Die Haustür steckte voller Gewehrkugeln. Der Lack war abgesplittert, und darunter kam das rohe Holz zum Vorschein. Er kroch weiter in die Küche. Hier waren alle Fensterscheiben eingeschlagen, und die Glassplitter lagen über den Linoleumfußboden verstreut. Ein Zufallstreffer hatte die Kaffeekanne vom Herd gefegt. Sie lag in einer braunen Kaffeepfütze. Er duckte sich unter das Fenster, wartete einen Augenblick, sprang dann auf und nahm die beiden im V aufgestellten Polizeiwagen unter Beschüß, bis die Magnum leergefeuert war. Der Gegenangriff konzentrierte sich sofort auf die Küche. Zwei Einschußlöcher zerstörten den weißen Emaille-belag seines Kühlschranks, und eine Kugel traf genau auf die Southern-Comfort-Flasche auf der Küchentheke. Sie explodierte und verbreitete Glassplitter und das einladende südliche Aroma um sich.
Als er ins Wohnzimmer zurückkroch, hatte er plötzlich das Gefühl, als hätte eine Wespe ihn in den rechten Oberschenkel direkt unterhalb der Pobacke gestochen. Er faßte mit einer Hand nach der Stelle, und als er sie zurückzog, war sie voll Blut.
Hinter dem Sessel lud er die Magnum und die Weatherbee.
Vorsichtig lugte er über den Sessel und zog sofort den Kopf wieder ein. Die Wildheit, mit der das Gewehrfeuer jetzt auf ihn einprasselte, erschreckte ihn. Kugeln schlugen in die Wand, in die Couch und in den Fernseher, so daß die Decke wie verrückt hin und her tanzte. Wieder hob er vorsichtig den Kopf und schoß auf die Polizeiwagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Bei einem zersplitterte die Fensterscheibe. Und dann sah er … am oberen Straßenende einen weißen Kombiwagen und einen weißen Ford Lastwagen. Auf beiden war in blauer Schrift aufgemalt:
WHLM NACHRICHTEN
KANAL 9
Keuchend kroch er zu dem Fenster hinüber, das auf den Vorgarten der Upslingers hinausging. Die beiden Fernsehwagen fuhren langsam und zögernd die Crestallen Street hinunter.
Plötzlich schnitt ihnen ein neuer Polizeiwagen mit quietschenden Reifen den Weg ab und stellte sich genau vor sie.
Ein Arm in blauer Uniform schob sich aus einem der hinteren Seitenfenster und winkte den Leuten zu, daß sie wegfahren sollten.
Eine Gewehrkugel prallte am Fenstersims ab und pfiff durchs Wohnzimmer.
Er kroch schnell zu seinem Sessel zurück, nahm die Magnum in seine blutige rechte Hand und schrie: »Fenner!«
Die Schüsse ließen ein wenig nach.
»Fenner!« brüllte er nochmals.
»Hört auf!« kreischte Fenner. »Hört mal eine Minute lang auf zu schießen!«
Noch ein paar vereinzelte Schüsse, dann war es ruhig.
»Was wollen Sie?« brüllte Fenner.
»Die Nachrichtenreporter! Die da hinten auf der anderen Straßenseite hinter dem Polizeiwagen! Ich will mit ihnen reden!«
Eine lange Pause.
Dann schrie Fenner zurück: »Nein!«
»Ich höre auf zu schießen, wenn ich mit ihnen reden kann!« Das stimmt wahrscheinlich, dachte er und blickte zweifelnd auf die Autobatterie.
»Nein!« wiederholte Fenner.
Scheißkerl, dachte er hilflos. Ist das wirklich so wichtig für dich? Für dich und Ordner und für die gesamte bürokratische Saubande?
Die Schüsse setzten wieder ein, zuerst vereinzelt, dann immer stärker. Und dann sah er etwas Unglaubliches. Ein Mann in Bluejeans und einem Flanellhemd lief geduckt den Bürgersteig entlang. Er hielt eine kleine Kamera wie eine Pistole vor sich.
»Das ist allerhand!« rief er Fenner zu. »Ich habe jedes Wort mitbekommen! Ich werd’ mir Ihren Namen notieren, Mann!
Er hat angeboten, mit der Schießerei aufzuhören, und Sie haben …«
Ein Bulle schlug ihm mit voller Wucht gegen die Hüfte, und der Mann krümmte sich und ging zu Boden. Seine Kamera flog auf die Straße, und innerhalb von wenigen Sekunden hatten drei Kugeln sie in tausend kleine Stücke zerfetzt.
