»Nein, nichts dergleichen, Gideon. Wo ist mein Onkel?«
»Hm. Ja, Jim, das ist so .«
»Ist etwas passiert, Gideon?«
»Nein, nein. Er schläft im Moment. Ich hatte das Telefon den ganzen Tag ausgehängt, damit er nicht gestört wird, und ich wecke ihn nicht gerne auf, wenn es nicht unbedingt .«
»Gideon, du sagst mir jetzt sofort, was mit meinem Onkel ist!«
»Es ist nicht schlimm«, erwiderte er nüchtern, »ganz gewiß nicht. Aber er ist krank.« Sein schwarzes Gesicht war sehr besorgt. »Vor ein paar Tagen hatte er eine Attacke. Er bekam einen Brief von einem alten Bekannten, den las er an seinem Schreibtisch, und da fiel er plötzlich um.«
»Herzanfall?«
Gideon schüttelte den Kopf. »Nein, Jim. Der Seearzt sagt, dein Onkel habe unter zu großem Druck gestanden. Er habe zu lange in zu großer Tiefe gelebt.«
Ich wußte, daß dies zutraf, denn mein Onkel hatte sein aufregendes Leben fast ausschließlich in den Tiefen gelebt. Und es lag erst wenige Monate zurück, da er lange am Grund des tiefsten Grabens im südwestlichen Pazifik in dem winzigen Schiffchen eingeschlossen war. Er schien sich ganz erholt zu haben, als Gideon und ich ihn zurückbrachten, aber der Mensch ist nun mal kein Tiefseefisch. Drogen und hoher Druck haben oft unerwartete Wirkungen.
»Kann ich mit ihm reden?«
»Hm. Weißt du, der Arzt sagt, er soll sich nicht aufregen, Jim. Kann ich dir irgendwie helfen?«
Ich überlegte nur eine Sekunde, denn ich wußte, Gideon konnte ich voll vertrauen. Deshalb sprudelte ich die ganze Geschichte von den perläugigen Männern, den Tonga-Perlen und David Craken heraus.
»Hast du David Craken gesagt?«
»Ja, genau, Gideon. Sein Vater ist Jason Craken. So nennt er sich wenigstens.«
»Nein, sowas, Jim! Der Brief, den dein Onkel las, war nämlich von Jason Craken . Wart mal, Jim, bleib da . Der Teufel soll die ganzen Seemediziner holen, ich wecke ihn auf.«
Es dauerte einen Moment, dann flackerte ein Schatten über das Bild, und Gideon legte das Gespräch ins Schlafzimmer meines Onkels um.
Ich sah ihn im Bett sitzen. Sein Gesicht wirkte hohlwangig und mager, aber er lachte, als er mich sah. Er schien schon wach gewesen zu sein.
»Jim!« Seine Stimme kam mir matt vor, aber irgendwie war sie doch voll Spannung. »Was erzählt mir da Gideon?«
Schnell berichtete ich ihm, was ich vorher Gideon erzählt hatte und auch alles übrige bis zum Moment, wo wir die Angebotssumme in das Formular für die Killer Whale einzutragen hatten. »Und er sagte, Onkel Stewart, ich solle mit dir reden, also hab’ ich’s auch getan.«
»Da bin ich aber froh, daß du das getan hast, Jim.« Er schloß für einen Moment die Augen. »Hör mal, wir müssen ihm helfen. Das ist eine Ehrenschuld.«
»Eine was? Onkel, ich ahnte gar nicht, daß du je von Jason Craken gehört hattest.«
»Davon habe ich dir auch nie etwas gesagt, Jim. Vor Jahren, als dein Vater und ich noch jung waren, forschten wir am Rand des Tonga-Grabens, soweit wir eben mit unserer damaligen Ausrüstung nach unten konnten. Wir suchten Perlen. TongaPerlen.
Wir fanden sie. Aber wir konnten sie nicht behalten, Jim, denn wir wurden, als dein Vater und ich am Rand der Sicherheitszone in unseren Druckanzügen draußen waren, angegriffen. Ich habe mein Wort gegeben, nicht zu sagen, wer oder was uns angegriffen hat. Vielleicht werden es dir die Crakens eines Tages selbst erzählen, aber wir wurden in immer größere Tiefen gezerrt, viel tiefer, als es für uns sicher war. Und da begann unsere Taucherausrüstung zu versagen.«
Seltsam, er lächelte, als er weitersprach. »Ich dachte, wir seien jetzt erledigt, Jim. Aber wir wurden gerettet. Der Mann, der uns rettete, war Jason Craken.
Ja, Jason Craken.« Er saß jetzt richtig auf im Bett, und seine Stimme klang kräftig. »Ein Mann! Er war fast ein bißchen grob, auch etwas sonderbar. Er trug einen Bart und war wie ein Dandy gekleidet. Sein Geschmack ging nach Luxus, er gab Geld mit vollen Händen aus, war ein großzügiger Gastgeber. Und sehr seltsam. Er verkaufte Tonga-Perlen. Niemand kannte die Bänke, von denen sie stammten. Für ihn war dies Monopol ein Riesenvermögen, Jim.
