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Sie berieten sich über den Einzahlungsschein, über die Barauszahlung, die darin für die Bank enthaltenen Implikatio-nen und vermutlich auch über das gesamte staatliche Buchungssystem. Das Mädchen hatte sich über den Tisch gebeugt, wodurch ihr Kleid sich am Rücken in die Höhe schob und einen malvenfarbenen Unterrock mit Spitzenrändern enthüllte. Liebe, Liebe, ach du junge, sorglose Liebe, dachte er.

Komm mit mir nach Hause, und wir werden zusammen spielen, bis die Welt untergeht oder bis sie mein Haus demolieren, was immer zuerst kommen mag. Bei dem Gedanken mußte er lächeln. Er hatte eine Erektion … na, wenigstens eine halbe. Er wandte die Augen von ihr ab und blickte sich in der Schalterhalle um. Zwischen dem Safe und den Eingangstüren stand ein Wächter, vermutlich ein pensionierter Polizist. Eine alte Lady füllte mit weit ausholenden Gesten ihren blauen Sozialversicherungsscheck aus. An der linken Wand hing ein riesiges Poster, auf dem die Erde aus der Weltraum-perspektive abgebildet war. Eine große, blaugrüne Kugel, die sich von einem schwarzen Hintergrund abhob. Über dem Planeten stand in groß gedruckten Buchstaben: VERREISEN SIE

Und unter der Erdkugel in etwas kleineren Buchstaben: MIT EINEM FERIENKREDIT DER FIRST BANK

Die schöne Kassiererin kam zu ihm zurück. »Ich muß es Ihnen in Fünfhundertern und Hundertern auszahlen«, erklärte sie.

»Das geht in Ordnung.«

Sie schrieb ihm eine Quittung für die Einzahlung aus und verschwand in den Gewölben der Bank. Als sie zurückkam, hielt sie einen kleinen Aktenkoffer in der Hand. Sie sprach kurz mit dem Wächter, und er kam mit ihr an den Schalter.

Dort musterte er ihn mißtrauisch.

Sie zählte jeweils drei Stapel mit zehntausend Dollar ab, zwanzig Fünfhundertdollarscheine auf jedem Stapel. Dann band sie jeden Stapel zusammen und steckte jeweils einen Kassenbon zwischen die oberste Note und die Banderole.

Auf jedem Kassenbon stand:

$ 10000

Danach zählte sie die zweiundvierzig Hunderter ab, wobei sie die Noten mit der Gummikappe auf ihrem rechten Zeigefinger flink durchblätterte. Auf diesen Stapel legte sie fünf Zehndollarscheine. Dann band sie auch diesen Stapel zusammen und steckte wiederum einen Kassenbon unter die Banderole, auf dem diesmal $ 4250 stand.

Die vier Notenbündel lagen in einer Reihe auf dem Schalter, und alle drei betrachteten sie einen Augenblick nachdenklich. Es war Geld genug, um sich ein Haus zu kaufen oder fünf Cadillacs oder ein kleines Piper-Cub-Flugzeug oder beinahe hunderttausend Packungen Zigaretten.

Dann sagte sie etwas zaghaft: »Ich kann Ihnen eine Tasche mit Reißverschluß geben, wenn Sie …«

»Nein, ich nehme es so.« Er griff mit beiden Händen nach dem Geld und ließ es in seine Manteltasche gleiten. Der Wächter beobachtete dieses Kavaliersdelikt am raison d’etre mit großmütiger Gelassenheit; die schöne Kassiererin war fasziniert (da verschwand ihr Gehalt von mindestens fünf Jahren einfach so in einem ganz gewöhnlichen, von der Stange gekauften Mantel und hinterließ noch nicht einmal eine Ausbeulung). Der Zweigstellenleiter musterte ihn mit unverhohlener Abneigung, denn eine Bank war schließlich ein Tempel, in dem das Geld so diskret und ehrfürchtig wie Gott behandelt werden wollte.

»Sehr schön«, sagte er und stopfte das Scheckbuch zu den Tausendern in die Tasche. »Angenehmen Tag noch.«

Er ging, und sie blickten ihm alle nach. Die alte Lady schlurfte jetzt auf den Schalter zu, um ihren mittlerweile un-terschriebenen Versicherungsscheck einzulösen. Die schöne Kassiererin zahlte ihr zweihundertfünfunddreißig Dollar und dreiundsechzig Cent aus.

