Er ging mit nacktem Oberkörper in die Küche, setzte eine Kanne Kaffee auf und machte sich ein TV-Dinner. Nach dem Essen kehrte er wieder ins Wohnzimmer zurück, legte sich auf die Couch und fing an zu weinen. Er steigerte sich in einen hysterischen Weinkrampf, hörte sich heulen und bekam Angst davor, aber er konnte sich nicht beherrschen. Endlich beruhigte er sich allmählich und fiel in einen schweren Schlaf. Er atmete unruhig. Im Traum sah er sich als alten Mann. Einige der Bartstoppeln auf seinen Wangen waren ganz weiß.
20. Januar 1974
Er wachte auf und fuhr mit einem schuldbewußten Schrecken hoch, aus Angst, daß es schon früh am Morgen und viel zu spät sei. Sein Schlaf war düster und trübe wie abgestandener Kaffee gewesen. Es war diese Art von Schlaf, aus dem man völlig benommen und wie mit einem Brett vor dem Kopf aufwacht. Er sah auf seine Uhr und stellte fest, daß es erst Viertel nach zwei war. Das Gewehr stand noch genauso da, wie er es abgestellt hatte, gemütlich gegen seinen Sessel gelehnt. Die Magnum lag auf dem Tisch.
Er erhob sich, ging in die Küche und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Dann ging er nach oben, um sich ein frisches Hemd anzuziehen. Während er die Treppe wieder hinunterlief, stopfte er sich das Hemd in die Hose. Unten sperrte er alle Türen ab, die nach draußen führten. Aus Gründen, über die er lieber nicht näher nachdenken wollte, wurde ihm das Herz jedesmal, wenn er den Schlüssel umdrehte, ein kleines bißchen leichter. Zum ersten Mal, seit diese verfluchte Frau im Supermarkt vor ihm zusammengebrochen war, fing er an, sich wieder mit sich selbst identisch zu fühlen. Er stellte die Weatherbee vor dem Wohnzimmerfenster auf den Boden und stapelte die Patronenschachteln neben ihr auf. Er öffnete jede Schachtel, bevor er sie hinlegte. Danach zog er den Sessel vors Fenster und legte ihn auf die Seite.
In der Küche verriegelte er alle Fenster. Er holte einen Stuhl aus dem Eßzimmer und klemmte ihn unter die Klinke der Küchentür. Dann goß er sich kalten Kaffee in einen Becher, trank abwesend einen Schluck, verzog das Gesicht und goß ihn in die Spüle. Statt dessen mixte er sich einen Drink.
Er ging wieder ins Wohnzimmer zurück und holte die Autobatterie aus dem Schrank. Er stellte sie hinter dem umgekippten Sessel ab, holte die Starthilfekabel und legte sie daneben.
Danach schleppte er ächzend und stöhnend die Sprengstoffkiste die Treppe hinauf. Oben angekommen, ließ er sie schwer auf den Boden fallen, richtete sich auf und atmete tief durch. Er war für diesen Quatsch einfach schon zu alt. Er hatte zwar noch viele Muskeln aus der Zeit, als er mit seinen Kollegen die vierhundert Pfund schweren Körbe mit der gemangelten Wäsche auf den Lieferwagen gehoben hatte, aber Muskeln oder keine Muskeln, ein vierzigjähriger Mann forderte mit einer solchen Plackerei sein Schicksal heraus. Mit vierzig war es Zeit, sich mit dem Gedanken an einen Herzinfarkt vertraut zu machen.
Er lief von Zimmer zu Zimmer und schaltete alle Lichter ein: Gästezimmer, Gästebad, Schlafzimmer und Arbeitszimmer, das früher Charlies Zimmer gewesen war. Dann stellte er einen Stuhl unter die Falltür zum Dachboden, kletterte nach oben und schaltete auch dort die verstaubte Glühbirne ein. Danach ging er wieder in die Küche hinunter, aus der er sich eine Rolle Isolierband, eine Schere und ein scharfes Messer holte.
Er nahm zwei Sprengstoffstäbe aus der Kiste (sie waren sehr weich, seine Finger hinterließen Dellen, als er sie drückte) und brachte sie auf den Dachboden hinauf. Er schnitt zwei lange Stücke von der Zündschnur ab und schälte mit Hilfe des Messers die weiße Plastikisolierung herunter, um die Kupferdrähte freizulegen. Dann steckte er die nackten Drähte jeweils in eine der Sprengstoffkerzen. Wieder im Umkleidezimmer, stellte er sich unter die Falltür, entfernte die Isolierung von den anderen Enden der Zündschnüre und klemmte vorsichtig zwei weitere Sprengstäbe daran fest. Er umwickelte sie fest mit Isolierband, damit die glatten Drähte sich nicht lösten.