Die Filmrolle löste sich aus den Überresten und wickelte sich faul von selbst ab. Dann hörte das Feuer wieder für einen Augenblick auf. Unsicherheit verbreitete sich.
»Fenner, lassen Sie sie ihre Ausrüstung aufbauen!« brüllte er zum Fenster hinaus. Sein Hals war rauh und schmerzte, wie sein gesamter Körper. Seine verletzte Hand pochte und von seinem Oberschenkel breitete sich ein tiefer, dumpfer Schmerz aus.
»Zuerst kommen Sie raus!« rief Fenner zurück. »Dann können Sie ihnen Ihren Standpunkt erzählen!«
Bei dieser unverschämten Lüge erfaßte ihn eine ungeheure Wut, die ihn wie eine rote Woge überspülten »VERDAMMT NOCH MAL, ICH HAB’ EIN RIESIGES GEWEHR HIER DRINNEN UND AB JETZT WERDE ICH AUF EURE BEN-ZINTANKS SCHIESSEN, IHR SCHEISSKERLE! WENN ICH MIT EUCH FERTIG BIN, SEID IHR ALLE DURCHGEGRILLT!«
Erschrockene Stille.
Dann fragte Fenner ganz vorsichtig: »Was wollen Sie?«
»Schickt mir den Kerl herein, rien ihr gerade zusammengeschlagen habt! Laßt sie ihre Kameras aufstellen!«
»Kommt gar nicht in Frage! Wir werden Ihnen keine Geisel zuschanzen, mit der Sie den ganzen Tag spielen können!«
Ein Bulle rannte geduckt zu dem grünen Sedan hinüber und verschwand dahinter. Eine Unterredung fand statt.
Dann brüllte eine neue Stimme: »Hinter Ihrem Haus befinden sich dreißig von meinen Männern! Es sind Scharfschützen! Kommen Sie raus, oder ich schicke sie hinein!« Jetzt war es wohl an der Zeit, seinen einzigen, miesen Trumpf auszuspielen. »Das lassen Sie lieber bleiben! Ich hab’ im ganzen Haus Sprengstoff verlegt!«
Er hielt die rote Krokodilklemme vors Fenster.
»Können Sie das sehen?«
»Sie bluffen!« brüllte der Bulle zuversichtlich.
»Wenn ich dieses Ding an die Autobatterie anschließe, die hier neben mir steht, dann fliegt alles in die Luft!«
Schweigen. Wieder eine Beratung.
»He!« schrie plötzlich jemand. »He, schickt uns den Kerl her.« Er lugte vorsichtig über den Sessel und sah tatsächlich den Mann in der Jeans und dem Flanellhemd. Er lief direkt über die Straße, völlig schutzlos. Entweder war er in heroischer Weise von seinem Beruf überzeugt oder einfach nur verrückt. Er hatte langes, schwarzes Haar, das ihm auf den Kragen fiel, und einen dünnen, dunklen Schnurrbart.
Zwei Bullen erhoben sich und wollten um die beiden im V aufgestellten Straßenkreuzer herumschleichen, unterließen es dann aber, als er ihnen eine Kugel über die Köpfe jagte.
»Verdammt noch mal, was für ein Hurensohn!« schrie der eine von ihnen angewidert.
Der Mann im Flanellhemd befand sich jetzt in seinem Vorgarten; seine Schuhe wirbelten kleine Schneewolken auf. Etwas zischte an seinem Ohr vorbei. Dann hörte er einen Knall und bemerkte, daß sein Kopf sich immer noch außerhalb der Deckung befand. Er hörte, wie der Mann an seiner Haustür rüttelte und, als sie nicht aufging, dagegenhämmerte.
Wieder kroch er über den Fußboden, der jetzt mit Dreck und dem Putz von den Wänden übersät war. Sein rechtes Bein tat teuflisch weh, und als er an sich herunterblickte, sah er, daß das rechte Hosenbein vom Schenkel bis zum Knie durchgeblutet war. Er drehte den Schlüssel in der zerborstenen Tür um und schob den Riegel zur Seite.
»In Ordnung«, sagte er, und der Mann im Flanellhemd stürzte ins Haus.
Auch aus der Nähe wirkte er nicht ängstlich, obwohl er heftig keuchte. Er hatte eine kleine Wunde auf der Wange, wohl vom Schlag des Polizisten, und sein linker Hemdsärmel war zerrissen. Nachdem er den Mann hereingelassen hatte, kroch er schnell zu seinem Sessel zurück, nahm das Gewehr und feuerte blind zwei Schüsse durch das Fenster. Dann drehte er sich um. Der Mann stand in der Wohnzimmertür.