»Wovon es in Las Vegas mindestens eine Million gibt«, unterbrach Magliore ihn. »Jesus! Maria! Und Joseph, der Zimmermann!«
»Sie hat zusammen mit einem anderen Mädchen eine Wohnung, Jedenfalls war es so, als ich das letzte Mal mit ihr gesprochen habe. Ich weiß aber nicht wo. Sie ist ungefähr einen Meter zweiundsiebzig groß, hatte dunkles Haar und grüne Augen. Gute Figur. Sie ist zwanzig Jahre alt, jedenfalls hat sie das gesagt.«
»Und wenn ich diese Bombenfigur nun nicht finde?«
»Dann investieren Sie das Geld trotzdem und behalten die Dividenden selbst. Nehmen Sie es als Belästigungsgeld.«
»Woher wollen Sie wissen, daß ich das nicht sowieso tue?«
Er stand auf und ließ das Geld liegen. »Das kann ich wohl nicht wissen. Aber Sie haben ein ehrliches Gesicht.«
»Hören Sie«, sagte Magliore, »ich werde Sie nicht reinlegen. Sie sind ein Mann, der schon zu oft reingelegt worden ist. Aber mir gefällt die Sache nicht. Es kommt mir so vor, als hätten Sie mich zu Ihrem Testamentsvollstrecker gemacht, der Ihren verdammten letzten Willen ausführen soll.«
»Sagen Sie nein, wenn’s nicht geht.«
»Nein, nein, nein. Sie haben mich nicht verstanden. Wenn sie immer noch unter dem Namen Olivia Brenner in Las Vegas lebt, werde ich sie finden, und drei Riesen sind ein faires Angebot. Es schadet mir in keiner Weise, egal wie die Sache läuft. Aber Sie sind mir unheimlich, Mr. Dawes. Sie sind wirklich festgefahren.«
»Ja.«
Magliore runzelte die Stirn und blickte nachdenklich auf die Fotos von seiner Frau, seinen Kindern und sich unter der Glasplatte auf seinem Schreibtisch.
»In Ordnung«, sagte er schließlich. »Dieses letzte Mal tue ich es, Mr. Dawes. Aber dann ist Schluß. Danach werde ich mich einfach weigern. Wenn ich Sie je wieder sehen oder am Telefon mit Ihnen sprechen sollte, habe ich Sie vergessen.
Das meine ich ernst. Ich hab’ genug Probleme, auch ohne mich ständig um Ihre zu kümmern.«
»Diese Bedingung akzeptiere ich.«
Er streckte seine Hand aus, unsicher, ob Magliore sie ergreifen würde, doch Magliore schüttelte sie.
»Ich begreife Sie nicht«, sagte Magliore. »Warum sollte ich einen Kerl wie Sie mögen, der für mich absolut keinen Sinn ergibt?«
»Es ist eine sinnlose Welt«, antwortete er. »Wenn Sie daran zweifeln, denken Sie einfach an Mr. Piazzis Hund.«
»Ich denke oft an ihn«, erwiderte Magliore.
16. Januar 1974
Er brachte den braunen Umschlag mit dem Scheckbuch zum Briefkasten an der Straßenecke und warf ihn hinein. An diesem Abend ging er ins Kino und sah sich den Exorzisten an, weil Max von Sydow in dem Film mitspielte und er Max von Sydow schon immer bewundert hatte. In einer Filmszene kotzte ein kleines Mädchen einem katholischen Priester direkt ins Gesicht. Einige Leute in den hinteren Reihen lachten und applaudierten.
17. Januar 1974
Mary rief ihn an. Sie klang auf absurde Weise erleichtert, ja richtig fröhlich, und das machte alles viel leichter.
»Du hast das Haus verkauft«, stellte sie fest.
»Richtig.«
»Aber du wohnst immer noch dort.«
»Nur noch bis Sonnabend. Ich hab’ nur ein großes Bauern-haus auf dem Land gemietet. Ich werd’ erst mal rausziehen und versuchen, wieder zu mir selbst zu kommen.«
»Oh, Bart, das ist wunderbar. Ich bin so froh.« Ihm wurde plötzlich klar, warum alles so einfach war. Ihre Fröhlichkeit war nur aufgesetzt. Sie war weder froh noch unglücklich. Sie hatte aufgegeben. »Und das Scheckbuch …«
»Ja?«
»Du hast das Geld genau geteilt, nicht wahr?«
»Ja, das habe ich. Wenn du es nachprüfen willst, kannst du Fenner anrufen.«
»Nein. Oh, nein, das habe ich nicht gemeint.« Er konnte fast sehen, wie sie abwehrend die Hände hob. »Ich wollte fragen… weil du das Geld so geteilt hast… bedeutet das…«
Sie verstummte bedeutungsvoll, und er dachte: Aua, du Hexe, jetzt hast du mich erwischt. Volltreffer.
