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Als er die Venner Street halb hinuntergefahren war, entdeckte er ein kleines Ladenfenster mit einem Schild, auf dem in altenglischen Buchstaben stand:

DROP DOWN MAMMA KAFFEEHAUS

Er parkte den Wagen, schloß ihn ab und ging hinein. Drinnen waren nur zwei Kunden, ein junger Schwarzer in einer dicken Marinewolljacke, der vor sich hindöste, und ein alter weißer Säufer, der Kaffee aus einem weißen Porzellanbecher trank. Jedesmal, wenn er den Becher zum Mund hob, zitterten seine Hände hilflos. Seine Haut war ganz gelb, und in seinen Augen flackerte ein unheimliches Licht, als wäre dieser Mann in einem stinkenden inneren Gefängnis gefangen. Er saß zu tief drin, um je wieder herauszukommen.

Drake saß hinter der Theke am anderen Ende des Raumes neben einem kleinen Herd mit zwei Kochplatten. Auf der einen stand eine Glaskanne mit heißem Wasser, auf der anderen eine mit schwarzem Kaffee. Auf der Theke war eine aus-gediente Zigarrenkiste, die etwas Kleingeld enthielt. An der Wand hingen zwei Schilder aus Pappe, die mit Kreide beschrieben waren:

SPEISEKARTE:

KAFFEE 15¢

TEE 15¢

SODAWASSER 25¢

BALOGNA 30¢

PB&J 25¢

HOT DOG

Auf dem anderen Schild stand:

BITTE WARTEN SIE, BIS SIE BEDIENT WERDEN!

Alle Mitarbeiter des Drop In sind FREIWILLIGE HELFER, und wenn Sie sich selbst bedienen, fühlen sie sich nutzlos und überflüssig. Bitte warten Sie, und denken Sie daran, daß GOTT SIE LIEBT!

Drake blickte von seiner Zeitschrift, einem zerfledderten National Lampoon, auf, und einen Augenblick lang legte sich ein Schatten über seine Augen, als ginge er mit einem geistigen Finger eine Namensliste in seiner Erinnerung durch, bis er auf den richtigen traf. Dann sagte er: »Mr. Dawes. Wie geht es Ihnen?«

»Danke, gut. Kann ich eine Tasse Kaffee haben?«

»Natürlich.« Er nahm einen der dicken Porzellanbecher von der aufgestapelten Pyramide hinter sich und goß Kaffee hinein. »Milch?«

»Ich trinke ihn schwarz.« Er gab Drake eine Vierteldollar und erhielt ein Zehncentstück aus der Zigarrenkiste zurück.

»Ich wollte Ihnen noch einmal für neulich nacht danken, und ich möchte Ihnen eine Spende geben.«

»Sie haben mir nichts zu danken.«

»O doch. Auf der Party habe ich mich ziemlich schlecht benommen.«

»Das kann bei synthetischen Drogen passieren. Nicht immer, aber manchmal. Letzten Sommer haben ein paar Jungen einen Freund hergebracht, der im Stadtpark LSD genommen hatte. Der Junge hatte einen Schreikrampf, weil er glaubte, daß die Tauben hinter ihm her seien, um ihn aufzufressen.

Klingt wie eine Reader’s Dzgest-Horrorstory, nicht wahr?«

»Das Mädchen, von dem ich das Meskalin hatte, hat mir er-zählt, daß sie eines Tages eine Hand aus dem Abflußrohr in ihrer Küche gezogen hätte. Hinterher wußte sie nicht mehr, ob es wirklich so gewesen war oder nicht.«

»Wer war sie?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete er wahrheitsgemäß.

»Aber egal, hier.« Er legte einen Packen Geldscheine neben die Zigarrenkiste auf die Theke.

Drake betrachtete sie stirnrunzelnd, ohne sie zu berühren.

»Es ist für das Kaffeehaus«, erklärte er. Ihm war klar, daß Drake das wußte, aber er konnte sein Schweigen nicht ertragen.

Drake löste das Gummiband, mit dem die Banknoten zusammengebunden waren, indem er sie mit der linken Hand festhielt und mit der vernarbten Rechten umständlich herumhantierte. Dann lege er das Gummiband zur Seite und zählte die Scheine langsam.

»Das sind fünftausend Dollar«, sagte er.

»Ja.«

»Wären Sie beleidigt, wenn ich Sie fragen würde, woher …«

»… ich es habe? Nein, ich wäre nicht beleidigt. Ich habe mein Haus an die Stadt verkauft. Sie wollen die Straße direkt hindurchbauen.«

»Und Ihre Frau ist damit einverstanden?«

»Meine Frau hat in dieser Angelegenheit nichts zu sagen.Wir leben getrennt und werden bald geschieden. Sie hat die Hälfte des Geldes bekommen und kann damit machen, was sie für richtig hält.«

»Ich verstehe.«

Der alte Säufer fing an zu summen. Es war keine Melodie, sondern einfach nur ein Summen.

