»Daß einen das ärgert«, wiederholte er. »Wissen Sie was, Steve? Sie sind der einzige Mensch, den ich in meinem Leben kennengelernt habe, der sich so ausdrückt. Daß einen das ärgert! Das klingt so, als bekämen Sie Ihre Sprache in der Konservendose geliefert.«
»Sonst noch etwas, Bart?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich wünschte, Sie würden Vinnie nicht mehr reinlegen. Er ist ein guter Mann. Sie verheizen ihn, und das wissen Sie verdammt genau.«
»Ich wiederhole es noch einmaclass="underline" Warum sollte ich Vinnie ›reinlegen‹?«
»Weil Sie mich nicht in die Finger kriegen.«
»Sie leiden an Verfolgungswahn, Bart. Ich habe kein Verlangen danach, Ihnen etwas anzutun. Ich will Sie nur vergessen.«
»Ist das der Grund, warum Sie mich überprüfen lassen?
Warum Sie nachfragen, ob ich meine Privatwäsche auf Geschäftskosten erledigt hätte oder Sonderverträge mit einigen Motels abgeschlossen hätte? Soweit ich gehört habe, haben Sie sogar die Kassenbons der letzten fünf Jahre untersuchen lassen.«
»Wer hat Ihnen das gesagt?« bellte Ordner los. Er klang erschrocken, aus dem Gleichgewicht geworfen.
»Jemand aus Ihrer Organisation«, log er fröhlich. »Jemand, der Sie nicht ausstehen kann. Jemand, der die Kugel noch gerade rechtzeitig vor der nächsten Aufsichtsratssitzung ins Rollen bringen könnte.«
»Wer?«
»Wiederhören, Steve. Denken Sie über Vinnie Mason nach, und ich werde mir darüber Gedanken machen, mit wem ich als nächstes spreche - oder auch nicht.«
»Verdammt noch mal, hängen Sie nicht einfach ein! Hören Sie …«
Er legte auf und grinste. Dann hatte also selbst Steve Ordner seinen sprichwörtlichen Dreck am Stecken. An wen erinnerte ihn dieser Kerl eigentlich? Stahlkugeln. Geklaute Erdbeereiscreme. Herman Wouk. Captain Queeg. Ja genau, der war’s. Humphrey Bogart hatte ihn in dem Film gespielt. Er lachte laut heraus und sang:
»Wir brauchen alle jemanden zum Aus-Queeg-en, Und wenn du Lust hast, dann Queeg dich doch einfach bei mir aus.«
Ja, ja, es stimmt, ich bin verrückt, dachte er und lachte weiter.
Aber das scheint gewisse Vorteile zu haben. Ihm kam der Gedanke, daß das beste Anzeichen für Verrücktheit wohl ein Mann ist, der ganz allein in einem leeren Haus an einer Straße voller leerer Häuser steht und in die tödliche Stille hineinlacht. Aber der Gedanke konnte seine gute Laune nicht trüben. Er lachte sogar noch lauter, stand neben dem Telefon, schüttelte den Kopf und grinste.
19. Januar 1974
Nach dem Dunkelwerden ging er in die Garage und holte die Gewehre ins Haus. Vorsichtig lud er die Magnum, nachdem er die Anleitung sorgfältig durchgelesen und die Pistole ein paarmal ohne Ladung abgeschossen hatte. Die Rolling Stones dröhnten laut aus der Stereoanlage, sie besangen den Midnight Rambler. Er konnte es einfach nicht fassen, wie toll er diese Platte fand. Schon kam er sich selbst wie so ein Mitternachtswanderer vor, Barton George Dawes, nächtlicher Herumtreiber, Besuche nur nach Ver-einbarung.
Die 460 Weatherbee faßte acht Patronen, die so groß wirkten, als würden sie in eine mittlere Haubitze passen.
Nachdem er das Gewehr geladen hatte, betrachtete er es neugierig und fragte sich, ob es tatsächlich so gewaltig schoß, wie Dirty Harry Swinnerton behauptet hatte. Er beschloß, ganz einfach hinauszugehen und es auszuprobieren. Wer wohnte noch an der Crestallen Street, der die Polizei von nächtlichen Gewehrschüssen informieren würde?