»Ja, ich glaube, das bedeutet es«, antwortete er. »Die Scheidung.«
»Hast du daran gedacht?« fragte sie mit ernster Stimme. Es klang unecht. »Hast du wirklich…«
»Ich habe sehr viel darüber nachgedacht.«
»Ich auch. Es scheint das einzige zu sein, was wir noch hin können. Aber ich habe nichts gegen dich, Bart. Ich bin dir nicht böse.«
Mein Gott, sie hat all die billigen Romane gelesen. Als nächstes sagt sie mir, daß sie wieder aufs College gehen will. Seine Bitterkeit überraschte ihn. Er hätte gedacht, daß er schon längst darüber hinaus wäre.
»Was wirst du jetzt tun?«
»Ich werde wieder aufs College gehen«, antwortete sie, und jetzt klang ihre Stimme nicht mehr unecht, sondern aufgeregt und hell. »Ich habe meine alten Schulsachen ausgegraben; sie lagen immer noch zusammen mit meinen alten Kleidern auf Mutters Dachboden. Weißt du, daß ich nur noch drei oder vier Scheine für mein Diplom brauche, Bart? Das dauert kaum länger als ein Jahr!«
Er stellte sich vor, wie Mary auf dem Dachboden ihrer Mutter in den alten Sachen rumgekramt hatte, und das Bild über-lagerte sich mit der eigenen Vorstellung, wie er verwirrt und unglücklich vor Charlies Kleidern gesessen hatte. Er verdrängte die Bilder.
»Bart? Bist du noch da?«
»Ja. Ich freue mich, daß dich dein Alleinsein so ausfüllt.«
»Bart«, sagte sie vorwurfsvoll.
Er hatte jetzt keinen Grund mehr, sie anzuschnauzen oder zu verärgern oder ihr ein schlechtes Gewissen zu machen.
Dazu war es zu spät. Mr. Piazzis Hund hatte zugebissen und suchte ein neues Opfer. Den Gedanken fand er komisch, und er kicherte.
»Bart, weinst du?« Sie klang zärtlich. Unecht, aber zärtlich.
»Nein«, antwortete er tapfer.
»Bart, kann ich irgend etwas für dich tun? Wenn ja, dann möchte ich dir gerne helfen.«
»Nein. Ich glaube, es kommt jetzt alles wieder in Ordnung.
Und ich bin froh, daß du wieder aufs College gehst. Hör mal, diese Scheidung - wer soll sie einreichen? Du oder ich?«
»Ich glaube, es wäre besser, wenn ich das tue«, antwortete sie zögernd.
»Ja, ist gut.«
Eine Pause entstand. Plötzlich platzte sie in die Stille hinein, als wären die Worte ihr ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung entschlüpft: »Hast du mit einer anderen Frau geschlafen, seitdem ich dich verlassen habe?«
Er ließ sich die Frage durch den Kopf gehen und über-dachte die verschiedenen Antworten: die Wahrheit, ein Lüge oder eine ausweichende Bemerkung, die sie in der kommenden Nacht nicht schlafen lassen würde.
»Nein«, antwortete er vorsichtig und fügte dann schnell hinzu: »Und du?«
»Natürlich nicht«, entgegnete sie, und es gelang ihr, dabei gleichzeitig schockiert und erfreut zu klingen. »So etwas würde ich nicht tun.«
»Letztendlich wohl doch.«
»Laß uns nicht über Sex reden, Bart.«
»Einverstanden«, sagte er bereitwillig, obwohl sie das Thema angeschnitten hatte. Er suchte angestrengt nach einer liebevollen Bemerkung. Er wollte ihr etwas Nettes sagen, an das sie sich erinnern sollte. Aber ihm fiel partout nichts ein, und außerdem war ihm gar nicht so klar, warum sie sich überhaupt an ihn erinnern sollte, so, wie die Dinge nun mal standen. Sie hatten ein paar gute Jahre zusammen verbracht.
Es mußte so gewesen sein, denn er konnte sich nicht an viele Dinge erinnern, die während ihrer Ehe passiert waren. Abgesehen vielleicht von dieser verrückten Femsehwette.
Plötzlich hörte er sich sagen: »Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem wir Charlie zum ersten Mal in den Kindergarten gebracht haben?«
»Ja. Er hat geweint, und du wolltest ihn wieder mit nach Hause nehmen. Du wolltest ihn nie loslassen, Bart.«