Don war damals schon ein Jahr tot.
1963 hat Ray mir dann deinen Posten zugeteilt. Ich sollte ein Auge auf die chemische Reinigung haben, ein neues Buchhaltungssystem einführen und die Zweigstellen beauf-sichtigen - doch damals waren es nur fünf, nicht elf. Das machte ich bis 1967, bis Ray mir meinen jetzigen Job gab. Vor vier Jahren mußte er dann verkaufen. Du kennst die Geschichte, du weißt, wie die Scheißkerle ihn unter Druck gesetzt haben. Es hat ihn zu einem alten Mann gemacht. Heute gehören wir also zu einer Gesellschaft, die außer uns noch ein Dutzend weitere Eisen im Feuer hat - Schnellimbißrestaurants, den Ponderosa-Golfclub, diese drei Schandflecken, die Discountsupermärkte, die Tankstellen und all dieser Mist. Und dieser Steve Ordner ist nichts weiter als ein hochgejubelter Vorarbeiter. Irgendwo in Chicago oder Gary gibt es einen Verwaltungsrat, der sich vielleicht eine Viertelstunde pro Woche mit dem Blue Ribbon befaßt. Denen ist es scheißegal, was es heißt, eine Wäscherei zu leiten. Sie haben nicht die geringste Ahnung davon. Alles, was sie verstehen, ist der Bericht des Buchhalters. Und dieser Bericht sagt ihnen, hört zu, Leute, der 784-Zubringer, der im Westend gebaut wird, führt direkt über die Wäscherei und die Hälfte des dortigen Wohnbezirks. Und die Direktoren antworten, ah, ja? Wieviel zahlt die Stadt für das Grundstück? Und das war’s dann. Himmel, wenn Don und Ray Tarkington noch am Leben wären, würden sie die verdammten Stadtabgeordneten vor Gericht zerren und ihnen so viele Beschränkungen auferlegen, daß sie erst im Jahr 2000 mit den Verhandlungen fertig sein könnten. Sie würden ihnen mächtig einheizen. Kann sein, daß sie ein paar gottverdammte, patriarchalische Bastarde gewesen sind, aber sie hatten wenigstens noch Sinn für den Betrieb, Vinnie. Und das kann man aus einem Buchhalterbericht nicht herauslesen. Wenn sie noch am Leben wären und jemand ihnen erzählte, daß die Straßenbaubehörde plant, eine achtspurige Asphaltwüste aus ihrer Wäscherei zu machen, dann hätten sie einen Schrei ausgestoßen, den man bis zum Rathaus gehört hätte.«
»Sie sind aber tot«, bemerkte Vinnie.
»Ja, sie sind tot.« Er fühlte sich plötzlich müde und frustriert. Was immer er Vinnie hatte klarmachen wollen, irgendwo war es im Wust seiner persönlichen Erinnerungen untergegangen. Er war verlegen. Sieh ihn dir an, Freddy, er versteht überhaupt nicht, wovon ich rede. Hat nicht die geringste Ahnung. »Gott sei Dank sind sie nicht hier, um das mitansehen zu müssen.«
Vinnie antwortete nichts.
Mit aller Kraft riß er sich zusammen. »Ich versuche die ganze Zeit, dir zu sagen, daß sich hier zwei Gruppen gegenüberstehen, Vinnie. Auf der einen Seite sind wir, die Wä-
schereileute. Das ist unser Geschäft. Auf der anderen sind die Buchhalter. Das ist ihr Geschäft. Sie schicken uns von oben ihre Befehle herunter, und wir haben sie auszuführen.
Aber das ist auch alles, was wir zu tun haben. Hast du mich verstanden?«
»Klar, Bart«, sagte Vinnie, aber es war ihm anzusehen, daß er überhaupt nichts verstand. Er war sich nicht einmal sicher, ob er selbst noch wußte, worum es ging.
»In Ordnung«, sagte er, »ich werde mit Ordner reden.
Nur zu deiner Information, Vinnie, die Waterford-Fabrik ist genauso gut wie unser jetziges Gebäude. Ich werde den Vertrag am kommenden Dienstag unter Dach und Fach bringen.«
Vinnie lächelte erleichtert. »Jesus, das ist großartig.«
»Ja, ich habe alles unter Kontrolle.«
Als Vinnie hinausging, rief er hinter ihm her: »Du sagst mir dann, wie das deutsche Restaurant ist, in Ordnung?«
Vinnie schenkte ihm sein Lächeln Nr. 1, breit und strahlend, volle Kraft voraus. »Aber natürlich, Bart!«
Dann war Vinnie verschwunden, und er betrachtete die geschlossene Tür. Ich hab’s vermasselt, Fred. Ich finde, du warst gar nicht so schlecht, Georgie. Zum Schluß hast du ein bißchen den Faden verloren, aber es passiert nur in Büchern, daß man seine Rede gleich auf Anhieb richtig hinkriegt. Nein, ich habe Scheiße gebaut. Er ist mit dem Gedanken hier rausgegangen, daß bei Barton Dawes ein paar Schrauben locker sitzen. Verdammt noch mal, er hat recht.