Als er nach Hause kam, steckte er das Geld in einen staubigen Bierkrug, der oben auf dem Küchenregal stand. Mary hatte ihn ihm vor fünf Jahren aus Jux zum Geburtstag geschenkt. Er hatte sich nie besonders viel aus dem Geschenk gemacht, denn er trank Bier lieber aus der Flasche. An der Seite des Kruges war das Emblem der olympischen Fackel eingestanzt und darunter stand geschrieben: U. S. SAUFTEAM

Er stellte den Krug mit seinem wertvollen Gebräu auf das Regal zurück und ging nach oben in Charlies Zimmer, in dem jetzt sein Schreibtisch stand. In der unteren Schublade fand er einen braunen, verstärkten Briefumschlag. Er setzte sich an den Schreibtisch und rechnete seinen neuen Kontostand aus. 35053 Dollar und 49 Cents befanden sich jetzt darauf. Er schrieb Marys neue Adresse auf den Umschlag, schob das Scheckbuch hinein und klebte ihn zu. Dann durchstöberte er den Schreibtisch, bis er ein halb aufgebrauchtes Heft mit Briefmarken fand. Er riß fünf Acht-Cent-Marken heraus und frankierte damit den Umschlag. Dann betrachtete er sein Werk eine Weile und schrieb EINSCHREIBEN unter die Adresse.

Den Umschlag ließ er auf dem Schreibtisch liegen, ging nach unten in die Küche und mixte sich einen Drink.

10. Januar 1974

Es war sehr spät, es schneite, und Magliore hatte noch nicht angerufen. Er saß mit einem Drink im Wohnzimmer und hörte sich Platten auf der Stereoanlage an, denn der Fernseher war immer noch zertrümmert. Am Nachmittag hatte er sich zwei Zehndollarscheine aus dem Bierkrug genommen, war in die Stadt gefahren und hatte sich vier Rock-Langspiel-platten gekauft. Eine hieß ›Let It Bleed‹ und war von den Rolling Stones. Er hatte sie auf der Party gehört, und sie gefiel ihm besser als die drei anderen, die er etwas schmalzig fand.

Eine LP mit Crosby, Stills, Nash und Young fand er sogar so schmalzig, daß er sie über seinem Knie zerbrochen hatte.

Aber Lei It Bleed war laut, anzüglich, kraftvoll. Eine einschla-gende, klirrende Musik, die er sehr gern mochte. Sie erinnerte ihn an ›Let’s Make a Deal‹, das Monte Hall einmal aufgenommen hatte. Im Augenblick sang Mick Jagger gerade: Wir brauchen alle jemanden zum Ausweinen, Und wenn du willst, kannst du dich bei mir ausweinen.

Er dachte über das Poster nach, das er in der Bank gesehen hatte. Die große, runde Erde, die aus dieser Perspektive so neuartig und anders wirkte, und darunter die Einladung an den Betrachter zu VERREISEN. Das erinnerte ihn an die Reise, die er am Silvesterabend unternommen hatte. Ja richtig, er war verreist. Sehr weit weg sogar.

Und hatte er es nicht auch genossen?

Der Gedanke ließ ihn einen Augenblick innehalten.

Die letzten zwei Monate war er wie ein Hund herumgelaufen, dessen Schwanz in der Tür eingeklemmt worden ist.

Aber hatte es unterwegs nicht auch einige Entschädigungen gegeben? Er hatte Dinge getan, die er sonst nie hätte tun können. Die Fahrten auf der Autobahn, so gedankenlos und frei wie der Flug der Zugvögel. Das Mädchen und der Sex, das Gefühl ihrer Brüste, die so ganz anders waren als die von Mary. Das Gespräch mit einem Mann, der ein Verbrecher war. Und endlich von diesem Mann akzeptiert und ernst genommen zu werden. Das verbotene Hochgefühl, als er seine Benzinbomben geworfen hatte, und das traumatische Entsetzen, das Gefühl, als würde er ertrinken, als sein Wagen nicht über den Straßenrand zu kommen schien, um ihn von der Baustelle wegzubringen. Das waren intensive Gefühle gewesen, die wie eine finstere antike Religion aus den tiefen Schichten seiner Angestelltenseele aufgestiegen waren, als hätte ein Archäologe sie vorsichtig freigelegt. Er wußte jetzt, was es hieß: am Leben zu sein.

Aber es hatte auch schlimme Dinge gegeben. Zum Beispiel, daß er bei Handy Andy’s die Selbstbeherrschung verloren und Mary angeschrien hatte. Und die nagende Einsam-keit in den ersten zwei Wochen, in denen er allein gewesen war, zum ersten Mal seit zwanzig Jahren allein und nur den furchtbaren, quälenden Schlag des eigenen Herzens zur Gesellschaft. Dann der Schlag, den Vinnie Mason - ausgerechnet Vinnie Mason! - ihm im Kaufhaus aufs Auge verpaßt hatte. Die fürchterliche Angst, die er am Morgen, nachdem er die Baustelle bombardiert hatte, durchmachen mußte. Die blieb in seiner Erinnerung am stärksten.