Er summte jetzt vor sich hin, während er die Zündschnur vom Dachboden ins Schlafzimmer verlegte, wo er zwei Sprengstoffkerzen auf den Ehebetten deponierte. Von dort zog er die Zündschnur auf den Flur und installierte einen Sprengstoffstab im Gästebad. Das Gästeschlafzimmer bekam zwei. Als er damit fertig war, schaltete er die Lichter wieder aus. In Charlies Zimmer ließ er gleich vier Sprengstoffkerzen, die er zusammengebunden hatte. Er verlegte die Zündschnür sorgfältig durch die Tür und über den Boden und warf dann die ganze Rolle über das Treppengeländer nach unten. Dann lief er selbst die Treppe hinunter.
Vier Stäbe kamen auf die Küchentheke gleich neben seine Southern-Comfort-Flasche. Vier Stäbe fürs Wohnzimmer, vier fürs Eßzimmer und vier für den Flur.
Ein bißchen außer Atem ging er jetzt mit der Zündschnur ins Wohnzimmer. Aber er mußte noch einmal nach oben, um die Kiste zu holen, die jetzt allerdings beträchtlich leichter war. Es waren nur noch elf Stäbe übrig. In der Kiste waren früher mal Apfelsinen transportiert worden. Er sah es an der verblichenen Schrift auf der Seite: POMONA
Neben dem Wort war eine Apfelsine mit einem grünen Blatt am Stengel aufgemalt.
Er trug die Kiste zur Garage hinaus, diesmal den überdachten Durchgang benutzend, und stellte sie auf dem Rücksitz seines Wagens ab. Dort verband er jeden der elf Stäbe mit einem kurzen Stück Zündschnur und wickelte dann alle elf Enden mit dem Isolierband an dem langen Zündkabel fest. Vorsichtig verlegte er das lange Kabel ins Haus zurück, wobei er es sorgfältig unter der Seitentür, die zum Durchgang führte, durchzog. Danach schloß er die Tür wieder ab.
Im Wohnzimmer schloß er das Hauskabel mit dem Garagenkabel zusammen. Er arbeitete jetzt sehr konzentriert, immer noch vor sich hin summend. Mit dem Messer schnitt er nochmals ein Stück Zündschnur von der Rolle und klebte sie mit seinem Isolierband an den beiden Kabelenden fest.
Das andere Ende führte er zur Autobatterie hinüber, wo er ebenfalls die Isolierung herunter schälte.
Er pulte die Kupferdrähte auseinander und flocht die losen Enden zu zwei kleinen Zöpfen zusammen. Dann holte er das Starthilfekabel und brachte die schwarze Krokodilklemme an einem der beiden Zöpfe an. Der andere erhielt die rote Klemme. Mit den beiden anderen Klemmen ging er zur Batterie und schloß die schwarze an dem Pol, der mit POS markiert war, an. Die rote Klemme ließ er lose neben dem Pol NEG liegen. Dann stellte er seine Stereoanlage an und legte die Platte mit den Rolling Stones auf. Es war fünf Minuten nach vier. Er ging in die Küche, machte sich einen Drink und nahm ihn mit ins Wohnzimmer. Jetzt hatte er nichts mehr zu tun.
Auf dem Kaffeetisch fand er eine Ausgabe der Zeitschrift Good Housekeeping. Sie enthielt einen Artikel über die Kennedy-Familie und ihre Probleme. Er las ihn. Danach folgte ein Artikel über Frauen und Brustkrebs, der von einer Ärztin geschrieben war.
Sie kamen kurz nach zehn Uhr. Die Glocken der fünf Häuserblocks entfernten Kongregationskirche hatten soeben die volle Stunde geschlagen, um ihre Gemeinde zur Morgen-messe zu rufen, oder wie das bei den Kongregationisten heißen mochte.
Er sah einen grünen Sedan und einen schwarzweißen Polizeiwagen. Sie parkten am Straßenrand, und aus dem Sedan stiegen drei Männer aus. Einer war Fenner. Die beiden anderen kannte er nicht. Alle drei hatten Aktenkoffer bei sich.
Aus dem schwarzweißen Polizeiwagen stiegen zwei Polizisten und lehnten sich lässig dagegen. An ihrer Haltung war abzulesen, daß sie keine Schwierigkeiten erwarteten. Sie unterhielten sich sorglos, an die Motorhaube ihres Wagens gelehnt, und ihre Worte kamen mit weißen Puffwölkchen aus ihren Mündern.