Nur dein Vater und ich kannten das Geheimnis dieser Bänke. Und er hat uns das Leben gerettet. Dabei riskierte er sein eigenes Leben, auch das Geheimnis seiner Perlen. Doch er vertraute uns. Wir versprachen, niemals mehr zum TongaGraben zurückzukommen, wir gaben unser Wort, niemals zu verraten, woher die Perlen kamen.
Jim, wenn er jetzt Hilfe braucht, dann muß er sie bekommen. Das sind wir ihm schuldig, du und ich.« Er runzelte die Brauen. »Jim, ich kann im Moment wenig tun, ich bin für einige Zeit ans Bett gefesselt. Es war wohl der Schock von Jasons Brief. Aber er erwähnte, es sei möglich, daß er Geld brauche für ein Kampfschiff, und ich konnte eine Summe aufbringen. Kein Vermögen, aber ich denke, es genügt. Ich werde veranlassen, daß du das Geld so schnell wie möglich bekommst. Du kaufst für ihn die Killer Whale. Und du hilfst ihm, wo du helfen kannst.«
Er ließ sich in die Kissen zurückfallen und lachte mich an. »Jim, das wäre alles. Jetzt leg aber auf, dieser Anruf kostet ja ein Vermögen! Vergiß nur nie, daß wir Jason Craken sehr viel schulden, denn wäre er nicht gewesen, wären wir auch nicht da, du und ich.«
Und das war alles. Ziemlich erschüttert wandte ich mich zu David um, der vor der Kabine wartete.
»Ist in Ordnung, David«, sagte ich und warf einen Blick durch den Raum. »Er wird uns helfen. Von ihm bekommen wir Geld. Genug, meint er. Und ... David!« rief ich. »Schau doch dorthin, wo wir unsere Formulare ausgefüllt haben!«
Er wirbelte herum. Er hatte die Formulare auf dem Tisch zurückgelassen. Sie waren auch noch da, aber über sie beugte sich die Gestalt eines Mannes.
War es ein Mann? Die Gestalt wandte sich uns zu. Die Augen waren perlig weiß. Es war jene Person, die sich Joe Trencher genannt hatte.
Er rannte davon durch die Tür, hinaus in den breiten Gang dahinter, in dem sich viele Menschen drängten. »Schnell!« rief David. »Den müssen wir erreichen! Vielleicht hat er noch die Perlen!«
10. Tencha vom Tonga-Graben
An diesem Tag durchsuchten wir ganz Sargasso City, aber Joe Trencher fanden wir nicht mehr.
Schließlich blieb David vor Anstrengung keuchend stehen. »Wir haben ihn verloren. Er verschwand und war nicht wieder zu finden.«
»Aber er muß doch irgendwo in der Stadt sein! Wir können eine Ebene nach der anderen durchsuchen.«
»Nein.« David schüttelte den Kopf. »Jim, er braucht gar nicht mehr in der Stadt zu sein. Er ist anders als du und ich. Er kann in aller Ruhe in eine Schleuse gehen und in der See verschwinden, und wir suchen hier ewig herum; dabei ist er längst etliche hundert Meilen weit weg.«
»In fast drei Meilen Tiefe? Das ist doch unmöglich!«
»Jim, unterschreib jetzt den Antrag«, sagte David nur. »Wir müssen ihn abgeben.« Mehr wollte er dazu nicht sagen.
Wir kehrten in das Büro des Lieutenant Commanders zurück. Ich unterschrieb den Antrag, ohne richtig hinzuschauen und gab ein Angebot über die Mindestsumme ab, also fünfzigtausend Dollar. Natürlich hatte das Schiff neu ein Vielfaches davon gekostet.
Die Tiefsee-Fähre zurück nach Bermuda erreichten wir gerade noch. Beide waren wir recht schweigsam, und ich glaube, wir dachten über dasselbe nach. Seltsam, daß Joe Trencher uns in Sargasso Dome hatte finden können! Wahrscheinlich gehörte er zu den Leuten, deren Motor wir gehört hatten. Und da diese Leute vermutlich unsere Unterhaltung mitangehört hatten, wußten sie alles, was wir geplant hatten.
Daran konnten wir jedoch nichts ändern, und unsere Pläne auch nicht. Wie hätten wir das auch bewerkstelligen sollen?
Schweigend saßen wir etwa eine Stunde lang in der Passagierhalle des Schiffes herum; um uns herum waren nur wenige Menschen. Aus den Lautsprechern erklang leise Musik, und am anderen Ende der Halle saßen ein paar Ferienreisende. Um diese Jahreszeit gab es zwischen Bermuda und Sargasso City nicht sehr viel Geschäft.