Drake tippte mit seinem rechten Zeigefinger auf die Geldscheine und betrachtete sie nachdenklich. Sie bogen sich an den Rändern hoch, weil sie zusammengerollt gewesen waren. Schließlich sagte er: »Das kann ich nicht annehmen.«

»Warum nicht?«

»Erinnern Sie sich noch daran, worüber wir gesprochen haben?«

Er erinnerte sich. »Ich habe in der Richtung keine Pläne.«

»Ich glaube doch. Ein Mann, der mit beiden Füßen auf dem Boden steht, gibt so viel Geld nicht einfach aus einer Laune heraus weg.«

»Das ist keine Laune«, widersprach er fest.

Drake musterte ihn scharf. »Wie würden Sie es dann nennen? Eine Zufallsbekanntschaft?«

»Himmel, ich hab’ schon Leuten Geld gegeben, die ich nie in meinem Leben gesehen habe. Der Krebsforschung. Dem Kinderhilfswerk. Einer Muskelschwundklinik in Boston. Ich bin noch nicht einmal in Boston gewesen.«

»So große Summen?«

»Nein.«

»Und noch dazu in bar, Mr. Dawes. Ein Mann, der für sein Geld noch Verwendung hat, will es nicht sehen, wenn er es ausgibt. Er bezahlt mit Schecks oder unterschreibt irgendwelche Papiere. Selbst beim Pokerspielen benutzt er Chips.

Es ist sozusagen symbolischer. Ein Mann, der in unserer Gesellschaft keine Verwendung für sein Geld mehr hat, hat auch keine Verwendung mehr für sein Leben.«

»Das ist eine verdammt materialistische Einstellung für einen …«

»Einen Priester? Ich bin kein Priester mehr. Nicht mehr, seitdem das hier passiert ist.« Er hielt seine vernarbte rechte Hand in die Höhe. »Soll ich Ihnen sagen, wie ich das Geld zusammenbringe, um das Kaffeehaus in Gang zu halten? Wir sind für diese Schaufensteraktionen der öffentlichen Wohltätigkeit zu spät gekommen. Für den sozialen Staatsfond genauso wie für die städtische Förderung. Die Leute, die hier arbeiten, sind nicht mehr berufstätig. Alte Leute, die die Kinder, die hierherkommen, zwar nicht verstehen, die aber auch nicht einfach nur ein Gesicht sein wollen, das sich im dritten Stock aus dem Fenster lehnt und den ganzen Tag die Straße beobachtet. Ich hab’ hier ein paar Jugendliche auf Bewährung, die für jeden Freitag und Sonnabend eine Band aufgabeln. Die Bands spielen umsonst, aber sie haben so die Möglichkeit, sich der Öffentlichkeit vorzustellen. Wir lassen dann den Hut rumgehen. Aber die meisten Moneten kommen von den Reichen, den oberen Zehntausend. Ich gehe auf Tour, halte meine Reden auf den Teegesellschaften der reichen Ladys. Ich erzähle ihnen von den Kindern auf der Straße und den Rauschgiftsüchtigen, die nachts unter den Brücken schlafen und sich Lagerfeuer aus Zeitungspapier anzünden, um im Winter nicht zu erfrieren. Ich berichte ihnen von dem fünfzehnjährigen Mädchen, das schon seit 1971 auf der Straße lebt und eines Tages zu mir kam. Sie hatte dicke weiße Läuse auf dem ganzen Kopf und in ihrem Schamhaar. Ich erzähle ihnen von der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten in Norton und von den Fischern. Das sind Männer, die sich in den Busbahnhöfen rumtreiben und Jungen auflesen, die von zu Hause weggelaufen sind und die sie dann als Strichjungen anheuern. Ich beschreibe ihnen genau, wie diese Jungen in den Kinotoiletten für zehn Dollar Männer mit dem Mund befriedigen. Wenn sie versprechen, den Samen zu schlucken, bekommen sie fünfzehn Dollar. Fünfzig Prozent sind für sie, fünfzig Prozent kriegen ihre Zuhälter. Und diese Frauen bekommen ganz nasse Augen und schmelzen dahin, und ich wette, ihre Schenkel werden ganz feucht und schlüpfrig, aber sie werden spendabel, und das ist die Hauptsache. Manchmal kann man sich an eine ranhängen, und es kommt mehr dabei heraus als nur eine Zehndollarspende.