George, Ich muß dich mal was fragen. Von Mann zu Mann sozusagen. Nein, schalte mich nicht gleich wieder ab.
Warum hast du dir die Waffen gekauft, George? Warum hast du das getan?
Päng, die Sicherung sprang raus.
Er ging ins Erdgeschoß und gab Ron Stone die Vertretermappe. Als er zurückging, hörte er, wie Ron Dave zubrüllte, er solle mal rüberkommen, vielleicht sei etwas dabei, das sie brauchen könnten. Dave verdrehte die Augen.
Natürlich war etwas dabei. Arbeit.
Er ging wieder in sein Büro und rief Ordner an in der Hoffnung, daß er schon zum Mittagessen sei. Doch heute gab es keine Mittagspause. Die Sekretärin stellte ihn sofort durch.
»Bart!« rief Steve Ordner. »Es ist immer schön, ein bißchen mit Ihnen zu plaudern.«
»Geht mir genauso. Ich habe heute vormittag ein bißchen mit Vinnie Mason geplaudert. Er deutete an, daß Sie sich ein wenig Sorgen wegen der Waterford-Fabrik machen.«
»Großer Gott, nein. Aber ich denke, wir sollten uns vielleicht am Freitag abend über ein paar Dinge unterhalten.«
»Ja, deswegen rufe ich an. Mary kann leider nicht kommen.«
»Oh?«
»Sie hat eine Virusinfektion. Wagt sich keine fünf Meter vom Klo weg.«
»Sagen Sie ihr, wie leid mir das tut.«
Spar dir das, du billiger Heuchler.
»Der Arzt hat ihr Tabletten verschrieben, und es scheint ihr schon wieder besser zu gehen. Aber es könnte vielleicht ansteckend sein.«
»In Ordnung,. Bart, wann können Sie kommen? Um acht?«
»Ja, acht paßt mir gut.«
Na klar, verdirb mir ruhig den Freitagabendkrimi, du Mistkerl.
Was gibt’s sonst noch?
»Wie kommen Sie mit dem Waterford-Geschäft voran, Bart?«
»Ich finde, darüber sollten wir lieber persönlich sprechen, Steve.«
»In Ordnung.« Eine Pause. »Carla läßt grüßen. Und sagen Sie Mary, daß wir beide, Carla und ich …«
Klar, natürlich. Blah, blah, blah.
22. November 1973
Er fuhr völlig verschreckt im Bett hoch und warf dabei das Kopfkissen auf den Boden. Er hatte Angst, daß er vielleicht laut geschrien hätte, aber Mary schlief ruhig weiter. Ein stiller Hügel im anderen Bett. Die Digitaluhr auf dem Nachttisch zeigte 4:23 Uhr.
Mit einem Klick fiel die Ziffer für die nächste Minute herunter. Die liebe alte Bea in Baltimore, die gerade eine bewußtseinserweiternde Hydrotherapie machte, hatte ihnen die Uhr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt. Er hatte nichts gegen sie, aber an das Klicken beim Minutenwechsel hatte er sich nie gewöhnen können. 4:24 Klick, 4:25 Klick, man könnte verrückt dabei werden.
Er ging nach unten auf die Toilette, schaltete das Licht ein und pinkelte. Sein Herz schlug heftig in seiner Brust. In letzter Zeit pochte sein Herz immer wie eine Trommel, wenn er pinkelte. Willst du mir damit vielleicht etwas sagen, lieber Gott?
Er ging wieder ins Schlafzimmer zurück und legte sich ins Bett, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Im Traum hatte er sich herumgewälzt, und die Laken und Decken waren zu einem feindlichen Schlachtfeld geworden. Es gelang ihm nicht, sie wieder zurechtzuziehen. Auch schienen seine Arme und Beine vergessen zu haben, wie sie sich während des Schlafes plazieren sollten.
Den Traum konnte er sich leicht erklären. Keinen Schweißausbruch deswegen, Fred. Solange man wach war, konnte man den Sicherungstrick nur allzu leicht anwenden; man konnte ein Bild entwerfen, es Stück für Stück ausmalen und sich dabei vormachen, daß man das Gesamtbild einfach nicht sehen könne. Man konnte dieses Bild unter dem Boden seines Bewußtseins vergraben, aber dieser Boden hatte eine Falltür. Und wenn man schlief, sprang diese Falltür manchmal auf, und es krochen eigenartige Dinge aus der Dunkelheit hervor. Klick