»Ja, ich habe eine Frage«, sagte er, ohne zu lächeln.
Die fröhliche Miene seines Besuchers verschwand für einen Augenblick, und er sah den echten Fenner, der hinter dieser Fassade lauerte, ein kalter, mechanischer Rechner wie eine Pulsar-Uhr. »Was für eine Frage, Mr. Dawes?«
Er lächelte. »Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
Und da war er wieder, der leutselige, fröhliche Stadtbote.
»Oh, das wäre sehr nett. Draußen ist es doch ein bißchen kalt, nur um die zehn Grad. Ich finde, die Winter werden immer kälter, meinen Sie nicht auch, Mr. Dawes?«
»Da haben Sie recht.« Das Wasser war noch heiß vom Frühstück. »Ich hoffe, Sie haben nichts gegen Pulverkaffee.
Meine Frau ist für eine Weile zu ihrer Familie gefahren, und deshalb muß ich mich selbst um alles kümmern!«
Fenner lachte gutmütig, und er stellte fest, daß dieser Mann genau über die Situation zwischen ihm und Mary un-terrichtet war. Vermutlich kannte er sich auch genau in seinen Beziehungen zu anderen Personen oder Institutionen aus: Steve Ordner, Vinnie Mason, die Gesellschaft, Gott.
»Nein, nein, Pulverkaffee ist sehr gut. Ich trinke ihn immer. Ehrlich gesagt, ich kann da keinen großen Unterschied feststellen. Darf ich hier ein paar Papiere auf dem Tisch ausbreiten?«
»Nur zu. Nehmen Sie Sahne?«
»Nein, ich trinke ihn schwarz. Schwarz schmeckt er am besten.« Er knöpfte seinen Mantel auf, zog ihn aber nicht aus. Er strich ihn nur unter sich glatt, als er sich hinsetzte, so wie eine Frau ihren Rock glättet, damit er keine Falten bekommt. Bei einem Mann wirkte diese Geste ausgesprochen pingelig. Er öffnete die Aktentasche und zog ein gelochtes Formular daraus hervor, das wie eine Steuererklärung aussah. Er goß Fenner eine Tasse Kaffee ein und reichte sie ihm.
»Danke. Vielen Dank. Trinken Sie keinen?«
»Ich glaube, ich hole mir lieber einen Drink«, antwortete er.
»Aha«, sagte Fenner und lächelte gewinnend. Dann nippte er an seinem Kaffee. »Gut. Sehr gut. Genau das Richtige.«
Er mixte sich einen großen Drink und fragte Fenner:
»Würden Sie mich bitte einen Augenblick entschuldigen? Ich muß jemanden anrufen.«
»Aber natürlich, selbstverständlich.« Er trank einen weiteren Schluck Kaffee und schmatzte mit den Lippen.
Er ging zum Telefon im Flur und ließ die Tür offen. Er wählte die Nummer der Calloways, und Jean nahm den Hörer ab.
»Hier ist Bart«, sagte er. »Kann ich mit Mary sprechen, Jean?«
»Sie schläft.« Jeans Stimme war eisig.
»Dann weck sie bitte auf. Es ist sehr wichtig.«
»Das wette ich. Ich wette, daß es wichtig ist. Ich hab’ neulich mit Lester darüber gesprochen. Es wird Zeit, daß wir uns eine geheime Telefonnummer besorgen, hab’ ich zu ihm gesagt, und er war damit einverstanden. Wir finden beide, daß du völlig verrückt geworden bist, Bart, und das ist die ungeschminkte Wahrheit.«
»Tut mir leid, das zu hören. Aber ich muß jetzt wirklich …»
Oben im Schlafzimmer wurde der Hörer abgenommen, und Mary sagte: »Bart?«
»Ja. Mary, hat dich ein Rechtsanwalt namens Fenner aufgesucht? So ein kleiner Schleimscheißer, der versucht, sich wie James Stewart zu geben?«
»Nein«, antwortete sie. Scheiße, daneben. Dann fügte sie hinzu: »Er hat mich angerufen.« Volltreffer! Fenner stand jetzt mit dem Kaffee in der Tür und trank ihn in aller Seelenruhe.
Der halb scheue, halb fröhliche, ach so gewinnende Ausdruck war jetzt völlig aus seinem Gesicht verschwunden. Er wirkte eher genervt.
»Mamma, geh aus der Leitung«, sagte Mary. Jean Calloway legte mit einem höhnischen Schnaufen den Hörer auf.
»Hat er nach mir gefragt?« fragte er Mary.
»Ja.«
»Hat er nach der Party mit dir gesprochen?«
»Ja, aber … ich habe ihm nichts darüber erzählt.«
»Du hast ihm wahrscheinlich mehr gesagt, als du weißt. Er kommt wie ein verschlafenes Hündchen angekrochen, doch in Wirklichkeit ist er die Bulldogge des Stadtrats.« Er warf Fenner ein süßes Lächeln zu. Fenner lächelte spitz zurück.
