nüchternen Zufluchtsort mehr, keinen inneren Kern in seiner Mitte, der niemals betrunken wurde. Er war durch und durch verrückt.
Aber hier drinnen war es besser. Vielleicht konnte er hier von selbst wieder die Kontrolle über sich gewinnen. Und wenn er ausflippen sollte, würde er wenigstens nicht …
»Guten Abend.«
Er zuckte vor Schreck zusammen und sah sich suchend um. Ein Mann saß in einem Ohrensessel neben Walters Bücherregal und hatte ein aufgeschlagenes Buch auf dem Schoß liegen. War das eigentlich ein Mann? Es gab nur eine Lichtquelle im Raum, eine kleine Lampe auf dem runden Tisch links von der Gestalt. Sie warf lange Schatten auf sein Gesicht, so daß ihre Züge sardonisch und bösartig wirkten. Einen Augenblick lang glaubte er, hier in Walters Bibliothek über den Satan persönlich gestolpert zu sein. Die Gestalt stand auf, und er sah, daß es sich wirklich nur um einen Mann handelte. Er war hochgewachsen, vielleicht sechzig Jahre alt, hatte blaue Augen, und seine Nase sah so aus, als hätte er mehrere Kämpfe mit der Flasche verloren. Aber er hielt keinen Drink in der Hand, und er konnte auch sonst nirgends einen entdecken.
»Noch ein unruhiger Wanderer, wie ich sehe«, sagte der Mann und streckte seine Hand aus. »Phil Drake.«
»Barton Dawes«, antwortete er, vor Angst immer noch ganz verwirrt. Sie schüttelten sich die Hand. Drakes Hand war wie verknotet und hatte eine dicke Narbe - eine Brandwunde vielleicht? Aber es war nicht unangenehm, sie anzufassen. Drake. Der Name kam ihm bekannt vor, aber er konnte sich nicht erinnern, wo er ihn schon mal gehört hatte.
»Geht es Ihnen gut?« fragte Drake besorgt. »Sie sehen ein bißchen …«
»Ich bin high«, sagte er schlicht. »Ich habe Meskalin genommen, und jetzt bin ich verdammt high.« Er betrachtete die Bücherregale, und sie schienen immer näher zu kommen und dann wieder zu verschwinden. Das gefiel ihm gar nicht.
Es erinnerte ihn an ein riesiges, schlagendes Herz. Er hatte keine Lust mehr, die Dinge so zu sehen.
»Ich verstehe«, sagte Drake. »Setzen Sie sich, und erzählen Sie mir davon.«
Er sah Drake erstaunt an und spürte plötzlich eine ungeheure Erleichterung. Er setzte sich. »Kennen Sie sich mit Meskalin aus?« fragte er.
»Oh, ein bißchen. Ich habe ein kleines Kaffeehaus in der Stadt. Die Kinder wandern bei mir ein und aus … die meisten davon sind rauschgiftsüchtig … ist es ein guter Trip?« erkundigte er sich höflich.
»Gut und schlecht«, antwortete er. »Er ist … heavy. Ich finde, das ist ein gutes Wort dafür.«
»Ja, das stimmt.«
»Ich hab’ ein wenig Schiß bekommen«, gestand er und blcke zum Fenster hinaus, wo er eine hell erleuchtete Autobahn entdeckte, die quer über den düsteren Nachthimmel verlief. Er sah wieder zur Seite, als ob nichts wäre, mußte sich aber doch kurz über die Lippen lecken. »Sagen Sie mir … wie lange dauert so ein Trip normalerweise?«
»Wann haben Sie sie eingeworfen?«
»Eingeworfen?« Das Wort fiel ihm in einzelnen Buchstaben aus dem Mund, landete auf dem Teppich und löste sich dort auf.
»Ich meine, wann haben Sie das Zeug eingenommen?«
»Oh … so gegen halb neun.«
»Jetzt ist es …« Er blickte auf seine Uhr. »Es ist Viertel vor zehn.«
»Was? Erst Viertel vor zehn? So früh?«
Drake lächelte. »Das Zeitgefühl wird zu Gummi, nicht wahr? Ich nehme an, daß Sie gegen halb zwei ziemlich down sein werden.«
»Wirklich?«
»Ja, das ist zu erwarten. Im Augenblick sind Sie auf dem Höhepunkt. Ist es ein visueller Trip?«
»Ja. Ein bißchen zu visuell.«
»Es gibt mehr Dinge zu sehen, als das menschliche Auge eigentlich wahrnehmen sollte«, bemerkte Drake und schenkte ihm ein seltsam verzerrtes Lächern.
»Ja, so ist es. Genau so ist es.« Seine Erleichterung, mit diesem Mann zusammenzusein, wurde immer größer. Er fühlte sich geborgen. »Was tun Sie sonst noch, außer sich mit Männern im mittleren Alter zu unterhalten, die ins Mauseloch gefallen sind?«
Drake lachte. »Das ist sehr gut. Leute, die Meskalin oder LSD genommen haben, können sich normalerweise nicht mehr artikulieren. Meistens stammeln sie unzusammenhängendes Zeug. Ich verbringe fast alle meine Abende in der Telefonseelsorge. An den Wochentagen arbeite ich nachmittags im Kaffeehaus, das ich vorhin erwähnt habe, es heißt Drap Down Mamma. Die Kundschaft besteht hauptsächlich aus Straßenfreaks und Arbeitslosen. Morgens spaziere ich durch die Straßen und unterhalte mich mit meinen Gemeindemitgliedern, wenn sie schon auf sind. Und zwischendurch arbeite ich im Gefängnis.«
»Sind Sie ein Pfarrer?«
»Sie nennen mich einen Straßenpriester. Sehr romantisch.
Malcolm Boyd, nimm dich in acht. Ich bin wirklich mal Priester gewesen.«
»Und jetzt nicht mehr?«
»Ich habe den Schoß der Mutter Kirche verlassen«, sagte er leise. Aber die Worte hatten einen grausamen, unwiderruflichen Klang. Es war, als könnte er die Eisentüren hören, die sich für immer hinter diesem Mann geschlossen hatten.
»Warum haben Sie das getan?«
Drake zuckte die Achseln. »Das tut nichts zur Sache. Was ist mit Ihnen? Wie sind Sie an das Meskalin herangekommen?«
»Ich hab’s von einem Mädchen, das nach Las Vegas getrampt ist. Ich fand sie ganz nett. Sie hat mich zu Weihnachten angerufen.«