Er zog sich seine Jacke über und stand schon an der Hintertür in der Küche, als er noch einmal umkehrte und sich ein kleines Sofakissen aus dem Wohnzimmer holte. Dann ging er nach draußen und schaltete die 200-Watt-Gartenbeleuchtung ein, die Mary und er im Sommer bei ihren Grillpartys immer benutzt hatten. Hier draußen lag der Schnee genau so, wie er ihn sich vor einer Woche vorgestellt hatte - unberührt, vollkommen jungfräulich. Kein dreckiger Fuß hatte ihn betreten. In den letzten Jahren hatte Don Upslingers Sohn Kenny seinen Hinterhof öfter mal als Abkürzung zu seinem Freund Ronny benutzt. Oder Mary hatte etwas auf der Wäscheleine aufgehängt (meist unaussprechliche Dinge), die er von der Hausecke zur Garage gespannt hatte. Zumindest an Tagen, die so warm waren, daß die Sachen nicht gefroren. Er selbst hatte immer den überdach-ten Durchgang zur Garage benutzt. Diese seltsame Unberührtheit traf ihn wie ein Schock - seit dem ersten Schneefall Ende November hatte niemand seinen Garten betreten.
So wie es aussah, nicht mal ein Hund.
Er spürte plötzlich ein verrücktes Verlangen, in die Mitte seines Gartens hinauszurennen, zu der Stelle, auf der sie im Sommer immer ihren Holzkohlengrill aufgestellt hatten, und einen Schneemann zu bauen.
Statt dessen klemmte er sich das Kissen gegen die rechte Schulter, hielt es einen Augenblick mit dem Kinn fest, und preßte dann den Gewehrkolben der Weatherbee dagegen.
Mit dem rechten Auge spähte er durch das Zielfernrohr, das linke hielt er fest geschlossen und versuchte, sich an die Ratschläge zu erinnern, welche die Schauspieler sich immer in den Kriegsfilmen gaben, kurz bevor die Marinesoldaten den Strand stürmten. Meistens war es ein hartgesottener Kriegsveteran, zum Beispiel Richard Widmark, der einem grünen Anfänger - Martin Milner vielleicht - sagte: Du darfst den Ab-zugshahn nicht verziehen, mein Sohn - ganz langsam DRÜCKEN.
Na gut, Fred, jetzt wollen wir mal sehen, ob ich meine Garage treffen kann.
Er drückte auf den Abzug.
Das Gewehr knallte nicht los. Es gab eine regelrechte Explosion. Zuerst hatte er ein Gefühl, als hätte es ihm beide Hände abgerissen. Doch als der Rückstoß ihn traf, wußte er, daß er noch lebte. Er kam mit solcher Wucht, daß er gegen die Küchentür zurückprallte. Der Knall verhallte in einem rollenden Donner in alle Richtungen. Er klang wie bei einem Düsenjet. Das Kissen fiel in den Schnee. Seine Schulter pochte.
»Donnerwetter, Fred!« sagte er, nach Luft schnappend.
Er blickte zur Garage hinüber und konnte kaum glauben, was er da sah. In die Seitenwand war ein so großes Loch gerissen, daß eine Teetasse hindurchgepaßt hätte.
Er lehnte das Gewehr gegen die Küchentür und stapfte durch den Schnee, ohne Rücksicht darauf, daß er nur seine Halbschuhe anhatte. Eine Minute lang untersuchte er das Loch, kratzte verwirrt mit dem rechten Zeigefinger einige Splitter weg und ging dann nach vorn zur Garagentür.
Drinnen sah er, daß das Austrittsloch noch wesentlich größer war. Er untersuchte seinen Kombiwagen. In der Beifahrertür befand sich ebenfalls ein Durchschlagsloch. Der Lack war abgesplittert, und um den Rand des Durchschlags kam das blanke Metall zum Vorschein. Er konnte zwei Finger hindurchstecken. Als er die Wagentür öffnete und über die Sitze blickte, entdeckte er, daß die Kugel auch die Fahrertür durchschlagen hatte. Das Loch befand sich direkt unter dem Türgriff.
Er ging um den Wagen herum und betrachtete die Stelle von außen. Kleine Metallsplitter ragten um den Lochrand vorwurfsvoll nach außen. Er drehte sich um und untersuchte die gegenüberliegende Garagen wand. Auch hier war die Kugel eingeschlagen und - tatsächlich - durchgegangen. So wie er die Sache einschätzte, flog sie immer noch weiter.
Er hörte wieder, wie Harry, der Waffenhändler, zu ihm sagte: Ah, Ihr Neffe schießt also auf die Eingeweide … na, mit diesem Baby wird er die Eingeweide zwanzig Meter in der Umgebung verstreuen. Was würde es dann einem Menschen antun?
Wahrscheinlich dasselbe. Ihm wurde plötzlich übel.
Er stapfte zur Küchentür zurück, blieb einen Augenblick stehen, um das Kissen aufzuheben, und ging wieder ins Haus. Automatisch trat er sich die Füße ab, um in Marys sauberer Küche keine Schmutzspuren zu hinterlassen. Im Wohnzimmer zog er sich das Oberhemd aus. Trotz des Kissens hatte der Kolben eine rote Stelle an seiner Schulter hinterlassen.