»Hast du eine Verabredung mit ihm?«
»Eh … ja.« Sie klang überrascht. »Aber er will doch nur über das Haus mit dir reden. Bart …«
»Nein, das hat er dir nur vorgemacht. In Wirklichkeit will er etwas über mich erfahren. Ich habe den Verdacht, daß diese Kerle meine Zurechnungsfähigkeit überprüfen wollen.«
»Sie wollen … was?« Sie schien jetzt völlig durcheinander zu sein.
»Ich hab’ ihr Geld nicht genommen, also muß ich komplett verrückt sein. Mary, erinnerst du dich noch daran, worüber wir bei Handy Andy’s gesprochen haben?«
»Bart, ist dieser Mr. Fenner gerade bei dir?«
»Ja.«
»Der Psychiater«, sagte sie benommen. »Ich hab’ ihm gesagt, daß du einen aufsuchen wolltest … oh, Bart, es tut mir so leid.«
»Das ist schon in Ordnung«, sagte er leise und meinte es auch so. »Es kommt alles in Ordnung, Mary, ich schwöre es dir. Vielleicht geht sonst alles schief, aber das hier nicht.«
Er legte auf und drehte sich zu Fenner um. »Soll ich Steve Ordner anrufen?« fragte er ihn. »Oder Vinnie Mason? Ron Stone oder Tom Granger brauche ich gar nicht erst zu belästigen, sie hätten so einen billigen Gauner wie Sie sofort erkannt, noch bevor Sie Ihren Aktenkoffer geöffnet hätten.
Aber Vinnie ist zu dumm, und Steve Ordner würde Sie mit offenen Armen empfangen. Er hat es auf mich abgesehen.«
»Das ist nicht nötig«, antwortete Fenner. »Sie haben mich völlig mißverstanden, Mr. Dawes. Und Sie verstehen auch meine Klienten ganz offensichtlich falsch. Diese Sache ist überhaupt nicht persönlich. Es ist niemand darauf aus, Ihnen eins auszuwischen. Aber wir haben in letzter Zeit festgestellt, daß Sie eine Abneigung gegen die 784-Autobahn zu haben scheinen. Letzten August haben Sie einen Leserbrief an die Zeitung geschrieben …«
»Letzten August«, wiederholte er nachdenklich. »Ihr Kerle sammelt wohl alle Zeitungsausschnitte, was?«
»Selbstverständlich.«
Plötzlich beugte er sich vor, hielt sich den Bauch und verdrehte die Augen. »Mehr Zeitungsmeldungen! Mehr Rechtsanwälte. Ron, geh mal raus und seif die Reporter ein! Wir sind von Feinden umzingelt! Mavis, bring mir meine Pillen!«
Er richtete sich wieder auf. »Verfolgungswahn? Scheiße, ich hab’ schon gemerkt, daß ich nicht gut war.«
»Schließlich haben wir eine Presseabteilung«, sagte Fenner steif. »Wir verhandeln hier nicht über Pfennige und Fünfer, Mr. Dawes, es geht um ein Zehn-Millionen-Dollar-Projekt.«
Er schüttelte angewidert den Kopf. »Sie sollten die Leute von der Straßenbaubehörde auf ihre Zurechnungsfähigkeit überprüfen lassen und nicht mich.«
Fenner sagte: »Ich werde Ihnen alle meine Karten offen auf den Tisch legen, Mr. Dawes.«
»Wissen Sie, meiner Erfahrung nach ist dies genau der Zeitpunkt, an dem ein Kerl mit den kleinen Schwindeleien aufhört und anfägt, mir die richtig dicken Lügen aufzuti-schen.«
Fenner wurde rot. Endlich war er wütend. »Schließlich haben Sie an die Zeitung geschrieben. Sie haben die Verhandlungen um eine neue Fabrik für die Blue-Ribbon-Wäscherei verzögert und sind deswegen gefeuert worden …«
»Das stimmt nicht. Ich habe eine halbe Stunde, bevor sie mich an die Luft gesetzt haben, gekündigt.«
»… und Sie haben unseren gesamten Briefwechsel in bezug auf dieses Haus ignoriert. Wir sind uns darin einig, daß Sie vermutlich so etwas wie eine öffentliche Demonstration am zwanzigsten im Schilde führen. Die Zeitungen informieren, die Nachrichtensender anrufen werden, damit sie alle hier draußen sind, wenn’s losgeht. Der heroische Hausbesitzer, der von den Gestapoleuten der Stadt schreiend und um sich schlagend von seinem Heim und Herd weggezerrt wird.«